Krisenkonzern Thyssen-Krupp: In Brasilien versackt

Ein Riesen-Stahlwerk bei Rio schadet nicht nur Anwohnern, sondern auch dem Konzern selbst: Die Kosten explodieren, Thyssen-Krupp rutscht in die roten Zahlen

Luis Carlos Oliveira bei der Hauptversammlung von Thyssen-Krupp Bild: Dachverband der Kritischen Aktionäre

Es war eine einmalige Szene. Hauptversammlung der Thyssen-Krupp AG, im Januar 2010. Am Rednerpult, wo sich eigentlich Manager präsentieren, spricht ein Mann im grobgestrickten Wollpulli, auf dem Kopf ein Mütze. Luís Carlos Oliveira sitzt im Rollstuhl, er ist Fischer, er kommt aus Brasilien.

Er schildert, wie der Bau des größten Stahlwerks Lateinamerikas seine Existenz vernichtet habe. Der Mann ist nach Deutschland geflogen, in Brasilien wohnt er fern seiner Heimat, denn nach Mordrohungen muss er in einem Schutzprogramm des Menschenrechtsministeriums leben.

In Deutschland hat ihm der Verband der kritischen Aktionäre sein Rederecht auf der Aktionärsversammlung übetragen. Dort übergibt er dem damaligen Vorstandvorsitzenden Ekkehard Schulz einen Fisch aus Stoff, "denn die echten Fische haben sie uns weggenommen". Der Manager bietet ihm einen Handschlag an, Oliveira verweigert ihn, die Aktionäre buhen.

Oliveira ist hartnäckig, er ist schließlich auch Fischer geworden, obwohl er seit seiner Kindheit gelähmt ist. Die Reise nach Deutschland war zugleich sein letzter Versuch, etwas auszurichten - nach einem langen Kampf, der begann, als der deutsche Konzern 2005 beschloss, westlich von Rio ein gigantisches Projekt zu realisieren.

Der Traum: Brasilianisches Eisenerz wird gleich im Land verarbeitet, die kolumbianische Kokskohle für die Hochöfen am werkseigenen Hafen angelandet. Alles machen billige Arbeitskräfte, und den Stahl bringen Schiffe aus dem Hafen nach Deutschland und die USA, wo er weiter verarbeitet wird.

Tief in die roten Zahlen

Oliveira und seine Kollegen kämpften gegen das Projekt, sie sahen schon früh die Fischerei beeinträchtigt. "Sie haben für eine lange Brücke zum Hafen ein Stück unserer Mangrovenwälder zerstört, mit Krustentieren, Krabben und Laichgründen", erzählt er der sonntaz.

Die Umwelt? Der Konzern entgegnete jetzt auf Nachfrage: "Thyssen-Krupp CSA unternimmt alle Anstrengungen, um Fauna und Flora zu schützen." Zudem seien die Fischereigesellschaften der Region einbezogen worden, nur wenige agitierten gegen das Projekt. Dabei haben zusammen mit Oliveira inzwischen über 5.700 Fischer eine Entschädigung gefordert.

Die Proteste sollten nicht das einzige Problem von Thyssen-Krupp bleiben. Die Baustelle versank zeitweise im Mangrovensumpf, Subunternehmer schlampten, die Kokerei lief nicht. Das Megaprojekt in Brasilien zieht den Konzern tief in die roten Zahlen.

An diesem Freitag lud der neue Vorstandschef Heinrich Hiesinger überraschend zu einer Pressekonferenz. Die Nachricht: Im Geschäftsjahr 2010/11 sei ein Fehlbetrag von 1,783 Milliarden Euro verbucht worden. Im Vorjahr machte er noch 927 Millionen Euro Gewinn. Eine der Hauptursachen: Das Stahlwerk bei Rio. Die Baukosten seien viel höher als geplant, außerdem laufe das Werk viel langsamer hoch. "Diese Mehrkosten können kurzfristig nicht kompensiert werden."

Hiesinger zieht nun auch personelle Konsequenzen: Der für den Bereich zuständige Vorstand Hans Fischer werde das Unternehmen zum Jahresende verlassen. Stattdessen solle der für alle Stahlaktivitäten im Unternehmen verantwortliche Vorstand Edwin Eichler nun die Sparte Steel Americas auch direkt steuern. Auch auf unteren Ebenen tauscht Hiesinger mehrere Manager aus.

***

Für die sonntaz hat Südamerika-Korrespondent Gerhard Dilger die Anwohner der gigantischen Industrieanlage besucht - und er traf den Fischer Luís Carlos Oliveira, der nach den Protesten bedroht wurde, in seinem Exil. Was die Menschen vor Ort heute sagen und wie sich Thyssen-Krupps Globalisierungstraum zum Trauma entwickelte, erzählt die Ganze Geschichte in der aktuellen sonntaz - am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo.

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