Osnabrücker Ausstellung über Kolonialismus: Nachrichten an Deutschland

Der selbsternannte Anthropologe Hans Lichtenecker wollte in Namibia ein "Archiv aussterbender Rassen" anlegen. Nach Stationen in Kapstadt, Basel und Wien ist die Ausstellung "What we see" in Osnabrück zum ersten Mal in Deutschland zu sehen.

Für die Sammlung: Mithilfe der Gipsmasken stellten Lichtenecker (M.) und seine Helfer lebensechte Köpfe her. Bild: Ausstellung

OSNABRÜCK taz | Diese Ausstellung heißt zwar "What we see". Doch tatsächlich gibt es derzeit im Akzisehaus des Kulturgeschichtlichen Museums Osnabrück weniger zu sehen, als zu hören. Die Kuratorin Anette Hoffmann, Kulturwissenschaftlerin und Afrikanistin, hat für die Ausstellung Tonaufnahmen zusammengestellt, die der Künstler und selbsternannte Anthropologe Hans Lichtenecker 1931 von Bewohnern der damaligen deutschen Kolonie Südwest-Afrika machte - für sein "Archiv aussterbender Rassen".

Was ihm die Probanden auf die Wachswalzen sprachen, verstand Lichtenecker nicht. Es scheint auch sonst niemand interessiert zu haben. Bis 2007. Erst da wurden die im Berliner Phonogramm-Archiv aufbewahrten Aufnahmen übersetzt. Dabei stellte sich heraus, dass die Probanden Lichteneckers Untersuchungsmethoden und die Kolonialisten kritisierten. "Verspätet" würden diese "Nachrichten an Deutschland" nun empfangen, sagt Anette Hoffmann.

Hans Lichtenecker, ein gescheiterter Künstler aus Gotha, der 1909 zum ersten Mal nach Afrika gekommen war, hatte nie Völkerkunde studiert. Ihm war es egal, was ihm die Männer und Frauen mitteilen wollten. Sie waren für ihn "Muster" und "Rassetypen", wie Anette Hoffmann in dem gerade erschienenen Begleitband zur Ausstellung "Sensible Sammlungen. Aus dem anthropologischen Depot" schreibt.

Viele völkerkundliche Museen haben Gipsmasken, Tonaufnahmen, Fotografien und Messdaten in ihren Archiven. Darunter sind auch Körperteile von Menschen - wie Knochen oder Schädel -, die eigentlich bestattet werden sollten.

Sie alle fallen in die Kategorie der "sensiblen Sammlungen", mit denen sich Anette Hoffmann, Britta Lange und Margit Berner in einem gerade erschienenen Buch befassen: Es zeigt, wie diese Sammlungen zustanden kamen und wie mit ihnen umgegangen wurde. ARE

Der ehemalige Soldat und Farmer, der sich fälschlicherweise Doktor nannte, brach 1931 zu seiner Forschungsreise ins heutige Namibia auf, wo er Gipsabdrücke von Gesichtern, Händen, Köpfen und Füßen nahm, Körper vermaß und Fotos machte, um angebliche Eigenheiten der sogenannten "Hottentotten" zu untersuchen. Die Frauen und Männer nahmen an diesen Untersuchungen nicht freiwillig teil. Sie wurden von Polizisten abgeholt und in Lichteneckers "Standquartier" in Keetmanshop gebracht.

Auf Gefühle nahm der Mann aus Deutschland dabei keine Rücksicht, wie die Übersetzung der Tonaufnahme von Petrus Goliath zeigt. Er schildert, dass er Angst hatte und kaum noch Luft bekam, während von seinem Kopf ein Gipsabdruck gemacht wurde. "Als es von meinem Gesicht abgenommen wurde, konnte ich erst wirklich wieder atmen", sagt Petrus Goliath.

Auch andere Tondokumente sagen viel über die damalige Situation der Namibier aus. Der 17-jährige Haneb etwa erzählt die Geschichte vom Schakal, der sich in die Sonne verliebt und sie deshalb auf seinem Rücken trägt. Als sie seinen Rücken verbrennt, versucht er vergeblich, sie wieder abzuschütteln. Bezüge zu anderen Texten und zur damaligen Situation legen nahe, dass Hanebs Erzählung gleichnishaft gemeint ist: Der Schakal stünde somit für die Namibier, die von den deutschen Kolonialisten (Sonne) unterdrückt wurden. Überhaupt enthalten die aus mündlicher Überlieferungen stammenden Texte viele Metaphern. Die Sprecher leisteten so in verschlüsselter Form Kritik an den Kolonialisten - deutschen und europäischen.

Die Originalaufnahmen sind in der Ausstellung zu hören. Sie vermitteln einen Eindruck vom Klang und Rhythmus der Botschaften, die zum Teil gesungen wurden. Eine Aufnahme gibt sogar eine frühe Form des Rap wieder. Für sie sei von Bedeutung gewesen, dass die Tonaufnahmen etwas anderes von den Sprechern und ihren Angehörigen vermitteln, als es Lichteneckers Dokumente tun, sagt Anette Hoffman. "Die Aufnahmen sind oft performative Portraits der Sprecher."

Die Ausstellung versucht, Porträts von Petrus Goliath, Haneb und all den anderen Angehörigen der Nama und Herero zu zeichnen. So hat Hoffmann Nachfahren in Namibia interviewt und lässt sie erzählen, wie sie ihre Onkel, Tanten, Väter und Mütter erlebt haben. Außerdem zeigt "What we see" Bilder und Installationen, die afrikanische Künstler von den Protagonisten der Ausstellung gemacht haben.

Lichteneckers Gipsmasken sind nicht zu sehen. "Wir haben bewusst auf sie verzichtet, um so dem Rassismus keinen Vorschub zu leisten", erklärt Thorsten Heese, Kurator für Stadtgeschichte am Kulturgeschichtlichen Museum. Auch auf die Person Hans Lichteneckers geht die Ausstellung nicht näher ein. "Er ist nur einer von vielen", so Thorsten Heese. Lichteneckers Vorstellungen hätten der damaligen Gesellschaft entsprochen, weshalb eine Konzentration auf seine Person verkürzend wäre. Später trat er in die NSDAP ein.

Die Ausstellung wurde bisher nur in Kapstadt, Basel und Wien gezeigt. In Deutschland musste Anette Hoffmann lange nach einem Ausstellungsort suchen. "Ich denke, dass die Anwesenheit von sehr ähnlichen Sammlungen in den meisten ethnologischen Museen die Ausstellung für sie nicht gerade einfach macht", vermutet Hoffmann. Denn im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als AfrikanerInnen vielen Deutschen und Europäern als minderwertig galten, war es durchaus üblich, dass Forscher Knochen, Haare und andere menschliche Überreste in ihre Sammlungen übernahmen.

Die Ereignisse von damals sind noch längst nicht vergessen. Seit 2001 fordern die Herero eine Entschädigung von Deutschland für ein Massaker, das Kolonialtruppen nach einem Aufstand an ihnen begangen haben. Die 20 Schädel der Ermordeten, die die Deutschen damals mit nach Berlin genommen haben, wurde vor kurzem zwar nach Namibia zurückgebracht. Die Entschädigung lässt aber auf sich warten.

What we see - Bilder, Stimmen, Repräsentationen. Zur Kritik einer anthropometrischen Sammlung aus dem südlichen Afrika: bis 12. Februar, Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück
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