ausgehen und rumstehen
: Was einen nach Hause treibt: Berliner Sehnsucht II

Ein Punkmädchen mit Ringelstrumpfhosen und einem Ring in der Nasenscheidewand saß in einem gut aussehenden Möbel und schaute in die Luft. Die Luft schien trocken. Schallwellen umkreisten das Mädchen. Nach einer Weile stand es auf, orientierte sich zur Theke, orderte etwas, bezahlte brav und ging mit zwei Drinks nach draußen. Es war noch mild.

Die Sehnsucht ist ein guter Motor fürs Schreiben, hörte ich jemanden auf einer Lesung sagen. Allein, es stimmt nicht: Die Sehnsucht treibt einen nur raus, nach draußen, in den Dunst, ins Biertrinken, ins Unglück, in aneinandergereihte Blickliebschaften, die verschwinden, wie sie kommen. Wortlos. Nein, das soll keine Klage sein. Oder doch. Doppelte Beobachtung und schriftliche Wiedergabe bringen jedenfalls meist auch nichts. Morgen ist diese Zeitung nämlich schon wieder von gestern. Und niemand ruft an.

Wie war das Konzert, fragt ein Freund mit Brille. Welches Konzert? Portugal. The Man, Sonntagabend im Lido, wie war es?, insistiert der Freund mit Brille und rückt näher, in dem Moment, in dem ich gerade Notizen mache. Also, sage ich, während er fast auf Tuchfühlung gerückt ist, es war ganz gut. Portugal. The Man sind eine ordentliche Rockband aus Alaska. Sie haben vielleicht zu durchschaubare Wechsel zwischen leise und laut, zwischen Reggae und Schmockrock, sonst aber war es ganz gut. Vielleicht standen auch zu viele Leute auf der Bühne, manchmal bis zu acht, und ihre eh schon dünnen Stimmen waren nicht gut abgemischt, sodass sie manchmal klangen wie die Schlümpfe, die plötzlich Hardrock machen.

Sie hatten Kinderstimmen. Dafür hatte Sänger John Gourley einen Monsterhall auf der Gitarre. Und die Nebelmaschine lief auch, tauchte den ganzen Saal in Nebel, man fühlte sich fast wie damals in der Großraumdisco. Es roch sehr süßlich. Den Menschen im ordentlich gefüllten Lido – man bedenke auch das Konkurrenzprogramm: Nada Surf, I’m From Barcelona, TV on the Radio, die spielten alle am selben Abend in der Stadt – wo war ich? Ach ja, den Menschen im Lido hat es sehr gefallen. Uns eigentlich nicht so. Wir fanden es okay, mehr nicht, es schien bequeme Kifferrockmusik zu sein, der die Höhepunkte fehlten.

In den selbst gewählten Pausen, die wir im zugigen Zelt im Innenhof des Lidos verbrachten, dachten wir: Hört man nur 20 Minuten von dieser Band, hat man schon alles, hat man die Band in Gänze begriffen. Dazu klangen sie, böse gesprochen, ein wenig wie Led Zeppelin ohne Eier, schloss ich, obwohl ich Led Zeppelin auch schon nicht mag. Die Songs waren sich zu ähnlich, dafür hat die Band aber ziemlich auf Oper gemacht, fügte ich noch hinzu. Der schönste Song hatte die Eingangszeile „I was born in 1989“, womit ich mich nur im übertragenen Sinne identifizieren konnte. Das ging aber einigen so.

Und hast du schon mal jemanden auf einem Konzert kennengelernt? Nein? Ich auch nicht. Der Freund mit der Brille trollte sich. Eventuell habe ich mir diese Konversation eh nur eingebildet.

Und es wird Herbst. Die Sonne täuscht da etwas, man verkühlt sich schnell, zu Hause haben wir schon den Ofen an.

Der neue, provisorische Zugang zur Hochbahn am Schlesischen Tor besteht aus einem Gittergerüst, da hinaufzugehen fühlt sich an wie auf der Kirmes. Die U 1 ist auffallend leer. Das Wochenende geht zu Ende, der Monarch hat zu, und während ich allein die Adalbertstraße heruntergehe, steuert sich eine schöne Buchhändlerin durch die Straßen Prenzlauer Bergs. Die Stiefel tun ihr weh. Die Trauben sind gegessen. Das Wochenende war nett. Die Hertha hat verloren. Ich bin von Langeweile befallen. Die Sehnsucht treibt mich heim.

RENÉ HAMANN