Kein Zweifel an Timotheus

Kanzelverbot: Die Bremer St. Martini-Gemeinde steht nach Aussage auch ihrer weiblichen Kirchenvorstände „geschlossen“ hinter dem Ausschluss von Frauen vom „Verkündigungsamt“

VON HENNING BLEYL

„Wir wollen das eigentlich gar nicht thematisieren“, sagt Eberhard Hagemann. Der pensionierte Zahnarzt ist Vorsitzender des Kirchenvorstands von St. Martini, einer idyllisch an der Weser gelegenen Bremer Altstadt-Kirche. Was Hagemann „nicht so hoch spielen will“, ist die große Aufregung um Kapitel VII, Absatz zwei der „Lebensordnung“ seiner Gemeinde: „Die Berufung in das Pfarramt erfolgt gemäß der Heiligen Schrift nach 1. Timotheus 2,12.“ Dort wiederum heißt es: „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still.“

In der Tat schlummerte dieser Absatz lange Zeit unbeachtet in der umfangreichen Gemeindeordnung – bis er durch eine Verkettung von Zufällen relevant wurde: Eine Bremer Pastorin sollte als Gast eine Bestattung in St. Martini zelebrieren, durfte dazu jedoch weder einen Talar anziehen noch die Kanzel benutzen (taz berichtete). Nicht mal Jens Motschmann, zur Zeit der Abfassung der Gemeindeordnung Pfarrer in St. Martini, kann sich an die Aufnahme des Timotheus-Passus erinnern: „Ich hätte glatt behauptet, dass steht da gar nicht drin“, sagt er der taz.

Olaf Latzel, der derzeitige Gemeindepfarrer, ist erst seit einem halben Jahr im Amt. Bei seiner früheren Stelle hatte er offenbar keine Schwierigkeiten, gemeinsam mit zwei Frauen zu amtieren – auch seine eigene Schwester ist als Pastorin tätig. Kurios wird der Kanzelstreit auch vor dem Hintergrund der Geschichte von St. Martini: Dem Archivar der Bremer Evangelischen Kirche (BEK) zu Folge ist sie wahrscheinlich die erste deutsche Kirche überhaupt, in der eine Pastorin predigte.

Warum soll das hundert Jahre später nicht mehr so sein? „Wir sind eben bibeltreu“, erklärt Hagemann, im übrigen habe die BEK die aktuelle Ordnung vor acht Jahren „anstandslos“ genehmigt. Deren Einflussmöglichkeiten sind allerdings begrenzt. Sie unterscheidet sich von allen deutschen Landeskirchen durch die vollständige „Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit“ ihrer Gemeinden: Deren jeweils eigene Ordnungen seien „im Zweifelsfall maßgeblich“, sagt eine BEK-Sprecherin. Bei deren Genehmigung würden deswegen lediglich „formale Aspekte“ überprüft.

Renke Brahms, als „Schriftführer“ der BEK deren oberster theologischer Repräsentant, muss sich deswegen auf eine „Hoffnung“ beschränken: Die Gemeinde möge sich „perspektivisch für eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an der Gestaltung von Gottesdiensten öffnen“. In diesem Sinne führe er Gespräche mit Pfarrer Latzel und dem Gemeindevorstand.

Diese „Überzeugungsarbeit“ dürfte allerdings schwer werden: In einem einstimmig gefassten Beschluss hat der Gemeindevorstand nochmal ausdrücklich „die Frau im Verkündigungsamt“ abgelehnt. Yvonne Kipp, eine von zwei Frauen in dem 16-köpfigen Gremium, bekräftigt: „Die Gemeinde steht in dieser Frage voll und ganz hinter dem Pfarrer und dem Kirchenvorstand.“ Sie selbst fühle sich durch den Verkündigungs-Ausschluss keineswegs diskriminiert, sagt die frühere CDU-Bundestagsreferentin für Europa- und Verteidigungspolitik. Im übrigen halte sie die ganze derzeitige Aufregung um das Kanzelverbot für Frauen auch vor einem etwas weiter gefassten Hintergrund für nicht nachvollziehbar: „Das ist schließlich bei der Mehrheit der Christen weltweit so.“