Rassismus: "Es wird einem nichts geschenkt"

Nuran Yigit und Serdar Yazar beraten Diskriminierungsopfer. Sie glauben, dass die Sensibilität der Gesellschaft wächst - aber langsam.

Für viele Türkeistämmige sind die Fragen von Identität und Zugehörigkeitsgefühl nach wie vor schwieriges Terrain Bild: dpa

taz: Warum darf ich eigentlich als deutschstämmige Deutsche Türkeistämmige nicht fragen: Wo kommst du her? Unter Deutschtürken ist das oft die erste Frage, die man sich stellt.

Serdar Yazar: Weil ich als Gefragter vermute, dass die Absicht eine andere ist. Ein Türkeistämmiger, der einen anderen Türkeistämmigen danach fragt, tut das eher aus Interesse. Wenn das eine weiße deutsche Person fragt, impliziert die Frage zwar ebenfalls Interesse an der Herkunft, aber auch eine Grenzziehung: Du bist - anders als ich - offenbar nicht von hier. Es ist ja in der Regel auch keine gegenseitige Frage: Die "wahre" Herkunft der einen Person wird hinterfragt, die der anderen steht nicht zur Debatte. Da steckt ein Machtgefälle drin.

Ob sie diskriminierend ist, hängt also davon ab, wer fragt?

Nuran Yigit, 37, ist Diplompädagogin und arbeitet beim Antidiskriminierungsnetzwerk des TBB.

Serdar Yazar, 30, ist Politikwissenschaftler, Trainer für Diversity und Antidiskriminierung sowie Vorstandssprecher des Türkischen Bundes Berlin Brandenburg (TBB).

Nuran Yigit: Auch wenn viele das nicht gern hören: Diese Gesellschaft ist strukturell rassistisch. Es gibt das Selbstverständnis: Menschen, die schon länger hier leben, haben mehr zu sagen, und die später Gekommenen, denen man das auch noch ansieht oder anhört oder am Namen anmerkt, die gehören nicht wirklich dazu. Die haben auch nicht das Recht, selbst darüber mitzubestimmen, ob sie dazugehören oder nicht.

Vor 50 Jahren, am 30. Oktober 1961, wurde das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei geschlossen. Heute leben etwa 1,8 Millionen türkische StaatsbürgerInnen und etwa 800.000 Deutsche türkischer Herkunft in Deutschland. In Berlin leben 104.000 türkische StaatsbürgerInnen und etwa 70.000 eingebürgerte Türkeistämmige.

Das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes Berlin Brandenburg berät Menschen, die von rassistischer Diskriminierung betroffen sind, und sensibilisiert die Öffentlichkeit

für dieses Thema. (awi)

Was benutzen Sie in Ihrer Arbeit für Begriffe, um diese Verhältnisse zu beschreiben?

Yazar: Ich versuche das kontextbezogen zu machen, je nachdem, in welcher Gruppe ich bin. Ich will ja, dass meine Botschaft verstanden wird. Natürlich wollen wir auch neue Begriffe in Umlauf bringen. Die Begriffe Mehrheit und Minderheit etwa sind sehr flexibel. Wenn man sich demografische Prognosen ansieht, werden heutige Mehrheiten und Minderheiten irgendwann kippen. Aber wenn in einer Schule oder Klasse eine bestimmte Gruppe in der Mehrheit ist, kann man dennoch nicht davon sprechen, dass sie die Macht hat. Im gesamten Schulkontext, in der Lehrerschaft dominiert immer noch eine andere Gruppe. Macht hat nicht nur mit Mehrheit zu tun, deshalb rede ich eher von Dominanz. Frauen etwa sind in keiner Gesellschaft in der Minderheit, und wir wissen, wie es um ihre Macht steht.

Wie würden Sie denn selbst gerne bezeichnet werden?

Yazar: Ich persönlich empfinde jede Bezeichnung, die auf ethnische Herkunft abzielt, als unangenehm. Geht es um neu eingewanderte Menschen, sind das natürlich Migranten. Aber auf die späteren Generationen trifft das nicht zu. In der politischen Diskussion nutzen wir den Begriff türkeistämmig. Aber "stämmig" hört sich auch blöd an.

Yigit: Im Antidiskriminierungsnetzwerk haben wir noch mal andere Begrifflichkeiten. Wir beraten ja alle Menschen, die von rassistischer Diskriminierung betroffen sein können. Dafür benutzen wir den Begriff "People of Color", der sperrig ist, aber am ehesten auf unsere Zielgruppe zutrifft. Nicht alle Menschen mit Migrationshintergrund sind von Diskriminierung betroffen. Es ist ein Unterschied, ob ich eine weiße Schwedin oder ein Türkeistämmiger bin. "People of Color" macht klar, dass es sich um eine rassifizierte Gruppe handelt, deren Mitgliedern aufgrund ihres Aussehens bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden.

