„Den Alltag dokumentieren und archivieren“

Am Freitag spielt Berlin die Hauptrolle. 24 Stunden lang werden namhafte und unbekannte Filmemacher hier drehen. Das Ganze soll ungekürzt im Fernsehen laufen, freut sich der Dokumentarfilmer Volker Heise über „24 h Berlin“

VOLKER HEISE, 47, war Hörfunkredakteur. Seine erste Regiearbeit „Schwarzwaldhaus 1902“ wurde 2003 mit dem Grimmepreis prämiert.

taz: Herr Heise, am Freitag wird „24h Berlin“ gedreht. Was machen Sie gerade?

Volker Heise: Wir kümmern uns um die letzten Details, besorgen hier noch ein zusätzliches Ansteckmikro und kümmern uns da noch um Drehgenehmigungen für ein neues Motiv, wenn ein Protagonist doch nicht mehr dahin gehen will, wo er ursprünglich hingehen wollte.

In welchem Maße ist ein Mammutprojekt wie „24h Berlin“ überhaupt planbar?

Wir haben einen starken Rahmen gebaut: etwa durch die Auswahl unserer 15 Protagonisten und der Drehorte. Was allerdings innerhalb dieser Vorgaben passiert, können wir höchstens vorhersagen. Auf die Beiträge der Berliner zu unserem Programm haben wir sogar noch weniger Einfluss.

Welche Rolle spielt deren Beteiligung für Sie?

Eine große, und zwar auf zwei Eben: zunächst für unsere Homepage, auf der die Berliner Filmmaterial einstellen können, dann aber auch für das Fernsehprogramm „24h Berlin“, in das wir Teile des Internetmaterials integrieren wollen. Jetzt fragen Sie mich aber bitte nicht, wie das genau funktionieren soll.

Warum sprechen Sie von „24h Berlin“ nicht als Fernsehsendung, sondern als Programm?

Eine Fernsehsendung ist eine geschlossene Einheit, die physisch erlebbar ist, also normalerweise zwischen 30 und 90 Minuten dauert. „24h Berlin“ aber besteht aus vielen Einzelteilen, die von dem Programm zusammengehalten, organisiert werden. Das war unsere Herangehensweise, als wir entschieden haben, nicht nur einen Tag zu drehen, sondern auch einen Tag lang zu senden. Die Zuschauer sollen jederzeit ein- und aussteigen können, müssen also nicht wie bei einem Film den Anfang gesehen haben, um das Ende zu verstehen. Mein Interesse war es, herauszufinden, ob man auch mit einem Fernsehprogramm etwas erzählen kann.

Klingt nach einem Experiment.

Ja, wir werden erst in einem Jahr wirklich wissen, ob es geklappt hat. Aber in einer Zeit, in der Fernsehmacher immer mehr über den audience flow …

den Zuschauerfluss von einer Sendung zur nächsten …

… nachdenken, das Programm als Einheit sehen, erschien es mir angeraten, mich als Filmemacher auch mal mit dem Fernsehprogramm an sich auseinanderzusetzen.

Eine Idee, auf die man erst mal kommen muss, oder?

Ich komme ja vom Radio, habe als Redakteur Fritz und Radio Eins mit aufgebaut. Ich glaube, dadurch wurde mein Interesse am Programmmachen und -entwickeln geweckt. Wir haben uns beim Aufbau der Sender immer mit grundsätzlichen Fragen beschäftigt: Wie kann man ein Programm bauen? Wie muss sich das morgens anhören, wie abends? Viel von dieser Erfahrung ist in „24h Berlin“ eingeflossen.

Am Freitag werden 80 professionelle Kamerateams einen Tag im Leben von Berlin dokumentieren. Neben namhaften Regisseuren wie Andres Veiel, Romuald Karmakar und Volker Koepp sollen auch die Berliner Filmmaterial zu dem multimedialen Fernsehprogramm „24h Berlin“ beisteuern. Unter dem Motto „Berlin dreht durch! Dreh mit!“ sind dem künstlerischen Leiter Volker Heise alle am 5. September 2008 entstandenen Aufnahmen willkommen, die den Alltag in Berlin abbilden. Die wichtigsten Grundlagen zum Drehen sowie Tipps zu Kameraeinstellungen, Licht und Ton sind online unter www.24hberlin.de zu finden. Alternativ können Berliner, die sich an „24h Berlin“ beteiligen wollen, auch zu einem der zwölf Talkpoints in der ganzen Stadt kommen (Adressen auf der Website). Das von der Berliner zero one film produzierte 24-stündige Fernsehprogramm wird am 5. September 2009 von RBB, Arte und dem finnischen Sender YLE Teema ausgestrahlt. DENK

Welche Verbindung besteht zwischen „24h Berlin“ und den ebenfalls von Ihnen konzipierten Produktionen „Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus“ und „Schwarzwaldhaus 1902“?

Aus unserer Erfahrung mit historischen Stoffen wissen wir, wie schwierig es ist, den Alltag der Leute von damals zu rekonstruieren. Daraus entstand die Ursprungsidee von „24h Berlin“: den ganz unterschiedlichen Alltag der Berliner knapp 20 Jahre nach dem Mauerfall zu dokumentieren, um ihn zu archivieren und dann Historikern der Zukunft zur Verfügung zu stellen. Die Idee zu Programm und Website war dann nur noch eine logische Konsequenz.

Mit „24h Berlin“ macht sich also auch Volker Heise unsterblich?

Darüber mache ich mir keine Gedanken. Wenn ich mir heute meine Filme von vor fünf oder zehn Jahren angucke, haben die ja auch schon historischen Wert, sind Archiv geworden. Jeder, der schreibt, dreht oder malt, trägt dazu bei, dass die Erinnerung immer größer wird. Das ist völlig normal. INTERVIEW: DAVID DENK