„Viele spüren etwas wie Stolz“

Die Stimmung in Bagdad hat sich gewandelt: Der Widerstand der Armee und die Bilder gefangener Amerikaner machen die Einwohner selbstbewusst

Wieder hat unser Korrespondent Karim El-Gawhary mit seinem Freund und dessen Familie in Bagdad telefoniert. Die Mittelschichtfamilie lebt in einem kleinen Einfamilienhaus, unweit des Stadtzentrums von Bagdad. Der fünfzigjährige Vater publiziert Artikel über kulturelle Themen. Seine Frau arbeitet als Sekretärin. Die beiden acht- und zehnjährigen Töchter gehen zur Schule.

„Die Stimmung ist vollkommen umgeschlagen, seit im irakischen Fernsehen die Bilder von den fünf amerikanischen Kriegsgefangenen gezeigt wurden. Das habe ich sogar meine Töchter anschauen lassen, damit sie sehen, dass sie vor diesen verängstigten amerikanischen Soldaten keine Angst mehr haben brauchen. Nur bei den brutalen Bildern blutüberströmter toter US-Soldaten habe ich wegen der Kinder umgeschaltet.

Seit diese Bilder im staatlichen Fernsehen gezeigt wurden, gibt es kein anderes Thema in der Stadt. Für viele ist das Bild der unbesiegbaren US-Armee zerstört. Ich höre den arabischen Dienst von BBC und Voice of America nicht mehr. Wir wissen, dass sie alle lügen. Als ich ihnen noch zuhörte, habe ich geglaubt, die Amerikaner stünden in vier Tagen vor den Toren Bagdads. Jetzt kämpfen sie immer noch um die kleine, fast unbewohnte Hafenstadt Umm Qasr im Süden. Die Amerikaner werden Bagdad niemals erobern.

Meine Stimmung hat sich seit den ersten Tagen der Bombardements um 180 Grad gedreht. Viele bei uns verspüren so etwas wie Stolz über den Widerstand der irakischen Armee. Viele von meinen Bekannten, auch die, die regimekritisch sind, fühlen, dass es jetzt nicht um die Verteidigung des Regimes, sondern um ihre Selbstverteidigung und die Verteidigung ihres Landes gegen eine Besatzung geht. Die gute Moral unserer schlecht ausgerüsteten regulären Armee hat auch die Moral der Zivilisten gestärkt. Ich bin überrascht, dass selbst die regimefeindlichen Schiiten im Süden Widerstand leisten. Die Amerikaner haben sich verschätzt, sie verstehen die Araber genauso wenig wie die Araber die Amerikaner.

Jetzt gehen alle hier wieder auf die Straße. Sie fürchten sich nicht mehr vor den amerikanischen Luftangriffen. Ich bin mit meinen Töchtern spazieren gegangen. Wir haben zusammen zugesehen, wie ein kleiner See aus Öl von den irakischen Soldaten angezündet wurde und eine große Rauchwolke entstand. Für eine Weile war die Sonne weg. So wollen sie die Luftangriffe stören. Die meisten Supermärkte haben wieder geöffnet, wir haben sogar frisches Obst gekauft. Zu Hause gab es später Hühnchen mit Safranreis. Das erste richtige Mahl seit Beginn des Krieges.

Aber die Luftangriffe gehen eben auch weiter. Beim Bombardement letzte Nacht hatte eine Katze im Garten eine Fehlgeburt. Eine kleine Rakete schlug nur 200 Meter vom Haus entfernt ein. In der unmittelbaren Nachbarschaft von uns ist kein militärisches Ziel, nur eine Schule. Bei den Luftangriffen verhalten wir uns inzwischen immer nach einem ähnlichen Muster. Meine Frau singt unseren verängstigten Töchtern während der lauten Einschläge Kinderlieder vor und dann wird meist die Musik aufgedreht und getanzt. Ich habe gestern das erste Mal Flamenco getanzt.“