Kommentar: Rot-Grün vergurkt: Wie blöd ist das denn?

Linke Parteien pflegen die Tradition, dass sie dann, wenn es drauf ankommt, zusammen raufen, statt sich zusammenzuraufen.

Längere Gesichter sind kaum vorstellbar: Die grüne Delegation nach dem Verhandlungscrash. Bild: dpa

Vollkommene Politikunfähigkeit. Gibt es einen anderen Begriff für das, was Sozialdemokraten und Grüne am Mittwoch abgeliefert haben? Es gibt. Hornochsenkacke! Selbstverliebter Egozentrikermist! Riesenblamage! Totalversagen! Betonkopfpolitik auf allen Seiten! Oder kurz gesagt: Ja, gehts noch?

Nein, es geht offensichtlich nicht mehr. Nicht mit dieser SPD. Und nicht mit diesen Grünen.

Dreimal haben die Spitzen der beiden Parteien sondiert. Dreimal haben sie über Formelkompromissen gebrütet, dreimal haben sie diese anschließend interpretiert, ergänzt - und schließlich torpediert.

Das ist nicht mal schlimm. Im Gegenteil. Der lebendige und mit aller Vehemenz ausgetragene Streit über das entscheidende Detail ist vielmehr Ausdruck eines neuen Politikstils, der der Stadt nach zuletzt doch sehr schläfrigen rot-roten Zeiten gutgetan hätte. Ein Stil, der unweigerlich nicht zum bloßen "Weiter so!" geführt hätte, das landauf, landab das Handeln der Politik prägt - ganz egal von welcher Partei sie gerade getragen wird.

Genau deshalb war es auch richtig - und richtig wichtig -, dass die Grünen auf ihrem Nein zum Autobahnbau beharrt haben. Hätten sie die A 100 abgenickt, wäre eine Koalition mit der SPD zwar ein Kinderspiel gewesen, aber der Ruf der Partei als Einknickertruppe wäre genauso zementiert wie die Betonpiste durch Neukölln. Genauso wichtig aber war, dass die SPD nicht ohne Weiteres auf die Autobahn verzichtet hat. Schließlich hatte sie starke Argumente dafür, so wie die Grünen dagegen.

Trotz dieses schier unüberbrückbaren Gegensatzes waren beide auf einem guten Weg. Zusammen. Sie lagen nach hartem Kampf allenfalls noch um ein paar Meter Beton auseinander. So hätten sie zeigen können, wie zeitgemäße Politik funktioniert. Die das Argument in den Vordergrund stellt. Die den Streit goutiert, auch wenn er von außen zäh wirkt. Die sich immer wieder bei ihrer jeweiligen Basis rückversichert - und zur Not zu Nachverhandlungen antritt.

Hätte. Hätte. Hätte.

Hat aber nicht.

Denn dummerweise pflegen linke Parteien von jeher die Tradition, dass sie immer dann, wenn es besonders drauf ankommt, zusammen raufen, statt sich zusammenzuraufen. Idiotischerweise halten sie diese Tradition auch noch hoch, wenn sie längst in der Mitte angekommen sind. Fatalerweise glauben sie dann stets, dass ein Kompromiss wegen inhaltlicher Differenzen inakzeptabel sei. Obwohl offensichtlich ist, dass sie nur an den Egos der Protagonisten gescheitert ist, die sich nicht über den Weg trauen, weil sie sich nicht riechen können.

Aber wenn es mit dem Spitzenpersonal nicht klappt, ist es dann nicht ein Signal dafür, dass man von einer solchen Koalition die Finger lassen sollte? So kann man das sehen. Andererseits könnten SPD und Grüne auch die Versager an ihren Spitzen austauschen. So umstürzlerisch aber sind nicht mal mehr linke Parteien.

Immerhin bekommt Berlin nun eine bunte Opposition aus Linken, Grünen und Piraten, die den rot-schwarzen Senat antreiben kann. Die Feindbilder stimmen wieder. Ein schwacher Trost für alle, die auf progressive Regierungspolitik gehofft hatten.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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