Das Mädchen schlägt zurück

Luci van Org hatte mit „Mädchen“ in den 90ern einen Hit. Als Üebermutter und mit krassem Metal kämpft sie an der Seite der neuen Feministinnen nun gegen den Rollback. Kinder, Kirche, Küche werden auf „Unheil!“ systematisch abgearbeitet

Weißt du noch, was einst geschah, als ich noch ein Mädchen war?

VON THOMAS WINKLER

Die Zeit ist schuld. Nicht die mit den Zeigern, nicht die, die ewig währt. Nein, die altehrwürdige Wochenzeitung aus Hamburg. Denn zuerst kam Bischof Mixa, dann kam Eva Hermann, dann aber kam das Dossier in der Zeit, „in dem stand, dass die Emanzipation den Frauen nicht nur Vorteile gebracht hätte“. Deswegen, sagt Luci van Org, gibt es heute Üebermutter. Das haben wir nun davon.

Doch was genau haben wir da? Üebermutter sind nicht nur einfach die neue Band von van Org, die erste der mittlerweile 36-jährigen Ina Lucia Hildebrand seit dem Duo Lucilectric. Üebermutter sind auch ein Konzept. Eins mit tiefliegenden Schwermetallgitarren. Üebermutter sind Kampfansage und nicht zuletzt gehörig Krawall. „Das Album lebt von brachialen Bildern“, gibt sie zu, „das ist nicht gerade feinsinnig.“ Das Album heißt „Unheil!“ und spielt mit allen Variationen von Metal, Industrial und Gothic. Zu den schweren musikalischen Geschützen formuliert van Org einen radikalen Feminismus, der zum einen mit der eigenen Vergangenheit kokettiert, zum anderen altbekannte Barrikaden wieder aufrichtet. Das ist bitter nötig, meint sie: „Ich schlage Krawall, weil wir immer noch kein gleichberechtigtes Miteinander von Frauen und Männern haben.“

Stattdessen hat sie einen Rollback beobachtet. „In den Neunzigerjahren habe ich gedacht, mir steht die Welt offen.“ Damals, 1994 genau, erreichten Lucilectric mit „Mädchen“ Platz 2 der deutschen Charts und van Org wurde ein One-Hit-Wonder. Seitdem hat sie Kolumnen für die Berliner Morgenpost geschrieben, bei Fritz moderiert, eine Zeit lang im Fernsehen für „100 Grad“ angesagt und immer wieder geschauspielert. Dabei reichte ihr Spektrum von der Kinderserie „Schloss Einstein“ bis zum Neonazi-Drama „Führer Ex“. Sie hat Kurzgeschichten geschrieben, Drehbücher und ein Theaterstück, das im Theater am Kurfürstendamm seine Premiere feierte. Sie hat Bands produziert und immer weiter als Das Haus von Luci selbst Musik gemacht.

Derweil hat sie genau die gesellschaftlichen Veränderungen registriert. Die bischöfliche Polemik eines Walter Mixa gegen eine fortschrittlichere Familienpolitik oder die Diskussionen um die Veröffentlichungen einer Eva Hermann sind für sie Symptome eines „neu aufkeimenden Konservatismus“. Der rechtfertigt es ihrer Meinung nach, den Kampf gegen die drei klassischen „K“ wieder aufzunehmen. Kinder, Kirche, Küche werden auf „Unheil!“ geradezu systematisch abgearbeitet. Oder, wohl besser gesagt: in Grund und Boden verdammt. In „Heim und Herd“ dröhnt van Org zu dramatischem Mittelalter-Rock mit dunkler Stimme: „Bück dich, kriech in jedes Eck / Wisch mit deinem Haupt die Dielen, blitzen soll es wie geleckt“.

Dass sie selbst mit ihrem dreijährigen Sohn Victor und dessen Vater die „ganz klassische Kleinfamilie mit Kind, Papa, Mama und Hund“ durchexerziert, sich trotzdem in der Gothic- und S/M-Szene zu Hause fühlt und als bisexuelle Ikone auf dem Titelbild des weltweit größten Fetischmagazins „Marquis“ posiert, ist für sie nur Ausdruck einer generellen Abneigung „gegen alle Formen von Ismen“. Gegen die geht sie vehement, doch nicht ohne Humor an. Wenn sie „Diene der Gebärmaschine“ donnert, dann ist das natürlich auch ironisch gemeint. Nicht umsonst hat sie die Texte zusammen mit Michael Kernbach geschrieben, der dereinst Guildo Horn das Konzept lieferte und bei dessen Orthopädischen Strümpfen den Bass bediente. „Betroffenheit lässt die Leute doch am wenigsten aufhorchen, besser ist das Schmunzeln, das einem im Hals stecken bleibt.“ So erinnern Üebermutter bisweilen an Laibach, statt Hirschgeweih zu tragen, trampelt van Org auf dem Cover der Platte dem eigenen Gitarristen auf der Brust herum.

Das Konzept funktioniert am eindrucksvollsten bei „Mäedchen Teil Zwo“, das sich einerseits auf den mittlerweile zum Evergreen gewachsenen, einsamen Hit von Lucilectric bezieht, andererseits aber auch die dröhnende Selbstermächtigung einer missbrauchten Frau ist. In dem autobiografischen Song schildert van Org beklemmende Situationen aus ihrer Kindheit und droht ihren ehemaligen Peinigern: „Fürchte dich, sieh mich an, erkennst du mich / Weißt du noch, was einst geschah, als ich noch ein Mädchen war?“

Dass sie für diese Thematik ausgerechnet beinharten Metal wählt, hat seine Berechtigung. Unter den Fans solcher Musik mögen zwar mitunter mittelalterliche Rollenvorstellungen kursieren, aber das Genre selbst kennt schon lange durchaus starke Frauenfiguren: „Die sehen zwar aus wie Pin-Ups, aber wehe, du fasst sie an, dann gibt es in die Fresse.“ Üebermutter soll also weibliche Stärke und Selbstbehauptung propagieren. Die Mädchen von heute sollen weiter schaukeln dürfen wie sie damals im quietschbunten Videoclip zu „Mädchen“, aber sie sollen sich auch wehren können. Üebermutter praktiziert seit neun Jahren Wing-Tsun, eine Form von Kung-Fu. Das Mädchen ist erwachsen geworden. Nun wird zurückgeschlagen.

Üebermutter: „Unheil!“ (Roadrunner/ Warner)