Wie kann man nur so blöd sein?

Gerhard Schröder zog gegen die Verbreitung von Ehegerüchten vor Gericht. So blöd kann man nur sein, wenn man den Bezug zur Realität verloren hat

von BETTINA GAUS

Sie galten als Traumpaar – nun sind sie getrennt. „Es war super schwierig, unsere Terminpläne aufeinander abzustimmen“, sagt er dazu. „Wir konnten uns kaum sehen und wenn, waren wir beide total gestresst.“ Die Rede ist nicht vom Ehepaar Schröder. Dessen Anwalt Michael Nesselhauf kann sich entspannt zurücklehnen. Es geht um Vanessa von den No Angels und Giovanni von Bro’Sis. Aber es hätten doch die Schröders sein können, oder?

Nein, keineswegs. Deren Beziehung ist sehr glücklich. Sagen beide. Die Ehefrau hat Details gerade erst zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit dem Stern erzählt. Der Ehemann ließ vor ein paar Monaten sogar bundesweit gemeinsame Fotos als Plakate aufhängen und behauptete liebevoll, wenngleich unzutreffend: „Meine Frau hat eine eigenständige Rolle im Wahlkampf.“

Schön, dass die beiden uns alle an ihrer Liebe teilhaben lassen. Dafür sollten wir uns dankbar erweisen und akzeptieren, dass Leute, die offenherzig über ihr Privatleben plaudern, doch wenigstens die Grenzen selbst bestimmen dürfen. Wenn sich manche Medien an diese Spielregel nicht halten wollen, dann müssen sie dazu gezwungen werden. So einfach ist das.

So einfach ist das eben nicht. Der Löwe lässt sich nicht ungestraft am Schwanz ziehen. Die Preisgabe scheinbarer Intimitäten mag gelegentlich Wettbewerbsvorteile im Kampf um die Publikumsgunst erbringen – risikolos ist sie niemals. Politiker und Medien haben von jeher versucht, sich gegenseitig zu instrumentalisieren. Inzwischen sollten beide Seiten wissen, dass dieser Weg keine Einbahnstraße ist.

Es ist nicht wahr, dass Medien die Grenzen des Persönlichkeitsrechts generell nicht mehr akzeptieren. Über das Privatleben der großen Mehrheit des politischen Führungspersonals ist nach wie vor fast nichts bekannt. Grund zur Klage haben nur diejenigen, die einen gelegentlichen Blick durchs Schlüsselloch gerne erlauben, wenn sie aufgeräumt haben. Und die sich dann wundern, dass sie gerade damit Neugier auf unordentliche Verhältnisse wecken.

Selbstverständlich dürfen Zeitungen nicht lügen, und natürlich haben auch Personen des öffentlichen Lebens einen Anspruch auf den Schutz ihrer Privatsphäre. Deshalb gibt es entsprechende Gesetze. Aus guten Gründen ist auch Ruhestörung verboten. Trotzdem kann niemand Nachbarn leiden, die selbst gerne lärmen, aber beim ersten Ton aus der Nachbarwohnung sofort die Polizei rufen.

Ob jemand als Prozesshansel oder als Opfer erscheint, hängt von dessen eigenem Verhalten und von der Höhe seiner Toleranzschwelle ab. Wo die bei Gerhard Schröder liegt, hat er letztes Jahr aktenkundig werden lassen. Da wehrte er sich mit juristischen Mitteln gegen die Unterstellung, er lasse seine Haare färben. Er hielt dieses Gerichtsverfahren offenbar für imagefördernd.

Alle Prozesshansel haben eines gemeinsam: Sie können überhaupt nicht begreifen, wieso ihre Umgebung nicht zu erkennen vermag, dass sie schließlich nur ihr gutes Recht wahrnehmen. Wer das anders sieht, muss böswillig sein. Doris Schröder-Köpf hat im Zusammenhang mit der Berichterstattung über ihr Eheleben von einer „Kampagne“ gegen ihren Mann gesprochen: „Die wollen den Gerd weghaben.“

Ja, vielleicht wollen das manche. Aber Gerüchte über Ehekrach und Affären bedienen zunächst einmal ein anderes Bedürfnis: Den uralten Wunsch nach guten Klatschgeschichten. Was braucht Klatsch, um gedeihen zu können? Nahrung. Was ist deshalb das Dümmste, was Leute tun können, über die geklatscht wird? Futter zu liefern.

Es gibt entsetzliche, gemeine Unterstellungen, gegen die Betroffene sich kaum zur Wehr setzen können. Angebliche Beziehungskrisen gehören nicht dazu. Ein paar gut gelaunte gemeinsame Auftritte, amüsiertes Desinteresse an allen Tuscheleien – das war’s. Aus die Maus. Nichts ist öder als die Beobachtung eines Ehepaares, das freundlich miteinander umgeht. Der Bundeskanzler hat sich für einen anderen Weg entschieden. Er sorgt selbst dafür, dass die Gerüchte über seine angebliche Ehekrise nicht mehr aus den Medien verschwinden. Gerichtsverfahren bieten viele Anlässe, um Geschichten wieder und wieder detailgetreu zu erzählen. Inzwischen könnten die Schröders den Weltrekord im Dauerküssen brechen – es nützte ihnen gar nichts mehr. Wie kann man bloß so blöd sein?

So blöd kann man nur sein, wenn man in mancher Hinsicht den Bezug zur Realität verloren hat. Klatsch lässt sich nicht auf juristischem Weg aus der Welt schaffen, und ein Regierungschef, der bei unliebsamer Berichterstattung als Erstes an seinen Anwalt denkt, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm Sehnsucht nach dem Obrigkeitsstaat vorgeworfen wird.

Was übrigens alles nichts daran ändert, dass die Berichte über das Eheleben der Schröders ärgerlich und überflüssig sind. Die guten wie die schlechten.