Exzesse mit beschränkter Haftung

Am 31. Januar wird der Kunstpark Ost geschlossen. Eine Ära geht deswegen nicht zu Ende. Viele der Clubs ziehen um, Betriebe werden unter anderem Namen weitergeführt. Und wer wollte behaupten, dass das Vergnügungsgebiet mit dem subkulturellen Anstrich gut fürs Münchner Nachtleben war?

Die Polizei fährt nicht von Club zu Club, sie kontrolliert am Zentraleingang

von TOBIAS MOORSTEDT,
JAKOB SCHRENK
(Text)und VOLKER DERLATH (Fotos)

Manchmal in diesen Tagen hat man den Eindruck, in München werde bald die Nacht abgeschafft. Da feiern jedes Wochenende eine Viertel Million Menschen eine „Final-Countdown-Party“ nach der anderen. Noch zwei Wochen lang. Noch eine Woche. Ein letztes Mal. Bald herrscht nur noch Tageslicht. Und dann brennt die Sonne gleißend vom bayerischen Himmel. Dunkel wird es nimmer mehr. Das Leben eine einzige Überbelichtung – bis nichts mehr zu erkennen ist.

„Eine Ära geht zu Ende“, so beklagte letzte Woche Focus-TV emphatisch die „Schließung des Kunstparks Ost zum 31. Januar“. Die Musik verstummt, die Neonlichter erblinden. Bald geht etwas zu Ende, und das ist im konservativen Bayern ein schlechtes Zeichen. Denn wer sollte schon etwas Neues beginnen? Sechs Jahre lang konnte sich München mit „Europas größtem Vergnügungsgebiet“ schmücken, wie man den Broschüren des Fremdenverkehrsamts entnehmen kann. 100 Konzerte pro Monat, 250.000 Besucher am Wochenende, davon gut die Hälfte aus dem oberbayerischen Umland – ein Tanzballungsraum. 38 Clubs, Bars und Diskos, 42 Bierabnahmestellen, 60 Künstlerateliers, an die 30 kleine Betriebe, von der Druckerei bis zum Ein-Mann-Betrieb. Das soll jetzt vorbei sein. Eine Katastrophe?

Weltuntergangspathos-Pathos dieser Art ist nicht angebracht: Denn München erlebt ein langsames Sterben seiner Vergnügungszentrale am Ostbahnhof. Am 31. Januar wird erst mal nur die Marke „Kunstpark Ost“ beerdigt. Einige Clubs schließen zwar, andere ziehen zusammen mit Kunstpark-Erfinder Wolfgang Nöth in einen verlassenen Industriepark gleich nebenan. Ein Großteil der Betriebe existiert aber unter einer neuen Betreibergesellschaft weiter. Erst 2005 kommen dann die Abrissbagger und schaffen Platz für Büroimmobilien – mit denen sich ja bekanntlich noch mehr verdienen lässt als mit Bacardi-Cola.

Auf dem Kunstpark-Gelände erfand Werner Eckart 1949 den Pfanni-Knödel. Vor sechs Jahren wurde die Fabrik geschlossen. Der Münchner Konzertveranstalter Wolfgang Nöth pachtete das Gelände und vermietete es an die Clubs weiter. Statt Fertig-Knödel wurden nun also Fertig-Exzesse produziert. So groß ist der Unterschied vielleicht gar nicht.

„Der Kunstpark ist wie New York“, das steht auf der Internetseite der Betreibergesellschaft. Der Kunstpark Ost sollte so etwas sein wie eine Insel der Jugendkultur im bürgerlichen München, eine bessere Welt für alle, die sich jung genug fühlen – mit Anbindung zum öffentlichen Nahverkehr und ziemlich vielen Parkplätzen. Zugleich eine Sammlung von Kreativen. Kunst und Kommerz eben – das klang genauso gut wie Laptop und Lederhose.

Äußerlich hat der Kunstpark wirklich nicht viel mit dem Bild von München gemein, das im Rest der Republik gerne gepflegt wird. Kein Jugendstil. Kein Gold. Kein Marmor. Auf dem Weg zum Kunstpark Ost betritt man eine andere Welt. Ratternde Züge. Niedrige Tunnel im gelben Licht. Im Freien dann glotzen leere Fenster, breiter Beton bis zur Fabrik. 100 Meter lange Gänge, unbeheizbare Hallen, ein Irrgarten von Gebäuden, die nicht zueinander passen. Wirtschaftswundermüll.

„Eine ideale Umgebung für Party“, das sagte Wolfgang Nöth oft und versuchte damit die Knödelfabrik mit dem kulturellen Utopia Manhattan zu verbinden. Dort hatte der Milliardär Rockefeller um 1950 beschlossen, aus der Industriestadt New York – die ihm ohnehin zur Hälfte gehörte – eine Dienstleistungsmetropole zu machen. Die Hauptstadt der modernen Welt. Rockefellers Idee nahm bald Form an, leer stehende Manufakturen machten Platz für Lofts, Galerien und Übungsräume. So entstand ein Urban-Labor, in dem Kulturindustrie, Sub- und Hochkultur auf engstem Raum nebeneinander existierten. Zumindest eine Zeit lang. Seitdem gilt der Charme des Fordismus, die Zweckentfremdung, die scheinbare Enteignung des Kapitals – wie auch auf den Londoner Docklands oder in Berlin-Mitte – als kulturfördernder Einfluss.

