Tödliche Verwechslung: Polizei soll vor Gericht

Zurwehme und die Folgen: Anwalt will neues Verfahren gegen Polizisten, die irrtümlich einen Rentner erschossen

BERLIN taz ■ Die irrtümlichen tödlichen Schüsse zweier Polizisten auf einen Rentner während der Fahndung nach dem flüchtigen Mörder Dieter Zurwehme im Sommer 1999 könnte weit reichende Nachwirkungen haben. Der Kölner Rechtsanwalt Carl Gustav Cremer, der die Hinterbliebenen des getöteten Rentners Friedhelm Beate vertritt, hat erneut Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung der Thüringer Staatsanwaltschaft eingelegt. Sollte er Erfolg haben, dann könnte dies Auswirkungen auf das polizeiliche Einsatzhandeln in ganz Deutschland haben.

Erstmals würde dann darüber entschieden, ob Polizeibeamte auch für taktische Fehler zur Verantwortung gezogen werden können, die bereits im Vorfeld eines Einsatzes gemacht wurden.

Im gesamten Bundesgebiet hatte die Polizei seinerzeit mit Großaufgeboten nach dem flüchtigen Vierfachmörder Dieter Zurwehme gesucht. Am Abend des 27. Juni 1999 war ein Mann, auf den die Beschreibung passte, unter dem Namen Friedhelm Beate in einem Hotel des Örtchens Heldrungen abgestiegen. Eine dort beschäftigte Frau benachrichtigte daraufhin die Polizei, die zwei Zivilbeamte losschickte, um den Hinweis zu überprüfen. Unter einem Vorwand brachten sie den Rentner dazu, die Zimmertür zu öffnen – und schon stand Beate vor zwei Unbekannten mit gezogenen Waffen. Erschreckt schlug der Rentner die Tür zu, und sofort feuerten die Beamten. Ein Schuss durchschlug seine Brust, ein zweiter ging direkt ins Herz.

Ein erstes Ermittlungsverfahren gegen die Todesschützen wegen des Verdachtes der fahrlässigen Tötung war bereits im Dezember 1999 eingestellt worden. Ein Gutachten hatte ihnen eine „starke Stresssituation“ bescheinigt, als deren Folge die Schüsse „nicht auf einer bewussten Handlung“ beruht hätten. Der Beamte, der Beate ins Herz schoss, so hieß es, habe „im Grenzbereich seiner Informationsverarbeitung“ operiert. Sein Kollege sei durch dessen Schuss einem „unbewussten Mitzieh-Effekt unterlegen“.

Cremer ließ daraufhin ein Gegengutachten erstellen und erreichte im Sommer 2001 die Wiederaufnahme der Ermittlungen. Zugleich erweiterte er den Strafantrag auf die Beamten der Einsatzleitzentrale, denen er schwere Versäumnisse vorwirft: Durch einen einfachen Anruf bei der Ehefrau Beates hätten sie dessen damaligen Aufenthalt erfahren können. Zudem hätte mit der Festnahme eines mutmaßlichen Gewalttäters wie Zurwehme gleich ein Sondereinsatzkommando beauftragt werden müssen statt zweier normaler Streifenpolizisten.

Eine solche Strafanzeige gegen Beamte einer polizeilichen Einsatzleitzentrale ist ein Novum. Bisher nämlich konnten die Zentralen bei Notrufen schlicht Kollegen losschicken und darauf hoffen, dass diese den Fall angemessen behandeln. Als verantwortlich für deren Fehler galten sie nicht. Folgt das Gericht nun der Argumentation Cramers, dann müssten die Beamten in den Zentralen sehr viel genauer überlegen, wer in welcher Mission loszuschicken ist.

Die Tragweite dieses Novums erkannte auch die Staatsanwaltschaft Erfurt. Doch vor 14 Tagen hat sie auch das zweite Ermittlungsverfahren eingestellt. Den beiden Leitungsbeamten könne „ein strafbares Verhalten im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz“ nicht nachgewiesen werden. So habe nicht festgestellt werden können, „dass die Vornahme weiterer Aufklärungsmaßnahmen vor dem unmittelbaren polizeilichen Zugriff mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Vermeidung des Todes des Hotelgastes geführt hätten“.

Doch damit wollen sich weder Anwalt Cremer noch seine Mandanten abfinden. „Was der Staat sich leistet, ist ein Skandal“, sagt Cremer und will die Einstellung erneut anfechten. Kommt es zu einer Verhandlung, dann könnte der Tod des Friedhelm Beate Rechtsgeschichte schreiben, die über den „Fall Heldrungen“ weit hinaus geht. OTTO DIEDERICHS