bauernopfer
: Schachspieler sind doch dümmer als ihr Ruf

Parallel zur Schüssel

Bisher umwehte Schachspieler mehr als ein Hauch von Intelligenz, Logik und kühlem rationalen Denken. Angesichts der jüngsten Vorfälle muss man aber daran zweifeln, ob die Spezies wirklich zu den herausragenden Geistern dieses Planeten zählt. Gewiss, die wirtschaftliche Pleite, die der Weltranglistenerste Garri Kasparow mit seiner Webseite Kasparov Chess Online in Israel erlitt, ist allein kein Indiz für ausufernde Dummheit. Kasparow reiht sich damit nur in die Reihe anderer Sportasse wie Boris Becker (bezeichnenderweise Hobby-Schachspieler) ein, die von Wirtschaft weit weniger verstehen als von ihrem ureigenen Metier.

Anderes gibt mehr zu denken über die Szene, die sich auf den 64 Feldern bewegt: Nicht nur dass sie gegen tumbe Elektronenhirne verlieren, jetzt benutzen die Schachspieler auch noch eben diese Computer falsch! Ende 1998 hatte der durchschnittlich begabte Amateur-Klötzleschieber Clemens Allwermann die Konkurrenten noch mit gewisser Raffinesse genarrt. Mit clever ausgetüftelter Übertragungstechnik übermittelte der ehemalige Selbstständige in der Unterhaltungselektronik die Züge des Gegners zu einem Helfer. Dieser gab die Antworten in das Schachprogramm „Fritz“ ein, danach erhielt Allwermann die Vorschläge des Computers im unter langem Haar versteckten Empfangsgerät mitgeteilt. 1.660 Mark gewann der Berkheimer dadurch als Kosieger des Turniers in Böblingen. Sein Coup platzte nur, weil er in der letzten Runde im Überschwang der Gefühle Großmeister Sergej Kalinitschew ein „Matt in acht Zügen“ angekündigt hatte. In komplizierter Stellung können das nur Computer. Dumm gelaufen!

Noch weniger Geschick bewies am Jahresende der Hesse Wolfgang Siegler. Beim Open in Lampertheim verschwand der Lorscher in den ersten Runden des Öfteren vom Brett – und das, obwohl er am Zug war. Anschließend verblüffte er die Kontrahenten nach seiner jeweiligen Rückkehr mit einer postwendenden Antwort. Das machte einige Teilnehmer stutzig, weshalb sich Schiedsrichter Markus Keller in der sechsten Partie an Sieglers Fersen heftete. Auf der Toilette angelangt, vernahm der Referee zunächst keine entlastenden Geräusche, die auf normale Erleichterung hätten schließen lassen. Auf dem stillen Örtchen wartete Keller geduldig im Vorraum, ehe er nach ein paar Minuten doch einen Blick unter der Tür hindurch wagte. Siegler hatte sich fatalerweise mit den Füßen parallel zur Toilette postiert, was die übliche Beschäftigung in der Kabine unmöglich machte. Deshalb kletterte der gewitzte Unparteiische auf die Nachbartoilette –und lugte über die Seitenwand. „Tatsächlich, Herr S. hielt ein Handheld mit einem laufenden Schachprogramm in der einen Hand, mit der anderen bewegte er einen Stift“, berichtete Keller später von seiner Entdeckung. Siegler versuchte sich herauszuwinden. Er habe „nur E-Mails bearbeitet“, lautete seine Entschuldigung. Den Minicomputer wollte er dem Schiedsrichter indes nicht zur Kontrolle aushändigen. Kurzerhand disqualifizierte Keller den Spieler, der wortlos von dannen schlich. Der Lampertheimer Turnierleiter will nun noch über die Verbände eine Sperre erwirken, die einst auch den Bajuwaren Allwermann ereilt hatte.

Die Firma Chessbase „bedankte sich“ derweil nicht nur bei Siegler, weil er sich für ihr Produkt „Pocket Fritz entschieden hat“. Die einem Ulk nie abgeneigten Hamburger kündigten auch gleich flink auf ihrer Homepage (www.chessbase.de) ein „Starter-Kit für elektronisches Doping“ an. Wo bleibt schließlich die ordentliche Ausbildung, wenn selbst Pädagogen wie Siegler, der mit einigen Schützlingen seiner Schach-AG in Lampertheim weilte, nicht in der Lage sind, den Kindern richtig das Bescheißen beizubringen?

Schon scherzt Chessbase, demnächst den Fachhandel mit „Pocket Fritz Tournament“ bestücken zu wollen. „Zum Trainieren unter realen Turnierbedingungen“ enthalte der Lieferumfang „Pocket Fritz 2.0 samt Pocket PC mit WC-Kit und externer Tastatur. Klobrille in pflegeleichter Plastik- oder geschmackvoller Holzausführung wählbar“. Chessbase warnt vor falschem Spiel, zeigt aber jenen, die dennoch betrügen wollen, wie man es richtig macht: Zunächst seien die Toilettengänge „psychologisch vorzubereiten“, rät Autor André Schulz und empfiehlt vor der Partie dem Gegner zu eröffnen, „ich gebe Ihnen lieber nicht die Hand, weil ich eine Magen-Darm-Grippe habe“. Die Fußstellung sei „toilettenspezifisch“ zu halten, sprich: immer die Beine richtig zur Schüssel postieren. Und am besten als Sichtschutz noch zusätzlich einen Regenschirm aufspannen, um auch gegen neugierige Blicke von oben gewappnet zu sein! Ist das alles so schwer? Mit ein bisschen Logik hätte das doch jeder halbwegs intelligente Schachspieler selbst herausbekommen können. HARTMUT METZ