Yazar: Darin steckt auch ein neues Konzept, das sich von den mit "Migranten" oder "Migrationserfahrung" beschriebenen unterscheidet. Es ist losgelöst von Zeitpunkt und Ort des Herkommens.

Yigit: Und bietet so die Möglichkeit zur Solidaritätsstiftung. Es geht nicht mehr darum, wo jemand herkommt, sondern um die Gemeinsamkeiten der hier Lebenden, die gemeinsamen rassistischen Erfahrungen.

Es ändert sich außer den Begriffen auch das Bewusstsein?

Yigit: Das Bewusstsein ändert sich auch mit den Begriffen. Meine Elterngeneration hat auch Diskriminierung erlebt und das auch benannt - untereinander. Aber öffentlich schwiegen sie, weil sie verinnerlicht hatten, nur Gäste zu sein. Die zweite und dritte Generation haben dieses Schweigen aufgebrochen, auch aus dem Bewusstsein heraus, dass wir hierblieben werden, ein Teil dieser Gesellschaft sind.

Hat sich auch Diskriminierung verändert im Laufe der Zeit?

Yazar: Die Bereiche, in denen sie stattfindet, haben sich erweitert. Diskriminierungserfahrungen gibt es eben mittlerweile auch an der Hochschule. Oder bei Bewerbungen um Wohnungen in einem Segment, in dem Menschen mit türkischen Namen früher gar nicht gesucht haben. Der Zugang zu bestimmten Lebensbereichen wird heute selbstbewusster gesucht und umso empörter ist oft die Reaktion auf Diskriminierung.

Yigit: Da ist die gläserne Decke, die den sozialen Aufstieg, den die zweite und dritte Generation anstrebt, stoppt. Das sind neue Diskriminierungserfahrungen. Aber inzwischen reden Betroffene viel eher darüber. Und seit 2006 gibt es mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz die Möglichkeit, zu klagen.

Welche Diskriminierungen beschäftigen Sie am meisten?

Yigit: Mehrheitlich solche im Arbeitsbereich. Da bietet das Gesetz auch die meisten Klagemöglichkeiten. An zweiter Stelle kommt der Punkt Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, worunter etwa Benachteiligungen bei Anmietung von Wohnraum fallen. Da wollen und können immer mehr Menschen klagen.

Sind Türkeistämmige stärker als andere betroffen?

Yigit: Auf diese Diskussion wollen wir gar nicht eingehen. Natürlich hat jede rassistisch diskriminierte Gruppe ihre eigene Geschichte, Sinti und Roma oder auch schwarze Menschen sind noch mal von ganz anderen Problemen betroffen. Aber wir wollen keine Opferkonkurrenzdiskussion, sondern den Solidaritätsaspekt betonen. Jede Diskriminierung ist schlimm.

Wie kam es eigentlich bei Ihnen dazu, dass Sie sich beruflich mit diesen Themen beschäftigen?

Yigit: Ich wollte eigentlich Kinderärztin werden. Aber es hat meine Biografie beeinflusst, dass auch ich immer dieses "Du gehörst nicht dazu" gespürt habe. Diese Erfahrung führte dazu, dass ich nun hier arbeite.

Yazar: Ich bin über Umwege hineingerutscht. Ich habe mich lange nicht als diskriminiert empfunden, da bin ich Spätzünder. Man nimmt vieles als selbstverständlich hin, wenn man als Türkeistämmiger hier aufwächst. Als Teenie wurde mir bewusst, dass ich ganz falsche Vorstellungen davon hatte, wo ich lebe. Man erlebt Ausgrenzung ganz deutlich, wenn man als Jugendlicher wegen der ethnischen Herkunft nicht in bestimmte Discos kommt. Und seit ich in Schulen berate, ist mir noch mal bewusst geworden, was ich selbst als Schüler erlebt habe. Das hatte ich offenbar 20 Jahre lang verdrängt.

Zum Beispiel?

Yazar: Verhalten, das bei anderen als pubertär galt, wurde bei mir mit meiner türkischen Herkunft in Verbindung gebracht. Oder es wurde mir, wenn ich in Diskussionen Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen geübt habe, empfohlen, in die Türkei zurückzukehren. Da wurde mit zweierlei Maß gemessen. Ich durfte nicht so kritisch sein wie die anderen.

Wie kommen wir jetzt zu einem besseren gesellschaftlichen Bewusstsein auf allen Seiten?

Yigit: Es muss noch viel passieren: Betroffene von Diskriminierung müssen noch selbstbewusster ihr Recht auf Gleichbehandlung einfordern. Es wird einem ja nichts geschenkt. In den Köpfen muss die rassistische Einteilung in "wir" und "die Anderen" aufgebrochen werden. Deutschsein ist nicht statisch, sondern in ständiger Veränderung. Der Widerstand ist noch groß, aber vielleicht sind wir ja in den vergangenen 50 Jahren etwas weitergekommen.

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