Lehren gezogen

Das neue Präventionsprojekt „Tipp Tapp“ berät Familien mit Neugeborenen aus sozial benachteiligten Stadtteilen Bremens – bei ihnen zu Hause. Nebenbei soll es als Frühwarnsystem zum Schutz des Kindeswohles dienen

Wer in den sozial benachteiligten Stadtteilen Bremens wie Gröpelingen oder der Vahr Nachwuchs bekommt, dem flattert neuerdings ein orangefarbener Flyer ins Haus. Darauf kündigt das Gesundheitsamt einen Hausbesuch an – und schlägt auch gleich einen Termin vor. Ein freiwilliges Angebot. Wer keine Beratung möchte, sollte aber auch absagen – sonst stehen die Damen vom Amt wie angekündigt vor der Tür.

Am Mittwoch hat Bremens Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) das Präventionsprojekt „Tipp Tapp – Gesund ins Leben“ vorgestellt. 100 Familien erhielten seit dem Start im vergangenen Monat solchen Besuch. Einen vergleichbaren Ansatz gibt es bislang nur in München.

In zwölf der 79 Bremer Stadtteile sind die Kinderkrankenschwestern der Stadtteilteams des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes unterwegs und suchen junge Familien zu Hause auf. „Die Kompetenzen der Eltern durch eine aufsuchende Beratung stärken“, so beschrieb Rosenkötter gestern das Ziel des Projekts. Bei ihren insgesamt drei Besuchen – kurz nach der Geburt, nach sechs sowie nach zwölf Monaten – sollen die Krankenschwestern zu allen Fragen beraten, die rund ums Neugeborene anfallen – von der Körperpflege über die Ernährung bis zur Gestaltung des Wohnumfelds. Sie vermitteln Kontakt zu KinderärztInnen und stellen Angebote wie Spielkreise, Still- oder Turngruppen vor. Verbessert werden soll dadurch die soziale Vernetzung der Familien in ihrem Wohnquartier: „Die Leute, zu denen wir kommen, sprechen häufig kein Deutsch und sind meist bildungsfern, die haben oft gar keine Kenntnisse über diese Angebote“, sagte Eberhard Zimmermann, leitender Kinderarzt beim Gesundheitsamt. Der Bedarf sei dementsprechend groß: zwei von drei angeschriebenen Familien hätten das Besuchsangebot angenommen. Jede fünfte besuchte Familie wurde Zimmermann zufolge durch „Tipp Tapp“ in das Regelversorgungssystem aus Kinderbetreuung, Erziehungs-, Kinder- und Jugendhilfe vermittelt.

„Tipp Tapp“ diene dabei nicht nur der Prävention, sondern auch als Frühwarnsystem: Ganz nebenbei schätzten die Krankenschwestern bei ihren Hausbesuchen die Familiensituation und das Entwicklungsumfeld des Kindes ein – mit „ganzheitlichem Blick“, so Zimmermann. Wie sieht das Kind aus? Wie gehen die Eltern mit ihm um? Wo schläft es? Wie sieht die Wohnung aus – und wie riecht es darin? „Die Erfahrung der MitarbeiterInnen spielt dabei natürlich eine große Rolle“, sagte Zimmermann. Sehen die Krankenschwestern Bedarf, werden die Familien an die Familienhilfe oder das Jugendamt weitervermittelt, die dann verbindliche Maßnahmen einführen. Bislang sei dies bei einer besuchten Familie nötig gewesen.

Das neue Angebot ist Teil des Bremer Maßnahmenpakets zur Kindeswohlsicherung, das als Reaktion auf den Todesfall Kevin entwickelt wurde. Langfristig soll es zu einer Regelaufgabe des Gesundheitsamts werden und irgendwann ein Viertel aller Bremer Familien mit Neugeborenen erreichen. Dazu werden sechs Teilzeitstellen bereitgestellt. Insgesamt sind zwölf Krankenschwestern der Stadtteilteams des Gesundheitsdienstes, darunter eine türkischsprachige, für „Tipp Tapp“ unterwegs. Monatlich sollen sie rund 100 Familien besuchen. TERESA HAVLICEK