Interview mit dem Hamburger DAV-Vorsitzenden Helmut Manz: "Ein nüchterner Zugang zu den Bergen"

Die Hamburger Sektion des Deutschen Alpenvereins gewinnt seit Jahren neue Mitglieder hinzu. Das liegt weniger an den Alpen als am Boom des Sportkletterns.

Hat mittlerweile das Sportklettern für sich entdeckt: Helmut Manz, Vorsitzender der Hamburger Sektion des Deutschen Alpenvereins. Bild: Ulrike Schmidt

taz: Herr Manz, auf dem Titelblatt der aktuellen Ausgabe der Vereinszeitung Hamburg Alpin der Alpenverein-Sektion Hamburg und Niederelbe steht: "Wir holen die Berge nach Hamburg." Haben Sie sich da nicht etwas viel vorgenommen?

Helmut Manz: Das war die Entscheidung früherer Kollegen, die in Zusammenhang mit dem Bau eines Kletterturmes ein Motto finden wollten, um zu sagen: Wir haben jetzt hier eine Gelegenheit, um klettern zu können. Die Leute mussten früher ja an den Hamburger Brücken klettern, was schwierig war, weil die Genehmigungen nicht leicht zu bekommen waren. Oder sie mussten ins Mittelgebirge oder in die Alpen fahren.

Klettern an Hamburger Brücken? Wie kann man sich das vorstellen?

Die Pfeiler der Brücken sind zum Teil aus Quadern gebaut. Das ist dann eine Granitwand, die sich beklettern lässt. Das haben einige gute Kletterer herausgefunden, mussten dafür aber immer eine Genehmigung einholen. Das war vor der Zeit, in der wir die Kletterhallen gebaut haben.

Die Hamburger Sektion des Alpenvereins hat enorm von dem Kletterboom profitiert. Erst Anfang November haben sie eine neue Halle eingeweiht. Wann fing das mit den Kletterhallen bei Ihnen an?

Unser Kletterturm wurde 2001 gebaut. Im Jahre 2007 haben wir festgestellt, dass das Kletterangebot nicht ausreicht. Wir haben dann eine Halle gebaut, die aber sehr schnell wieder zu klein geworden ist. Also haben wir eine zweite, noch größere Halle gebaut, die Anfang November eingeweiht wurde. Jetzt sind wir in der Lage, der Nachfrage gerecht zu werden. Vor etwa zehn Jahren hatten wir 10.000 Mitglieder gehabt. Mittlerweile sind es über 16.000 Mitglieder und wir nehmen weiter zu.

Also sind die Kletterhallen der Anreiz, Mitglied zu werden.

71, stammt gebürtig aus dem bayerischen Eggenfelden. Er studierte in Frankfurt Arbeits- und Sozialrecht sowie Wirtschaftswissenschaften und arbeitete danach in Heilbronn für die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). 1974 kam er nach Hamburg und wurde Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der NGG. Seit April 2010 ist Helmut Manz Vorsitzender der Sektion Hamburg und Niederelbe des Deutschen Alpenvereins.

Ja, insbesondere für junge Mitglieder. Der Alpenverein drohte zu vergreisen. Seit wir Kletterangebote haben, bekommen wir sehr viele neue junge Mitglieder.

Wie viele Ihrer Mitglieder, schätzen Sie, haben die Alpen noch nie in Natura gesehen?

Schwer zu sagen. Es wird sicher viele geben, die noch nie in den Alpen unterwegs waren. Aber man muss ja unterscheiden zwischen dem alpinen Sport und dem Sportklettern. Sportklettern findet unter gleichbleibenden Bedingungen in der Halle statt. Das Sportklettern hat sich zum Breitensport entwickelt. Was nicht unbedingt bedeutet, dass alle deswegen alpin klettern wollen.

Aber müssten Sie als Alpenverein nicht versuchen, den Leuten die Alpen nahe zu bringen?

Wir haben drei Hütten in Österreich im Gebirge. Und wir fahren mit unseren Jugendlichen, nachdem sie im Kletterzentrum ausgebildet worden sind, ins Mittelgebirge, gelegentlich auch in die Alpen. Wir sagen: "Wir wildern sie aus".

Was reizt die Leute am Klettern?

Es geht darum, die körperliche Fitness verbessern. Bei uns klettern kleine Kinder genauso wie 80-Jährige. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Das andere ist der Reiz, eine Herausforderung zu meistern: Heute eine 5er, morgen eine 6er Route. Außerdem ist Klettern auch ein sozialer Sport: Sie brauchen immer einen Partner oder eine Partnerin, der sie sichert und umgekehrt.

Trotzdem: Fehlt beim Klettern in der Halle nicht etwas? Ein richtiger Berg ist ja mehr, als nur eine Wand zum Klettern.

Wer in die Alpen geht, hat sicher noch ein anderes Bergerlebnis. Da spielen emotionale Momente eine Rolle, die weit über das hinaus gehen, was sie beim Sportklettern erleben können. Wer auf einem Berg steht und über die Wipfel schaut, hat ein anderes Gefühl als derjenige, der in der Halle klettert. Die Extreme, die man in den Bergen findet, können wir hier natürlich nicht bieten.

