„Ein Anflug von Optimismus“

Die deutsche Regierung ist doch die einzige, die genau das vertritt, was die eigene Bevölkerung denkt

Interview BERND PICKERT

taz: Frau Bennis, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen scheint jetzt alles auf endgültige Entscheidungen hinauszulaufen. Wie werden diese Ihrer Ansicht nach aussehen?

Phyllis Bennis: Die USA versuchen, der Welt etwas zu verkaufen, was die Welt nicht haben will. Sie brauchen neun Stimmen, um eine zweite Resolution durchzubringen. Tony Blair braucht innenpolitisch unbedingt eine solche zweite Resolution, und George Bush braucht unbedingt Tony Blair. Nicht militärisch – das könnten die Vereinigten Staaten auch allein. Doch wenn man von einer „Koalition der Willigen“ spricht, aber lediglich eine „Koalition der Gedrängten“ anzubieten hat, mit Bulgarien, Rumänien, der Tschechischen Republik, Mikronesien und Australien, dann hat das keine besonders große Überzeugungskraft. Großbritannien muss dabei sein.

Welche Möglichkeiten hat die US-Regierung, um die anderen Länder unter Druck zu setzen?

Die drei afrikanischen Staaten müssen einen Stopp der US-Finanzhilfe fürchten. Chile hat zwar offenkundig mehr Macht als die afrikanischen Länder, es ist auch reicher. Aber Chile arbeitet seit neun Jahren an dem angestrebten Freihandelsabkommen mit den USA, und das muss jetzt muss noch durch den US-Kongress. Es liegt an der US-Regierung, wann sie das Abkommen zur Abstimmung stellt …

Wie frei kann UN-Chefinspekteur Hans Blix agieren? Akzeptieren die USA seinen Handlungsspielraum?

Sie bedrängen ihn. Die USA hätten die Inspektoren gern aus dem Land, oder sie sollen erklären, dass sie behindert werden und die Kontrollen nicht funktionieren, oder sie sollen den nächsten Bericht viel viel negativer abfassen, so dass sich andere Länder daraufhin verpflichtet fühlen, die Position der USA und Großbritanniens zu teilen. Bisher hat Blix dem extremen Druck standgehalten. Er ist ein sehr aufrechter Mann. Aber die USA können sehr grob werden.

Wie wichtig ist für die US-Regierung der Faktor Zeit? Aus Washington hieß es doch ständig, wegen der Sommerhitze im Irak sei man in Eile.

Die Frage der Hitze scheint mir völlig übertrieben. Aus Washington verlautete immer, die Bodentruppen könnten im irakischen Sommer nicht agieren, wenn sie in ABC-Schutzanzügen stecken. Aber daran war ja auch nie gedacht. Denn zum einen glauben die Militärs ja selbst nicht an eine ernste Chemiewaffenbedrohung, und außerdem gibt es gar keine 150.000 ABC-Schutzanzüge. Soldaten vor Kameras werden Schutzanzüge tragen, aber nicht die ganze Invasionsarmee. Eile entsteht eher, weil niemand weiß, wie lange man eine so große Armee dort voll mobilisiert halten kann, ohne dass sie irgendetwas tut. Andererseits besteht ein Ziel des ganzen Aufmarsches auch darin, die permanente US-Präsenz rund um den Irak zu erhöhen – wie schon beim letzten Golfkrieg, nach dem wir plötzlich ständige US-Militärbasen in Bahrain, in Kuwait, in Katar, in Saudi-Arabien hatten, die es vorher nicht gab.

Es existiert also kein Zeitdruck für die USA?

Die Zeit läuft politisch davon, nicht militärisch. Die Regierung hat lange daran gearbeitet, das Irakthema auf die Tagesordnung zu bringen. Jetzt gibt es einige Länder, die auf die Kriegshysterie der Bush-Regierung einsteigen, aber das heißt nicht, dass sie wirklich glauben, es gebe irgendeine echte Dringlichkeit. Sie machen mit, weil die USA sagen, dass sie mitmachen sollen. Aber das geht nicht immer so weiter, und wenn es eine lange Periode der Inspektionen gibt, kühlt sich die Hysterie ab, und die USA haben den Zeitpunkt für den Krieg verpasst.

Bei der letzten Sitzung des Sicherheitsrats …

Beispiellos! Noch nie in der Geschichte hat es Standing Ovations im Sicherheitsrat gegeben, wie jetzt nach dem Beitrag des französischen Außenministers. Das hat die Dinge wirklich verändert: Die Kombination dieses Moments mit den Ereignissen des darauffolgenden Tages, als weltweit zehn bis elf Millionen Menschen gegen den Krieg auf den Straßen waren, hat zu einem unglaublichen Rückzug der US-Regierung und Großbritanniens geführt.

Aber wie dauerhaft ist das? Immerhin bleiben die USA bei ihrer Drohung, den Sicherheitsrat und womöglich die Vereinten Nationen insgesamt nicht mehr ernst nehmen zu wollen, wenn sie nicht bei einer zweiten Resolution mitziehen.

Derzeit ist alles völlig offen, im Sicherheitsrat kann alles passieren. Wahrscheinlich werden die USA und Großbritannien eine Resolution einbringen, die sich an den Formulierungen der Resolution 1441 orientiert. Es wird drinstehen, dass sich der Irak schwerer Verstöße gegen die Resolution schuldig gemacht hat. Dann wird es verschiedene ultimative Forderungen geben, mit der jeweiligen Androhung ernster Konsequenzen. Die USA werden dann behaupten, damit das Recht zum Krieg zu haben, und die Welt wird sagen Nein, und die USA werden sagen: Doch – wir schlagen los.

