Syrische Opposition: "Wir brauchen eure Solidarität – jetzt!"

Wofür wir kämpfen und was wir schon erreicht haben. Wie das Regime gegen uns vorgeht und was wir von euch wollen. Ein Appell aus dem syrischen Untergrund.

"Wir haben keinen außer dir, oh Gott!" Bild: dapd

Seit dem Beginn der syrischen Revolution sind mehr als neun Monate vergangen. Aber noch immer herrscht Unklarheit darüber, was die syrische Revolution wirklich ist: Handelt es sich nur um einen Aufstand oder doch um eine echte Revolution? Ist es eine Revolution der Einheit oder eine der konfessionellen Spaltung? Wird die Revolution bestehen - oder ist sie zum Scheitern verurteilt? Fest steht nur: Das Ende ist noch nicht abzusehen.

Aus den arabischen Staaten oder von der internationalen Gemeinschaft ist keine wirkliche Hilfe in Sicht, die das brutale Regime in die Schranken weisen würde. Deshalb spiegelt dieser Ausruf der Verzweiflung die Lage der Syrer am besten wider: "Wir haben keinen außer dir, oh Gott!"

Die Hoffnung, dass der Arabische Frühling auch in Syrien die Unterdrückung und die Tyrannei, das Morden und die Folter beenden würde, war lange mit schweren Zweifeln belastet: Mehr als vierzig Jahre lang waren alle Anstrengungen der Opposition, die Demokratie in unser Land zu tragen, zum Scheitern verurteilt. Doch als die Behörden in Daraa einige Kinder verhafteten und mit unnachgiebiger Brutalität folterten, begann sich die Revolution wie ein Lauffeuer zu verbreiten.

Die Kampagne: Unter dem Stichwort "Adopt a Revolution" haben syrische und deutsche AktivistInnen eine Kampagne gestartet, um die lokalen Koordinationskomitees der Demokratiebewegung zu fördern. Unterstützt wird die Kampagne u. a. von Medico International und der Bewegungsstiftung.

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Die Adresse: Unter www.syrischer-fruehling.de gibt es aktuelle Informationen aus Syrien. Man kann dort eine Solidaritätserklärung zeichnen und mit Geldspenden die Lokalkomitees direkt unterstützen.

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Das Beispiel: Al-Qabun ist ein Vorort von Damaskus mit 45.000 Einwohnern. Das dortige Komitee benötigt der Initiative zufolge im Monat 200 Euro, um die Miete versteckter Aktivisten zu zahlen, 250 Euro für deren Lebensmittel, 50 Euro für einen Internetanschluss und 200 Euro für Banner, Farbe und Flugblätter. Auf der Homepage kann man für dieses Komitee spenden. Auch eine "Revolutionspatenschaft" ist mit einem Betrag ab 5 Euro möglich. Ein Spendenzähler zeigt an, wie viel Geld in Al-Qabun und andernorts noch benötigt wird. (mk)

Wir Aktivistinnen und Aktivisten hatten gleich zu Beginn des Aufstands gesagt, dass wir nur mit friedlichen Mitteln erfolgreich sein können. Und trotz des ständigen Beschusses von Demonstrationen und trotz der willkürlichen Verhaftungen und Folter ist es uns gelungen, den friedlichen Charakter der Revolution zu wahren.

Die Aktivistinnen und Aktivisten riskieren ihr Leben, um friedlich ihre grundlegenden Rechte einzufordern. Für ihr Engagement zahlen sie und alle Syrer einen hohen Preis. Die Gefängnisse sind gefüllt mit Menschen, die sich für Demokratie und das Ende der Diktatur eingesetzt haben. Man kann sie unter der Folter schreien hören. Auf den Straßen unserer Städte wird täglich Blut vergossen.

Das Regime versucht, die Gesellschaft zu spalten, indem es die Aktivistinnen und Aktivisten einschüchtert, verfolgt, quält und ermordet. Es bezahlt Menschen, die in seinem Auftrag verraten und töten, die aus Angst oder Profitgier handeln, weil sie sich von diesem System eine Zukunft versprechen.

Strategie der Spaltung

Auch konfessionelle Spannungen versucht die Regierung zu erzeugen, indem sie Städte und Regionen voneinander abschirmt und damit auch religiöse Gruppierungen trennt. So kann sie Furcht erzeugen vor der Dominanz der jeweils anderen Religionen. Denn nur durch einen Bürgerkrieg, der die Arbeit der friedlichen Aktivistinnen und Aktivisten zwangsläufig beenden würde, könnte sich diese Regierung an der Macht halten.

Leider war diese Strategie der Spaltung bis zu einem gewissen Grad erfolgreich: Immer wieder hören wir, dass die Minderheiten Angst vor dem Fall des Regimes haben. Somit lastet auf den Aktivisten die Bürde, die staatliche Einheit Syriens zu bewahren. Sie versuchen, den Menschen mit Diskussionen und Kampagnen diese Strategie klarzumachen. Mit diesen Gesprächen schaffen sie es, Begriffe und Konzepte zu diskutieren, die seit Jahrzehnten nicht mehr verwendet wurden und die in viele Regionen des Landes noch überhaupt nicht vorgedrungen waren: Demokratie, Verfassung, transparente Wahlen, Zivilgesellschaft.