Doch in München entstand kein rechtsfreier Raum, sondern eine GmbH. Zwar gab es auch das Ultra-Schall, das regelmäßig als einer der besten Clubs des Kontinents bezeichnet wurde, zwar existierte so etwas wie das Werk III, eine Art Plattenbau mit Laderampe, wo junge Künstler nur sieben Mark pro Quadratmeter zahlen mussten. Dennoch war der Kunstpark Ost nie ein Experiment, bei dem ein verrückter Chemiker zwei oder drei gefährlich brodelnde Substanzen zusammenschüttete, unter dem Tisch in Deckung ging und abwartete, was passiert. Der Kunstpark war ein Disneyland der Nacht, ein Kind der 90er. Mit Businessplan. Eine durchkalkulierte Mischung aus Techno-Beats, Rockklängen und Erlebnisgastronomie.

Der bröckelnde Putz ist nur Fassade, Zeichen einer vermeintlich existierenden Subkultur in München. Davon haben alle profitiert. Oberbürgermeister Christian Ude spielte den Förderer der Jugendkultur – das war ein bisschen Cool Britannia in München. Hallenmogul Wolfgang Nöth verdiente eine Menge Geld und sagte manchmal so ehrliche Dinge wie: „Dieses Gelände bei den Behörden genehmigungsfähig zu machen. Das war eigentlich die gesamte Kunst.“ Die bayerischen Polizisten mussten nicht umständlich von Club zu Club fahren, sondern kontrollierten die Jugendlichen einfach am zentralen Eingang. Und die Münchner Kulturjournalisten, die nicht länger von ihren Kollegen aus Hamburg und Berlin belächelt werden wollten, durften endlich mal das Feiern feiern.

München scheint suspendiert: kein Jugendstil, kein Gold, kein Marmor

Es ist schwer zu sagen, ob der Kunstpark dem Münchner Nachtleben geschadet hat oder nicht. Er war vor allem als Oberfläche interessant, als Veranstaltungsort für Konzerte. Doch solange es den Kunstpark gab, haben sich nur wenige Clubs in der Innenstadt etablieren können. Damals wie heute kann man die relevanten City-Clubs an einer Hand abzählen und sich dabei noch bequem eine Zigarette anstecken. Die Vermutung liegt nahe, dass der Kunstpark mit 70 Prozent niedrigeren Mieten eine Sogwirkung entfaltet hat, nach Osten hin, nach draußen. Das hat in München Tradition: die Stadt siedelte unbequeme Szenen schon immer gerne jenseits der Stadtgrenzen an. Das ist auch der Grund dafür, warum München wohl als einzige unter den Millionenstädten Europas kein Scherbenviertel, keinen Rotlicht-Distrikt, kein sichtbares Armenviertel aufweist.

Längst gibt es in Großstädten nicht mehr nur eine strikte Trennung zwischen den Funktionen Wohnen und Arbeiten, sondern auch zwischen Wohnen, Arbeiten und Vergnügen. Was der Kunstpark in den letzten Jahren für München war, hieß früher Schwabing. Damals waren die wichtigsten Discos, Musiklokale, Kleinkunstbühnen und Jazzkneipen an der Leopoldstraße zu finden, direkt in der Innenstadt; dort, wo heute sündteure Boutiquen und Bistros auf Touristen warten. Clubs und Bars gelten seit langem als Verschwendung von Arbeitsraum. Man siedelte die Nachtkultur einfach um: in abgelegene Gewerbegebiete etwa, oder menschenverlassene Gebiete an der Bahnlinie.

Selbst der Kunstpark Ost lag wohl noch zu zentral. Sein Nachfolgeprodukt, der Kunstpark Nord, liegt konsequenterweise 20 Kilometer vor dem Stadtkern. Im Vorort Fröttmaning soll bis 2005 ein neuer Tanzballungsraum entstehen – auf einem Gelände, das ähnlich groß ist wie der ehemalige Kunstpark Ost und sich nördlich an das noch zu bauende WM-Fußballstadion schmiegt.

Ein paar Hektar Land, zwischen Müllkippe und Flughafen, die alles bieten, was der Münchner zur Befriedigung seiner Bedürfnisse braucht: Fußball, Musik, Kino, McDonald’s. Fußballfans und Partypeople, völlig losgelöst, auf einer Art Raumstation des Vergnügens. Ein funktionierendes System, unverdorben von jeglicher Form von Urbanität. Und die Stadt reguliert die Zufahrtswege. Die U-Bahn und den Autobahnring. Wenn sie wollen, behalten sie die Leute im Kunstpark Nord dann eben ein bisschen länger da. Bis der Geldbeutel wirklich leer ist. Die einzige Verbindung nach draußen, die dann noch möglich ist, ist die zum Bankkonto.