Wie sehen Sie denn die Rolle Frankreichs und Deutschlands?

Sie dürfen sich gestärkt fühlen. Die deutsche Regierung, mehr sogar noch als die französische, ist doch derzeit die einzige, die genau das vertritt, was die eigene Bevölkerung denkt: Wir wollen keinen Krieg. Die Frage ist sicher, ob sie dabei bleibt. Und das ist natürlich auch der Ansatzpunkt für die US-Regierung: Womit könnte man sie ködern, wie könnte man sie bedrohen?

Auch die öffentliche Meinung in den USA ist über den Krieg gespalten. Wie kommt es, dass sich das im Kongress kaum widerspiegelt?

Bei der Abstimmung im November haben rund 60 Prozent der Demokraten mit Nein gestimmt, jedenfalls im Repräsentantenhaus. Die Demokraten im Senat allerdings und die Führung der Demokratischen Partei hat sich in dieser Frage ausgesprochen feige verhalten. Von den ganzen Leuten, die sich jetzt um die Präsidentschaftskandidatur drängeln: Joe Lieberman, Dick Gephard usw. versucht sich niemand als Kriegsgegner zu profilieren.

Ist das die Angst, aufs falsche Pferd zu setzen? Immerhin scheint es niemanden in den USA zu geben – und auch außerhalb nicht viele –, die glauben, dass dieser Krieg nicht kommt.

Ich habe lange Zeit diese Zahlenspiele betrieben – heute ist die Kriegsgefahr bei 75 zu 25 Prozent und so was. Ich habe damit aufgehört, als ich immer weiter in die 90er reingekommen bin, weil mir das dann zu depressiv wurde. Erst in der letzten Woche habe ich zum ersten Mal wieder einen leichten Anflug von Optimismus gespürt, dass wir diesen Krieg vielleicht doch verhindern können. Wenn die drei afrikanischen Länder und Chile sich enthalten, Mexiko mit Deutschland und Frankreich mit Nein stimmt und die USA dann mit Spanien und Bulgarien allein dastehen – dann bekommen sie die neun Stimmen nicht zusammen. Das birgt allerdings die Gefahr, dass sie daraus den Schluss ziehen, es wäre besser, allein vorzugehen.

Ziel des Aufmarsches ist es auch, die US-Präsenz rund um den Irak zu erhöhen, wie beim letzten Golfkrieg

Und wenn die USA dann den Krieg gewinnen, wollen alle auf der Seite der Sieger stehen.

Das ist das Kalkül, und man kann zugleich erwarten, dass die USA alle abstrafen werden, die nicht mit ihnen sind. Natürlich werden die USA nicht die Beziehungen zu Deutschland abbrechen. Aber Washington kann der Bundesregierung das Leben schwer machen. Sogar wenn die Handelsbeziehungen gar nicht betroffen sind – doch selbst dies ist nicht auszuschließen.

Im Weißen Haus zählt die öffentliche Meinung, weil man ja wiedergewählt werden will. Wenn Sie Karl Rove wären, der persönliche Berater des US-Präsidenten, was würden Sie George W. Bush in diesen Wochen empfehlen?

Ich wäre in Panik. Denn ich wüsste, dass die Ideologen im Weißen Haus, die Richard Perles, Paul Wolfowitzes und so weiter, diese ganzen von einer Vision getriebenen gefährlichen Leute, sich nicht besonders für Wahlen interessieren. Sie werden von der Vorstellung der USA als globalem Empire getrieben, mit Israel als Juniorpartner und Irak als proamerikanischer Öldemokratie und einem befriedeten Saudi-Arabien. Wenn sie die Wahlen verlieren – macht nichts. Sie arbeiten außerhalb weiter, betreiben Lobbyarbeit, üben Druck aus, und verdienen zusätzlich noch eine Menge Geld. Wenn ich Karl Rove wäre, würde ich Bush sagen: „Mr. President, mit diesen Leute werden Sie die Wahlen verlieren. Sie dürfen nicht länger auf sie hören.“

Stellen wir uns also vor, Bush grübelt darüber nach, wie er aus dieser misslichen Situation wieder herauskommt …

Präsident Bush muss irgendwie einen Sieg verkünden können. Vielleicht geht es auch ein wenig kleiner: So könnte die US-Regierung für sich in Anspruch nehmen, dass erst der Aufbau des militärischen Apparates die verschärften Inspektionen möglich gemacht hat, die U 2-Flüge, die Gespräche mit Wissenschaftlern, die Raketenzerstörung. Dann könnte die US-Regierung ihren Erfolg verkünden und die Krise für beendet erklären.

Und Saddam Hussein bleibt an der Macht?

Das ist das Problem. Deshalb ist Exil oder Ähnliches so sehr in der Debatte. Sie könnten allerdings auch ihre alte Argumentation aufnehmen, dass ein Irak, der sich den Inspektionsregimen beugt und Abrüstung nachweist, bereits ein verändertes Regime bedeutet. Ich finde, wenn sie sich zum Sieger erklären wollen, dann sollen sie das tun, und ich gönne ihnen das gerne, vorausgesetzt, sie führen dann keinen Krieg und die Sanktionen werden aufgehoben. Mir geht es nur darum, dass die Menschen im Irak ihr Land wieder aufbauen können, dass die Sanktionen aufgehoben werden, dass die Wasserversorgung wieder instand gesetzt werden kann, dass das Öl wieder fließt und sich die Iraker selbst um die Zukunft ihres Regimes kümmern können.