Auch Oldenburg war mal Avantgarde: Von der Monarchie zur Moderne

Eine Ausstellung im Oldenburger Schloss erinnert an die Zeiten, als "die Moderne" in der nordwestdeutschen Provinz noch Partys feierte - und künstlerisch am Puls der Zeit war. Überörtlich wurde das seinerzeit freilich so wenig wahrgenommen wie heute

Museumskonzeptionen im Wandel: links ein Blick in das Oldenburger Kunstgewerbemuseum um 1919, rechts die ersten Stahlrohrschwinger im Schloss

Von der Monarchie zur Moderne ist es manchmal nur ein Katzensprung. Zumindest in Oldenburg war es so: Nachdem die Deutschen 1918 ihre regierenden Fürstenhäuser abgeschafft hatten, die Oldenburger also ihren Großherzog, war ideologisch und auch rein räumlich der Weg frei für Neues. Wie aktuell allerdings die Kunst war, die ab den 20er Jahren im umfunktionierten Oldenburger Residenzschloss gezeigt werden konnte, war bis vor Kurzem völlig unbekannt. Rainer Stamm, der noch relativ neue Direktor des Oldenburger Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte, hat in den Magazinen und Kellern seines Hauses erstaunliche Entdeckungen gemacht.

Unter dem Titel "Aufbruch in die Moderne" zeigt Stamm nun Werke, mit denen sein Vorvorvorvorgänger Walter Müller-Wulckow, Gründungsdirektor des Hauses, seine Zeitgenossen überraschte - und die seither größtenteils nie wieder gezeigt wurden, was auch mit den Museums-"Säuberungen" der NS-Zeit zusammenhängt. Dazu zählen Art déco-Keramiken, deren Existenz - zumal in Oldenburg - die Fachwelt erstaunt. Dass etwa Moissey Kogans "Kauernde" von 1925 nun erstmals wieder Tageslicht sieht oder die in deutschen Sammlungen äußerst raren Keramiken von René Buthaud und Henri Simmen wieder sichtbar sind, gilt als kleine Sensation. Müller-Wulckow hatte sie zielsicher auf der "Exposition internationale des Arts décoratifs et industriels modernes" in Paris erworben, die zur Namensgeberin des Stilbegriffs "Art déco" überhaupt wurde.

Auch bei der neusachlichen Fotografie erwies sich Müller-Wulckow als derart vorn, dass seine Oldenburger Ausstellungen mit lichtbildnerischen Werken von Albert Renger-Paesch oder Aenne Biermann oft vor oder unmittelbar nach deren Erstpublikationen eröffneten. Auch die Stahlrohrmöbel, die Müller-Wulckow direkt aus der Produktion der Dessauer Bauhaus-Kollegen bestellte, gaben dem Schloss einen völlig neuen Akzent - und der Oldenburger Bevölkerung erstmals einen Eindruck von modernem Meublement. Die Einwohner des konservativen Residenzstädtchens durften sich näher am Puls der Zeit wähnen als so manch Berliner Mietshaus-Bewohner.

Es ist faszinierend zu sehen, welches Maß an Moderne der junge, ambitionierte Direktor in die nordwestdeutsche Provinz brachte. Einen Teil des altehrwürdigen Schlosses erklärte er zur "Galerie der Gegenwart" und zeigte dort die Brücke-Künstler oder Max Beckmanns aktuellste Landschaften. Er gründete nach Frankfurter Vorbild eine "Vereinigung für Junge Kunst", die Konzerte, Lesungen und berüchtigte Künstlerfeste veranstaltete. Alexander Döblin las hier bereits 1928 aus "Berlin Alexanderplatz", als das Werk noch Manuskript war. Bertolt Brecht und die Tanz-Pionierin Mary Wigman kamen, Gottfried Benn trug am 30. Januar 1933 im Museum seine neuartigen Gedichte vor, während draußen auf der Straße schon der Fackelzug der örtlichen "Machtergreifer" vorbeizog.

Stamms etwas kühne Definition vom "zweiten Aufbruch in die Moderne" bezieht sich im Übrigen auf den Zeitpunkt der frühen Musealisierung dieser Werke durch Müller-Wulckow. Der "erste" Aufbruch wäre demnach das Erscheinen der ersten Expressionisten am Dangaster Strand: Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff begannen schon 1912, dort malend ihre Sommermonate zu verbringen, wenig später wählte Franz Radziwill das Nordseebad als festen Wohnsitz.

