Vorwärts und schnell vergessen

Die deutsche Minderheit in Namibia verklärt ihre Kolonialgeschichte. Das ärgert Namibias Regierung. Aber auch sie ignoriert die Herero

UPPSALA taz ■ Nach wie vor verherrlichen oder relativieren viele Deutschstämmige in Namibia sowie reaktionäre Kolonialapologeten in Deutschland die damaligen Gräuel als zivilisatorische Mission. Davon zeugt die nostalgisch verklärende Mythologisierung deutscher „Heldentaten“ durch den „Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen, Freunde der früheren deutschen Schutzgebiete e. V.“: Ausgerechnet 2004 werden von den Mitgliedern der Militaria, Firearms & Ammunition Collectors Society of Namibia im Rahmen ihrer jährlichen Ausstellung hauptsächlich Waffen und Ausrüstungsgegenstände der „Schutztruppe“ zur Schau gestellt. Auch macht ein im Lande produzierter „Schutztruppen-Kalender“ für das Jahr 2004 die Runde.

Noch 2002 rechtfertigte ein Aufsatz in einem Sammelband, herausgegeben und verlegt vom langjährigen Vorsitzenden der Deutsch-Namibischen Gesellschaft, den vom damaligen Oberbefehlshaber der deutschen „Schutztruppen“ erlassenen Vernichtungsbefehl gegen die Herero wie folgt: „Des Generals Aufgabe als Soldat war gewiss die schnellst- und bestmögliche Beendigung eines Krieges, der mehr und mehr Menschenleben und materielle Werte kostete, aber auch die Schaffung eines Zustandes, der den Auswanderungswilligen des deutschen Volkes für sich und ihre nachfolgenden Generationen die versprochene neue deutsche Heimat sicherte.“ Gegen Kritik machte der gescholtene Aktivist deutsch-namibischer Freundschaft in der Windhoeker Allgemeinen Zeitung geltend, „dass die Menschen in Namibia … heute bodenständigere Fragen beschäftigen als die recht akademische Genozid-Debatte, nämlich der Weg nach vorn“. Als Indiz zitierte er Staatspräsident Sam Nujoma, der in einem Interview mit dem Südafrika-Korrespondenten der Welt Ende November 2002 erklärt hatte: „Das neue Namibia und das neue Deutschland beschäftigen sich nicht mehr mit der Vergangenheit. Wir lassen die traurige Geschichte hinter uns zurück.“

Allerdings beendete der namibische Staatschef (angeblich wütend gestikulierend) das ausführliche Gespräch mit der Warnung: „Wenn ihr Weißen weiterhin so arrogant seid, dann werden wir euch ganz sicher einen Schlag versetzen! … Ihr habt unsere Menschen in diesem Land umgebracht – glaubt ihr, wir vergessen das einfach so?“ Im August 2003 erließ der Präsident kurzerhand ein Verbot der seit 40 Jahren jährlich stattfindenden Gedenkveranstaltung deutschstämmiger „Südwester“ am Waterberg zur Erinnerung an die dortigen Kämpfe im August 1904. Nujoma nannte die Feiern „eine Provokation höchsten Grades“, die „niederträchtige Gefühllosigkeit“ dokumentiere.

Im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit zwischen Namibia und Deutschland hat es aber zu keiner Zeit ernsthafte Verhandlungen über Reparationsleistungen gegeben. Etwas bösartig formuliert, ist dies ein stillschweigender Pakt zwischen den politischen Eliten Namibias und Deutschlands, der die Empfindsamkeiten, Bedürfnisse und Interessen der Herero, Nama, Damara und San als Minderheitenvölker innerhalb Namibias und Hauptleidtragende der damaligen physischen Vernichtung gegenüber der Zentralstaatinstanz, dominiert von der Swapo und deren ethnisch-regionalen Wurzeln im Ovamboland, ignoriert beziehungsweise marginalisiert. HENNING MELBER

Hinweis: HENNING MELBER, geb. 1950, lebte ab 1967 in Namibia und trat dort 1974 der Swapo bei. Von 1992 bis 2000 leitete er ein regierungsberatendes Forschungsinstitut in Windhoek, jetzt ist er Forschungsdirektor am Nordic Africa Institute im schwedischen Uppsala.