Interview mit Jobcenter-Chef: "Nicht traurig, dass der ÖBS ausläuft"

Wolfgang Steinherr über bessere Chancen für Langzeitarbeitslose und die wahren Sorgenkinder der Jobcenter

Es gibt immer wieder neue Programme der Arbeitsagentur für Erwerbslose Bild: dpa

Wolfgang Steinherr, 52, ist seit diesem Jahr Leiter des Jobcenters Marzahn-Hellersdorf und war vorher Chef der Leipziger Arbeitsagentur.

Mithilfe des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors, kurz ÖBS, wurden seit 2006 schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose in sozialen oder kulturellen Projekten beschäftigt. Dafür erhielten sie Mindestlohn und waren sozialversichert. Der ÖBS war vor allem ein Projekt der Linkspartei und wird vom rot-schwarzen Senat nicht weitergeführt. Mehrere hundert Stellen laufen in diesen Tagen zum Teil ersatzlos aus. Diverse gemeinnützige Projekte protestieren dagegen.

Öffentlich geförderte Beschäftigung, kurz ÖBG, soll das neue Instrument zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen sein. Wie der ÖBS soll auch der ÖBG auf Bundesmitteln basieren, die allerdings zuletzt dramatisch gekürzt wurden. Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) will perspektivisch mehr Stellen beim Bund aushandeln und sie, wie bisher, mit Landesmitteln aufstocken. Mindestlohn soll aber nicht mehr gezahlt werden.

taz: Herr Steinherr, der Öffentlich geförderte Beschäftigungssektor (ÖBS) ist weggefallen. Welche Möglichkeiten haben Sie denn noch für die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen?

Wolfgang Steinherr: Die Möglichkeiten sind vielfältig. Wir betreuen hier in Marzahn-Hellersdorf 15.000 Arbeitslose. Davon sind 5.500 Langzeitarbeitslose, die wir mit verschiedenen Instrumenten aktivieren und qualifizieren können. Dazu kommen neue Maßnahmen wie die "Förderung von Arbeitsverhältnissen", bei denen das Jobcenter bis zu 75 Prozent der Lohnkosten bezahlt.

Das klingt, als fehlt Ihnen der ÖBS gar nicht?

Aus unserer Sicht war die Vermittlung in den ÖBS immer nur zweite Wahl. Denn der zweite Arbeitsmarkt hat die Tendenz, die Leute dort festzuhalten. Inzwischen hat sich der erste Arbeitsmarkt aber positiv entwickelt und wir haben ganz andere Möglichkeiten. Insofern ist es nicht traurig, dass der ÖBS ausläuft.

Der ÖBS war für Menschen gedacht, die besonders schwer vermittelbar sind. Wollen Sie sagen, Sie kriegen jetzt alle Arbeitslosen im ersten Arbeitsmarkt unter?

Ich behaupte nicht, dass wir gar keine Beschäftigung auf dem zweiten Arbeitsmarkt mehr brauchen.

Nach den Plänen des neuen Senats aber nicht mehr zum Mindestlohn …

Die Grundidee des ÖBS leuchtet mir durchaus ein: Dank Mindestlohn fiel die Hilfebedürftigkeit der Beschäftigten weg, sie waren nicht länger Jobcenterkunden. Aber der ÖBS hat einfach unheimlich viel Geld gekostet.

Ist es nicht genauso teuer, wenn die Beschäftigten in anderen Maßnahmen zusätzlich Geld vom Jobcenter bekommen?

Diese Rechnung habe ich noch nicht angestellt. Unser Schwerpunkt liegt aber auch klar darauf, unsere Kunden für den ersten Arbeitsmarkt zu aktivieren. Dabei ist die Beschäftigungsmaßnahme nur ein Instrument, und davon haben wir noch ausreichend. Den klassischen 1-Euro-Job zum Beispiel.

Und damit kommen auch Menschen, die jahrzehntelang arbeitslos waren, in Lohn und Brot?

Wir müssen unterscheiden zwischen denen, die wir durch eine Maßnahme wie den ÖBS stabilisieren konnten. Sie brauchen vielleicht noch eine weitere Qualifikation, und dann haben sie dank der Konjunktur gute Chancen, eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Mein eigentliches Sorgenkind sind die Arbeitslosen mit besonders schweren Vermittlungshemmnissen: etwa Sucht, Schulden oder gesundheitliche Probleme.

Wie viele sind das?

Rund 20 Prozent unserer Kunden. Sie haben so große Probleme, dass wir sie nicht einmal in den ÖBS oder andere Beschäftigungsmaßnahmen einbinden konnten. Denn auch dort muss man ja motiviert sein, sich an Arbeitsabläufe anpassen.

Welche Instrumente brauchen Sie für diese Menschen?

Vor allem gute Projektpartner. Insgesamt wünsche ich mir mehr Spielraum für kreative Lösungen, die wir ganz konkret auf den einzelnen Kunden abstimmen können. Die Stellen, die uns prüfen, haben das in der Vergangenheit zum Teil sehr eng interpretiert.

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