Mein Onkel in Afrika

„Der Weiße mit dem Schwarzbrot“ von Jonas Grosch ist das Porträt eines permanenten Weltverbesserers

Filme entstehen manchmal aus den seltsamsten Gründen. Dieser zum Beispiel: Da bekommt der Filmstudent Jonas Grosch in seinem Seminar für Drehbuchdramaturgie die Aufgabe, das Skript für einen Dokumentarfilm zu entwickeln, in dem er einen Bekannten oder Verwandten porträtiert. Zufällig ist sein Onkel Christoph Wackernagel, der als RAF-Mitglied zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde und inzwischen im afrikanischen Mali lebt, wo er mit allerlei seltsamen Projekten Aufsehen erregt. In jedem guten Familienroman gibt es solch einen skurrilen Verwandten, der einerseits das Sorgenkind der Sippe ist, über den dann aber die schönsten Geschichten erzählen werden. Bald merkt Grosch, dass dieser Onkel in Afrika ein absoluter Glücksfall für ein Filmprojekt ist, und so zieht der Student, der im Grunde mit Dokumentarfilmen gar nichts am Hut hat, mit einem winzigen Team und einer Digitalkamera nach Mali, wo ihm sein Onkel dann mit einer Offenherzigkeit von seinem Leben erzählt, die bei jedem anderen Regisseur, und wäre er noch so erfahren und renommiert, unmöglich gewesen wäre.

„Dies wird wohl der einzige Film sein, der so ist, wie ich alleine es will“ erklärte Grosch bei der Vorpremiere von „Der Weiße mit dem Schwarzbrot`“ im Bremer Atlantis, und diese kompromisslose Subjektivität macht dann auch einen großen Teil des Charmes seiner 73 Minuten langen Dokumentation aus. Mit 8000 in der Familie zusammengeliehenen Euro finanzierte und produzierte er ihn selber, und er ist auch der erste der zugibt, hiermit kein „cinematographisches Meisterwerk“ geschaffen zu haben. Die Aufnahmequalität lässt in vielen Sequenzen zu wünschen übrig, und oft hat man das Gefühl, die Kamera wäre schlicht draufgehalten worden. Dies hat aber auch den wohl unbeabsichtigten, aber dann doch positiven Effekt, dass das Afrika in diesem Film nicht so exotisch und sonnig gezeigt wird wie in fast allen anderen Dokumentationen von westlichen Filmemachern, die den touristischen Blick nie ganz abstreifen können und deshalb oft selbst Hunger, Krankheit und Elend exotisch verklären. Hier dagegen ist Afrika einfach da.

Wackernagel ist ein temperamentvoller Selbstdarsteller: einer, der sich gerne reden hört und genau um die Wirkung seiner Suaden weiß. Und der einem dennoch seltsamerweise nicht auf die Nerven geht, weil er eben seinem Neffen all diese Geschichten erzählt, und dem Film dadurch eine familiär, vertraulichen Grundton gibt. Wackernagel in ein unverbesserlicher Idealist, der auch in Afrika, wo er eigentlich in Ruhe ein Buch schreiben wollte, alles verbessern will. Das begann mit der Friedenskarawane, einem multinationalen Kunstprojekt, das 100 Millionen Euro gekostet hätte und laut Wackernagel nur an der Borniertheit des damaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer gescheitert ist. Danach backte er kleine Brötchen, oder besser das gute deutsche Vollkornbrot, für das er eine Bäckerei in Mali gründete, deren Ofen dann allerdings explodierte. Schließlich ersann er ein Spiel, bei dem die Kinder in den Straßen von Mali begeistert in einem Wettkampf den Plastikmüll auf öffentlichen Plätzen aufsammeln. Gosch bringt ihn auch dazu, über seine Zeit in der RAF und im Knast zu erzählen, und auch hier wirkt er so persönlich, nachdenklich und emotional, wie dies nur in einer völlig vertrauten Person gegenüber möglich ist. „Nie hätte ich irgendetwas davon einem Fremden oder der Presse erzählt“ sagt Wackernagel und lacht dabei. Sein Neffe hat einen ähnlichen Sinn für das Absurde, und das kommt seinem Film sehr zugute.

Wilfried Hippen