Der Popwende getrotzt

Eyeless in Gaza spielen guten Avant-Folk-Wave mit schlauen Texten. Am Samstag geben sie ihr einziges Deutschlandkonzert im Quasimodo. Folk ist also längst nicht out

Folk in den Achtzigerjahren? Fast jeder wird jetzt sagen: Folk fand damals nicht statt. Denn Folk war nach der Popwende 1982, neben Disco und Synthetik, so unmodern wie vielleicht nur Klassik.

Was es neu gab, waren unsägliche Versuche, irische Tradition mit Waverock zu vermengen, wie etwa die Hooters, und deutsche Ableger wie M. Walking oder Poems For Laila. Schlimm war das. Eine der wenigen Ausnahmen, was akzeptable, moderne und zugleich gute Folkmusik aus den Achtzigerjahren betrifft, waren Eyeless in Gaza. Und die geben am Samstag nun ihr einziges Deutschlandkonzert im Quasimodo.

Eyeless in Gaza haben einen sehr politischen Namen, stammen aber keinesfalls aus Israel, sondern aus einem Kaff in der englischen Grafschaft Warwickshire namens Nuneaton. Gegründet wurde das Duo von Martyn Bates und Peter Becker bereits im Jahr 1980. Nach zwei, drei veritablen Singles wie „New Risen“ oder „Sun Bursts In“ verschwand die Band Mitte der Achtziger in der Versenkung, bis es nach einigen Soloversuchen Bates’ in den Neunzigerjahren eine Neuauflage der Band gab. Der politisch klingende Name bezog sich allerdings nicht auf den Nahostkonflikt, als vielmehr auf den gleichnamigen Roman von Aldous Huxley, der hierzulande unter dem harmloseren Titel „Geblendet in Gaza“ erschien.

Mittlerweile haben Eyeless in Gaza nicht nur die meisten der ehemaligen Mitstreiter überlebt. Sie können auch auf eine satte und stattliche Anzahl von Veröffentlichungen zurückblicken – vor zwei Jahren erschien mit „Plague of Years“ eine so genannte „Best of“. Sie präsentiert Becker und Bates als kongeniales Songwriterpaar, mit schlauen Texten, genreüberschreitenden Bezügen, nicht allein zu Folk und New Wave, sondern auch zu Ambient, Indierock, Goth und Avantgarde. Nähen zu Current 93 oder Death In June sind nicht ganz zufällig.

Tatsächlich haben sich die beiden um kommerzielle Erfolge nie groß geschert, was man der Musik auch anhört, und was Eyeless in Gaza nicht immer zum Vorteil gereicht. In den frühen Stücken ist die Verwandtschaft zu den Pale Fountains unverkennbar, später fransen die Songs in leicht ätherische, quasireligiöse Besinnungshymnen aus. Die späten Platten beinhalten einige Instrumentalstücke, willkommene Pausen vom dringlich klingenden Gesang Bates‘, der über diese in den Achtzigern sehr beliebte Stimmlage verfügt, die man auch von Lloyd Cole oder Mick Head (Pale Fountains) kennt.

Das Religiöse liegt den beiden Musikern auch persönlich nicht fern: „Ich habe mich immer schon für Magie interessiert, so, wie ich mich auch für Religion interessiere“, bekannte Bates in einem Interview mit The Wire. Jungianer ist der stets gern zum Buch greifende Bates auch. Mit Partner Becker pflegt er eine Freundschaft, die nach eigenen Angaben ans Telepathische grenzt. Neben Becker arbeitete Bates auch schon mit Anne Clark oder für Filme von Derek Jarman.

Wer also erfahren möchte, wie Folk unter dem Einfluss von Postpunk und New Wave klang und heute noch klingt, wer hören möchte, wie kathedralisch Folkpop werden kann, oder wer zu der festen, treuen Fangemeinde des englischen Duos gehört, der sollte sich am Samstagabend im Quasimodo – das Huxley‘s hätte natürlich besser gepasst, ist für die beiden aber wohl zu groß – blicken lassen. Um 22 Uhr geht’s los. Sonnenbrillen sind Pflicht. RENÉ HAMANN

Eyeless in Gaza am 1. November 2008 um 22 Uhr im Quasimodo, Kantstraße 12a