Anschläge zum Opferfest

Zu Beginn des Opferfestes sprengen sich Attentäter in den Büros der großen Kurdenparteien im irakischen Arbil in die Luft. Zuvor gab es Warnungen vor Anschlägen der Gruppe „Ansar al-Islam“

VON INGA ROGG

Der Terror im Zweistromland hat Kurdistan erreicht. Bei Anschlägen auf die beiden führenden kurdischen Parteien wurden am Sonntag in der kurdischen Hauptstadt Arbil mindestens 57 Menschen getötet. Beinahe zeitgleich zündeten am Vormittag Ortszeit Selbstmordattentäter vor den Vertretungen der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union (PUK) zwei Sprengsätze.

Der Zeitpunkt war mit zynischer Präzision gewählt. Gestern war der erste Tag des islamischen Opferfestes Eid al-Adha, an dem man sich traditionell Glückwünsche überbringt. Hochrangige Vertreter beider Parteien gaben einen Empfang, und die beiden Büros waren deshalb gut besucht. Nach Angaben des Ministers für Menschenrechte, Mohammed Ihsan, sind unter den Toten auch der stellvertretende Ministerpräsident der KDP-Regierung in Arbil, Sami Abul Rahman, sowie weitere hochrangige KDP-Politiker.

Nach Angaben von Bewohnern der Stadt wurde die Bevölkerung zu Blutspenden aufgerufen und Ärzte für Notdienste angefordert. Vor den Krankenhäusern kam es zu dramatischen Szenen, als Familien unter den Opfern nach Angehörigen suchten. In Arbil wurde der Ausnahmezustand ausgerufen.

Bislang galt die kurdische Region als relativ sicher. 1991 war es den kurdischen Parteien gelungen, die Gebiete zwischen den Provinzen Dohuk im Norden und Suleimaniya im Süden unter ihre Kontrolle zu bringen. Unter dem Schutz der alliierten Flugverbotszone bildeten die beiden Parteien, KDP und PUK, nach Wahlen im Mai 1992 eine gemeinsame Regierung in Arbil. Bald schon brach das Bündnis, und beide Parteien lieferten sich einen mehrjährigen Kleinkrieg um die Vormachtstellung in der Region.

Der Konflikt wurde erst 1998 beigelegt, als die Clinton-Administration einen Waffenstillstand vermittelte. Die KDP unter Masud Barzani stellt seitdem die Regierung in Arbil und Dohuk, während die PUK von Jalal Talabani die Gebiete im Südosten verwaltet. Trotz der politischen Zwistigkeiten gelang es beiden Seiten, in den von ihnen regierten Landesteilen für aufkommenden Wohlstand zu sorgen. Die geplante Zusammenführung der beiden Regierungen stieß aber weiterhin auf Probleme. Erst jetzt, wo es um die Durchsetzung der von vielen Kurden gewünschten Föderation im Irak nach Saddam Hussein geht, geht es wieder voran. Bis zum Frühjahr soll es wieder eine gemeinsame Regierung geben, heißt es in Kreisen beider Parteien.

Noch ist unklar, wer hinter den Anschlägen vom Sonntag steckt. Doch Sicherheitsvertreter beider Parteien haben bereits in den vergangenen Wochen auf das erhöhte Sicherheitsrisiko in Kurdistan hingewiesen. Vor allem aus dem Umfeld der militanten Islamistengruppe Ansar al-Islam (Helfer des Islam) sei mit Anschlägen zu rechnen, die auf eine möglichst hohe Opferzahl unter der Zivilbevölkerung zielen. Ansar al-Islam war im Herbst 2000 aus einer Spaltung der radikalen „Islamischen Bewegung Kurdistans“ hervorgegangen und hatte sich im Grenzgebiet zu Iran festgesetzt. Dort hatten auch Veteranen aus dem Afghanistankrieg aus arabischen Ländern Zuflucht gefunden. Sie lieferten sich einen Kleinkrieg mit der PUK und verübten mehrere Attentate auf deren Politiker. US-Außenminister Colin Powell sah in Ansar al-Islam das Bindeglied zwischen Saddams Regime und dem Terrornetzwerk von al-Qaida. Nach der Bombardierung ihrer Lager durch die USA und einer Bodenoffensive der PUK flüchteten die überlebenden Kämpfer in den Iran, von wo etwa hundert in den vergangenen Monaten in den Irak zurückgekehrt sein sollen. Ihr Militärchef Aso Hawleri, ein Kurde aus Arbil, wurde im Herbst von den Amerikanern bei Mossul festgenommen. Wer immer hinter den Anschlägen steckt, die Botschaft ist klar: auch in Kurdistan gibt es keine Sicherheit mehr.