Die Hamburger Sektion des Alpenvereins ist gerade 136 Jahre alt geworden. Wer hat sie gegründet?

Es waren betuchte Hamburger Bürger, die in die Alpen gefahren sind. Da haben sich einige am Fuß des Großglockners zusammengetan, vermutlich abends bei einem Glas Wein, und haben gesagt: Eigentlich müssen wir eine Sektion Hamburg gründen. Das war 1875. Da konnte kein Arbeiter und kein Angestellter so einfach in die Alpen fahren: Erstens hat man damals nicht so viel Urlaub gehabt und zweitens nicht das nötige Geld.

Am Anfang war es also eine elitäre Veranstaltung.

So ist es. Wer früher in die Sektion Hamburg eintreten wollte, der brauchte zwei Bürgen, für den Leumund und für den Fall, dass er den Mitgliedsbeitrag nicht bezahlt. So hat die Sektion dafür gesorgt, dass nur bestimmte Leute Mitglied geworden sind. Das ist heute anders. Wir sind offen und volksnäher. Es spielt keine Rolle, ob einer Professor ist oder Arbeiter. Wobei auch unsere Klientel eher akademisch orientiert ist. Wir haben hier sehr viele Studenten. Viele Medizinstudenten erstaunlicherweise. Wir bemühen uns auch, die Beiträge möglichst niedrig zu halten.

Was sagen die älteren ihrer Mitglieder zum Boom des Hallenkletterns?

Es gibt da und dort Diskussionen, dass wir zu kletterlastig geworden seien. Denn der Alpenverein ist ja kein Kletterverein. Trotzdem sind alle begeistert, weil sie sehen, dass sich der Verein in Hamburg verjüngt hat und größer geworden ist. Wir bieten neben dem Klettern auch Wanderungen und Bergfahrten an. Wir haben einen Mountainbike-Platz hier und eine Fotogruppe.

Verklären die Hamburger die Alpen, weil sie aus der Ferne die Ausbeutung im Zuge des Tourismus nicht mitbekommen?

Es gibt insgesamt so eine mystische Verklärung der Berge. Aber ich glaube, die meisten haben einen sehr nüchternen Zugang zu den Bergen. Die Faszination hängt damit zusammen, dass es ein gutes Gefühl ist, wenn ich zwei- oder dreitausend Meter hoch gestiegen bin. Man hat die Herausforderung gemeistert und steht am Gipfel. Die Menschen können dabei ihren Alltag vergessen. Das ist jenseits von mystischer Übertreibung was die Menschen brauchen. Etwas zu tun, sich dabei zu bewähren und sich dabei gut zu fühlen.

Sie haben auch einen Natur- und Umweltschutzreferenten in der Sektion. Was hat der denn zu tun?

Der Deutsche Alpenverein ist einer der größten anerkannten Naturschutzverbände auf der Welt. Wir bemühen uns, unsere Sportarten naturgerecht auszuüben. Der Naturschutzreferent versucht, diese Leitlinien auch in Hamburg umzusetzen. Beim Bau unserer neuen Halle haben wir zum Beispiel darauf geachtet, dass wir Sonnenenergie nutzen. Wir haben an der neuen Halle Nistkästen angebracht für Fledermäuse, um die hier wieder anzusiedeln.

Wie oft sind Sie persönlich noch in den Alpen?

In diesem Jahr zu wenig, ich musste zu viel arbeiten. Sonst bin ich regelmäßig da.

Wie geht es Ihnen alternativ mit den norddeutschen Mittelgebirgen Harz und Weserbergland?

Der Harz ist hoch interessant, weil er sich von anderen Klettergebieten durch seine Gesteinsform unterscheidet. Er hat abgewitterten Granit, der ist sehr rauh und schön zu beklettern, weil es sich um festes Gestein handelt. Im Weserbergland gibt es den völlig anderen Kalkstein. Der ist brüchiger. Deshalb muss man mehr aufpassen.

Welches ist ihr Lieblings-Bergfilm?

Was ich spannend fand, war der Film "Nordwand". Der war gut gemacht. Sehr authentisch.

In "Nordwand" ist der Berg der Ort, an dem sich die Menschen übernehmen und daran zu Grunde gehen.

Man sollte die Berge nicht unterschätzen. Man muss immer damit rechnen, dass etwas Unvorhergesehenes passiert: Ein Steinschlag, extremer Wetterwechsel, ein Gewitter. Wenn Sie dann in der Wand hängen, kann das sehr problematisch werden. In den Bergen gibt es immer ein Risiko, weil sich die Bedingungen ändern können. Das ist in der Halle anders. Da ändern sich die Bedingungen nicht. Aber auch dort bleibt ein Restrisiko, wenn die strengen Sicherheitsbestimmungen nicht beachtet werden.

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