Ja, es ist tatsächlich wie eine Wiedergeburt, die sich gerade für Syrien vollzieht, für seine Menschen und für alle Teile der Gesellschaft: Es ist inzwischen nicht mehr ungewöhnlich, wenn eine säkulare und eine religiöse Frau gemeinsam demonstrieren gehen, wenn ein religiöser Prediger mit einem Linken komplexe gesellschaftliche Themen diskutiert oder wenn sich Menschen aus städtischen und ländlichen Gebieten in einem Privathaus treffen, außerhalb der Sicht- und Reichweite der Sicherheitsdienste, um sich über Demokratie und einen zivilen Staat zu unterhalten. Daraus entsteht der auf Demonstrationen häufig erklingende Ruf: "Eins, eins, eins - das syrische Volk ist eins!"

Doch obwohl Syrien heute ein Land ist, das zum ersten Mal so etwas wie eine zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit erlebt, müssen wir Aktivistinnen und Aktivisten im Geheimen und aus dem Untergrund heraus arbeiten. Zu viel Offenheit müssten wir mit unserem Leben bezahlen.

Manchmal werden angesichts der brutalen Gewalt des Regimes Rufe nach Rache und Bewaffnung laut, um das Blutvergießen zu beenden. Doch das würde nur noch mehr Blutvergießen nach sich ziehen. Das können wir nicht hinnehmen. Dies kann genauso wenig hingenommen werden wie die Tatsache, dass Soldaten Menschen aus dem eigenen Volk töten, oder dass ein Soldat erschossen wird, wenn er sich weigert, auf friedliche Demonstranten zu schießen.

Friedliche Revolution

In den vergangenen drei Monaten haben sich immer mehr Soldaten dazu entschieden, sich an die Seite ihrer Brüder und Schwestern zu stellen, statt für das Regime zu töten. Ihre Zahl steigt täglich an, obwohl auch sie eine schwere Bürde auf sich nehmen: Sie müssen ins Exil. Oder sie müssen in den Untergrund, um so die friedlichen Demonstrationen zu beschützen und zu verhindern, dass auf Unbewaffnete geschossen wird.

Trotz der großen Anzahl an desertierten Soldaten, trotz der vielen Toten und der Folter ist unsere Revolution friedlich geblieben. Unser Aufruf zum Streik, der hoffentlich in einen Generalstreik münden wird, findet größere Unterstützung als die Rufe nach Bewaffnung. Keiner will in einen Teufelskreis der Gewalt hineingeraten, auch wenn der Preis für den friedlichen Widerstand erst einmal höher erscheint. Der Preis eines Bürgerkriegs wäre noch tausendmal höher.

Diese Position wird vor allem gestützt von den Aktivistinnen und Aktivisten in den lokalen Koordinierungskomitees, die in den Städten und Dörfern Demonstrationen organisieren, die von den Verbrechen des Regimes über das Internet berichten und die zum Streik aufrufen.

Für ihre selbst auferlegte Verpflichtung gegenüber der friedlichen Revolution geben die Menschen ihre Arbeit und ihr normales Leben auf. Denn sie müssen sich verstecken. Sie müssen von Ort zu Ort und von Haus zu Haus ziehen, um vor den Sicherheitsdiensten und ihren tödlichen Kugeln zu flüchten.

Und während diese Aktivistinnen und Aktivisten der Bevölkerung helfen, sich von der Unterdrückung und dem Terror des Staates zu befreien, erfahren sie selbst kaum Unterstützung. Kaum jemand sieht die Opfer, die sie bringen müssen, kaum jemand sieht, dass sie ihre Häuser und Familien aufgegeben haben, um sich ganz der Revolution zu widmen und um ihren glühenden Kampf für Freiheit, Menschenrechte und eine friedliche Revolution zu führen.

Als Aktivistinnen und Aktivisten brauchen wir dringend Unterstützung, um unsere Arbeit im Dienst der friedlichen Revolution weiterführen zu können, bis wir diese Diktatur besiegt haben.

Wir brauchen die Unterstützung der Zivilgesellschaft in anderen Ländern, um eure Erfahrungen in unseren Streit für Demokratie und Menschenrechte einflechten zu können. Wir brauchen Unterstützung für die Ärzte, die verletzte Demonstranten nur behandeln können, wenn die Polizei weit weg ist. Die Koordinierungskomitees brauchen finanzielle Unterstützung, um ihr endloses Engagement für einen unbewaffnete Aufstand fortsetzen zu können.

Es braucht aber auch Geld, um die Wohnungen der Untergetauchten zu finanzieren und die Materialien für unsere Demonstrationen zu bezahlen. Menschen, die ihr dies lest: Wir brauchen eure aktive Solidarität! Und wir brauchen sie jetzt!

Damaskus, 20. Dezember 2011

Übersetzung aus dem Arabischen: Christin Lüttich

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