Das Wunder der Globalisierung blieb aus

Vor zehn Jahren gründeten Kanada, die USA und Mexiko die nordamerikanische Freihandelszone Nafta. Doch die US-amerikanischen Versprechen von Wohlstand und Blüte für den kleinen Handelspartner Mexiko erfüllten sich nicht

VON NICOLA LIEBERT

„In zehn Jahren werden Mexikos Löhne genauso hoch wie in den USA sein“, gab sich ein Fabrikarbeiter in der mexikanischen Grenzstadt Reynosa überzeugt, und er sprach für viele. Das war im Dezember 1993 – einen Monat, bevor der Vertrag über Nordamerikas Freihandelszone Nafta in Kraft trat. Ein Beweis für die Wunder der Globalisierung sollte es werden: Der Lebensstandard im Dritte-Welt-Land Mexiko werde sich rasch an den der USA und Kanadas angleichen. „Wir wollen Teil der Ersten Welt sein“, verkündete der damalige Präsident Carlos Salinas de Gortari.

Und weil es den Mexikanern schon bald so gut gehen würde, werde auch die massenhafte illegale Immigration nach Norden aufhören, versprach US-Kollege Bill Clinton seinen Landsleuten. Zehn Jahre später schickte der Miami Herald erneut Reporter nach Reynosa. Der Optimismus sei verschwunden, berichtet die US-Zeitung. „Es hat viel Wandel in der mexikanischen Wirtschaft gegeben“, urteilt nun ein Arbeiter in der gleichen Fabrik für elektronische Komponenten. „Aber den Leuten geht es genauso wie vorher, wir haben keine Verbesserung erlebt.“ Umfragen in Mexiko belegen, dass nur noch 45 Prozent der Befragten die Nafta für eine gute Idee halten – bei der Gründung waren es noch 68 Prozent. Die Zahl der illegalen mexikanischen Einwanderer in die USA hat sich unterdessen verdoppelt – nach Schätzungen auf fast 5 Millionen Menschen.

Zehn Jahre nach der Gründung der Freihandelszone bietet die Nafta eine recht durchwachsene Erfolgsbilanz. Die drei Staaten Mexiko, USA und Kanada bilden mit der Nafta die zweitgrößte Freihandelszone nach der EU. Nächstes Jahr soll ihr die FTAA folgen und eine Freihandelszone auf beiden amerikanischen Kontinenten entstehen. Die Weltbank ist noch relativ positiv in ihrer Bilanz der Nafta. „Das Handelsabkommen half Mexiko dabei, sich dem Entwicklungsniveau seiner Nafta-Partner anzunähern“, lautet die zentrale Schlussfolgerung einer Mitte Dezember vorgestellten Studie. Ohne Nafta würde Mexiko demnach 25 Prozent weniger exportieren, die ausländischen Direktinvestitionen in Mexiko lägen um 40 Prozent niedriger, das Pro-Kopf-Einkommen sei an die 5 Prozent geringer.

Allerdings muss auch die Weltbank zugeben, dass die realen Löhne in Mexiko heute noch unter dem Stand vor der Nafta-Gründung liegen. Die US-Stiftung Carnegie Endowment for International Peace malt ein noch düstereres Bild: Handel und Investitionen hätten zwar rund eine halbe Million Industriejobs geschaffen, doch stehe dem der Verlust von 1,3 Millionen Jobs in der Landwirtschaft entgegen. Die mexikanischen Kleinbauern hatten den hereinströmenden Importen der hoch subventionierten industriellen US-Farmen nichts entgegenzusetzen. „Man braucht mehr als nur Handelsliberalisierung, um die Lebensqualität armer Menschen zu verbessern“, resümiert der Redakteur der Studie, John Audley.

Ist die Nafta somit wirklich ein gutes Vorbild für weitere Freihandelsabkommen wie die zentralamerikanische Freihandelszone Cafta, auf die sich die USA gerade mit El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua einigten? Und später die FTAA? Selbst die Weltbank ist skeptisch: „Die Lektionen aus Nafta sind, dass freier Handel allein ohne signifikante politische Reformen nicht genug ist.“ Beispiel Löhne: Die Nachfrage nach Arbeitern mit einer Berufsausbildung, die mehr verdienen als ungelernte Arbeiter, stieg dank Nafta. Doch die mexikanische Regierung hat es nicht geschafft, das Bildungssystem der Nachfrage anzupassen. „Handel gibt Leuten keine Ausbildung, er sorgt für keine Impfungen oder sonstige Gesundheitsversorgung“, meint die frühere US-Handelsbeauftragte und Nafta-Chefunterhändlerin Carla Hills, die genau wie die Weltbank die Schuld bei Mexiko ablädt.

Selbst das als größter Erfolg der Nafta gefeierte verarbeitende Gewerbe in Mexiko steht offenbar auf tönernen Füßen. Die als Maquiladoras bekannten grenznahen Fabriken, wo Mexikaner aus importierten Vorprodukten billigst Fertigwaren für den US-Markt herstellen, erlebten einen beispiellosen Boom. Doch seit dem Höhepunkt im Jahr 2000, als 1,3 Millionen Mexikaner dort malochten, ist die Zahl der Jobs dort um ein Fünftel geschrumpft. Der Grund: Der Wirtschaftsboom in den USA ist vorbei. Und seit 2001 ist China Mitglied in der Welthandelsorganisation WTO.

In China sind die Arbeitskräfte noch billiger und besser ausgebildet – der Staat investiert massiv in die Infrastruktur. Seit 2001 sind daher mehr Jobs aus den USA nach China verlegt worden als nach Mexiko. Für die Arbeitslosen in den USA taugt die Nafta somit nicht einmal mehr als Sündenbock.