Trauer um Ralf Briese: Der Versuch, zu verstehen

Der Grünen-Politiker Ralf Briese hat sich offenbar das Leben genommen. Er plante den Abschied aus der Politik.

Der Grünen-Politiker Ralf Briese.

HANNOVER taz | Der verstorbene niedersächsische Landtagsabgeordnete Ralf Briese wird am Montag in Oldenburg mit einer Trauerfeier verabschiedet. Dort lebte er fast 20 Jahre, seit 2006 saß er im Rat der Stadt.

In Hannover haben die Abgeordneten Brieses am Mittwoch in der Landtagssitzung gedacht. Leer geblieben war sein Platz, weiße Rosen auf Pult und Stuhl. Nach dem bisherigen Erkenntnisstand der Polizei hat sich der 40-Jährige, der unter schweren Depressionen litt, am vergangenen Sonntag das Leben genommen. Sein Umfeld zweifelt daran nicht. "Es ist fürchterlich und zutiefst traurig, dass Ralf diese Entscheidung getroffen hat", sagt Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel.

Briese saß seit 2003 Landtag und verteidigte als ihr innenpolitischer Sprecher hartnäckig die Bürgerrechte im schwarz-gelb-regierten Niedersachsen: Er prangerte verdachtsunabhängige Moschee-Kontrollen ebenso an wie das harte Vorgehen der Polizei bei Castor-Einsätzen. Wenzel spricht nach Brieses Tod von einer "Zäsur, nach der der Alltag so schnell nicht wieder einkehren kann", von der "Suche nach Erklärungen", dem "Versuch, zu verstehen." Und davon, "dass diese Versuche immer unvollständig bleiben."

Keine Schwäche zulassen

Aufrichtige Bestürzung ist in diesen Tagen nicht nur bei den Grünen zu spüren. Die Aktuelle Stunde wurde für diese Landtagswoche abgesagt, ebenso die Dringlichen Anfragen. Ein Wunsch der Grünen, dem sich alle Fraktionen anschlossen. Landtagspräsident Hermann Dinkla (CDU) rief zu Beginn des Plenums auf, inne zu halten und zu fragen, "ob viele von uns mit dem starken Zwang, der sich aus der politischen Arbeit ergibt, dem Anspruch an uns selbst, immer ansprechbar sein zu wollen und keine Schwäche zuzulassen, manchmal die eigenen Kräfte überschätzen."

Der Beruf des Politikers mache es schwerer, mit einer Depression umzugehen, sagt Frank Schneider, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Uniklinik Aachen, der Profisportler, Manager und auch Politiker behandelt: "Alles spielt im öffentlichen Rahmen, wird beachtet und kommentiert, man ist ständig Kritik ausgesetzt."

Studien zu Depressionen bei Politikern gibt es nicht. Die Dunkelziffer sei hoch, Outings sehr selten, so Schneider: Zu groß sei die Sorge, "danach als schwach, nicht belastbar und nicht zuverlässig stigmatisiert zu werden". Dabei ähnelten die Themen bei depressiven Politikern denen anderer Erkrankter. "Auch Politiker sind Menschen", sagt Schneider. "So wie andere Arbeitnehmer Angst vor Entlassung haben, mögen Politiker Angst um die Wiederwahl haben."

Ralf Brieses Erkrankung war Teilen seines Umfelds bekannt. Immer wieder suchte er Abstand zum Politikbetrieb, nahm Ruhezeiten und Pausen. Grünen-Fraktionschef Wenzel beschreibt ihn als "jemand, der immer dafür plädiert hat, Zweifel zuzulassen und als ein Stück Lebensrealität anzunehmen." Vom Eindruck, dass Briese stets eine leise, scherzhafte Distanz zum Politikbetrieb gehalten habe, sprechen andere Weggefährten. In Oldenburg hatte er im kleinen Kreis von Plänen für einen Rückzug, für ein Leben abseits der Politik gesprochen: Bei der Landtagswahl 2013 wollte er nicht mehr antreten.

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