Nun wird aus einem leeren Schloss nicht zwangsläufig ein Hort der modernen Kunst, nur weil ein Großherzog das Weite sucht. Der entsprechende Beschluss des Oldenburger Landtags und die Berufung des als Avantgarde-Förderer bekannten Müller-Wulckow aus dem fernen Frankfurt muss als bemerkenswert mutig bezeichnet werden. Doch als Müller-Wulckow ab 1921 vor Ort war, stieß er durchaus auf Schwierigkeiten. Die finanziellen Mittel erwiesen sich als sehr begrenzt, der Museumsvorstand als ambivalent - und die öffentliche Resonanz, auch reichsweit, als einigermaßen zurückhaltend. Was für Müller-Wulckow umso frustrierender gewesen sein muss, als er zuvor selbst regelmäßiger Mitarbeiter der renommierten "Frankfurter Zeitung" war.

90 Jahre später macht Rainer Stamm ähnliche Erfahrungen. So bewegt sich der mediale Wirkungskreis der äußerst erkenntnisträchtigen Oldenburger Ausstellung zwischen Nordsee-Zeitung, Neuer Osnabrücker und der Hörzu, die immerhin ihre wöchentliche Rubrik mit dem lustigen Fehler-Suchbild "Bube mit Beeren" von Ernst-Ludwig Kirchner aus der Oldenburger Ausstellung bestückte. Doch in den überregionalen Zeitungs-Feuilletons ist nichts erschienen. Wiederholt sich also die Geschichte?

In der Tat seien Feuilleton-Resonanz und Publikumszahlen "leider enttäuschend", sagt Stamm. Statt der bislang erreichen knapp 9.000 habe er mit doppelt so vielen Besuchern gerechnet. Immerhin: Das Interesse des Expertenpublikums ist geweckt. Etliche Bauhaus-Kollegen haben sich zur Arbeit im Archiv angemeldet, die Leihanfragen werden nicht ausbleiben - welche Schätze der Moderne in den Oldenburger Archiven lagern, war ja bislang völlig unbekannt.

Bei so viel Expressionismus, Bauhaus und Neuer Sachlichkeit fanden die Nazis 1937 - in Sachen Kunst mittlerweile auf den rein völkischen Kurs getrimmt - im Oldenburger Schloss reiche Beute. Sie beschlagnahmten 103 Werke als "entartet", von den in den letzten Jahren rund ein Drittel zurück erworben werden konnte. Einiges rettete Müller-Wulckow, in dem er es im Magazin verschwinden ließ - wo es dann vergessen wurde.

Oldenburgs derzeitiges Bemühen um "Moderne" findet auch bezüglich der Nazi-Zeit seinen Niederschlag: Erstmals gibt es im Landesmuseum nun eine Stelle für Provenienzforschung, die mit der systematischen Sichtung der seit 1933 erworbenen Sammlungsbestände betraut ist.

Trotz Finanzierung durch das Land Niedersachsen - worin sich übrigens im Vergleich zum Land Bremen eine erfreulich andere Haltung ausdrückt - ist die Provenienz-Stelle auf zunächst zwölf Monate befristet. Der in Oldenburg vorgenommene Paradigmenwechsel ist trotzdem unübersehbar: Noch vor gar nicht langer Zeit lehnten es die Vorgänger der heutigen Direktoren der beiden Oldenburger Landesmuseen ab, sich vom Kulturministerium bei der Provenienzforschung finanziell unterstützen zu lassen.

Dabei gibt es gerade in Oldenburg viel zu untersuchen: Nicht nur die umfangreiche Gemäldesammlung muss auf Raubgut aus ehemals jüdischem Besitz untersucht werden, auch die kunstgewerblichen Objekte wie Möbel, Keramik und Gebrauchsgegenstände gehören auf den Prüfstand: Zwischen 1942 und 1944 diente die Stadt als Sammelstelle für den beschlagnahmten Besitz der jüdischen Bevölkerungsteile Hollands, Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs. Allein in den Jahren 1942/ 43 erreichten nach Angaben des Landesmuseums 5.865 Güterwaggons mit sogenannten "Hollandmöbeln" den Gau Weser-Ems, die im Rahmen der "M-Aktion" zur "Weiterverwertung an die zuständigen Reichsstellen abgeliefert" wurden - oder aber in Oldenburg verblieben.

Stamm hat bereits in seiner früheren Funktion als Direktor der Kunstsammlungen der Bremer Böttcherstraße die Restitutions-Bemühungen entscheidend vorangebracht. Er steht ebenso für die Stringenz der jetzt begonnenen Oldenburger Bemühungen wie sein Kollege Peter-René Becker vom Landesmuseum für Natur und Mensch, der bundesweit die Debatte um Altlasten in naturkundlichen Sammlungen anstieß. Diesbezüglich ist am Oldenburger Wille zur Moderne weit weniger zu zweifeln als andernorts.

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