Der Millionen-Euro-Mann

Dima Bilan hat Russland den ersten Sieg beim Eurovision Song Contest ersungen – Deutschland wurde Letzter

Nachts um vier war die Party im Hyatt Regency, dem teuersten Hotel in Belgrad, immer noch am Wogen: Ewgeni Pluschenko, der Olympiasieger im Eiskunstlaufen, feierte ebenso mit wie etwa vier Dutzend junge Frauen in High Heels, sieben Dutzend Männer, die nicht nur entfernt wie Kleiderschränke aussahen – und schließlich Dima Bilan, der junge Russe, den sein Land ins Rennen um die Krone beim 53. Eurovision Song Contest (ESC) geschickt hatte.

Er gewann die Konkurrenz beinahe haushoch. Sein Titel „Believe“, eine zeitgenössische Schnulze, abgemischt für viel Geld in den US-amerikanischen Timbaland Studios, hatte vor der Ukraine, Griechenland, Armenien und Norwegen die Nase sehr weit vorn.

14 Jahre nach seinem ESC-Debüt hatte Russland es endlich geschafft, Kostenpunkt 10 Millionen Euro. Darin enthalten: Gagen für Eiskunstlaufstars, Stargeiger, Dima Bilan, Promotionstouren durch halb Europa, Timbaland-Tarife und so weiter

Das Land des postsowjetischen Neoreichtums wollte für diesen Sieg nicht geizen. Aufgetischt wurde in der Nacht des Triumphs nur Edles: Jahrgangscognac, Whiskey wie Whisky, Fingerfood an goldumrandeten Tellern, Schlussrechnung um die 19.000 Euro für eine Champagnernacht.

Und die Deutschen? Die No Angels erhielten für ihre Darbietung mit dem Lied „Disappear“ 14 Punkte, 5 Prozent des Werts, den Dima Bilan einfahren konnte – zwei aus der Schweiz und zwölf aus Bulgarien, wo die Sängerin Lucy über ihre eigene TV-Show Werbung machen konnte. 6,38 Millionen Zuschauer schauten in der ARD zu, der Marktanteil betrug 27,9 Prozent, so hoch wie kein anderes Programm am Samstagabend. Andererseits: So niedrig war der Wert für einen Eurovision Song Contest noch nie.

Thomas Schreiber, TV-Kulturprogrammchef des NDR, zog trotzdem kein beleidigtes Fazit vor der Heimreise gen Hamburg, sondern ein eher kämpferisches: „Nach dem ESC ist vor dem ESC.“ Man müsse sich ein neues Konzept überlegen, womöglich jünger, frischer, moderner. Offenbar verfängt in der ARD ein nostalgisches Retrokonzept nicht mehr. Die Legende von der Dominanz des sogenannten Ostblocks entpuppte sich als Mär. Unter den Top 12 lagen sieben Länder, die früher hinterm Eisernen Vorhang darbten, fünf aus klassischen ESC-Ländern.

Sieger Dima Bilan wurde von den 10.000 ESC-Fans gefeiert. Sogleich zerstreute sein Tross Gerüchte, er sei wie sie. „Nein, er ist kein Homoschnulli“, hieß es, „Bilan ist jetzt ein Held der Kunst in unserem Land.“ Als Bilan am frühen Morgen mit alkoholunterstütztem Glücksrausch ins Bett ging, flogen die No Angels schon zum nächsten Grandprix: dem der Formel 1 in Monaco. Als Boxenluder? JAN FEDDERSEN