TARIFABSCHLUSS IM ÖFFENTLICHEN DIENST: VER.DI STÜTZT DIE KLEINEN LEUTE
: Sockel gegen Armutslöhne

Wer wissen will, wie es um die finanzielle Situation breiter Einkommensschichten in Deutschland bestellt ist, der muss sich die Tarifeinigung anschauen, die gestern beschlossen wurde. Es gibt deutlich mehr Geld für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Gegen die Preissteigerungen nimmt sich die Erhöhung eher bescheiden aus. Zudem können die ArbeitnehmerInnen bei Bund und Kommunen ihre Kaufkraft nur steigern, indem sie etwas länger ackern. Die ArbeitnehmerInnen sind immer noch in der Defensive. Trotzdem hat Ver.di mit dem Abschluss ein Zeichen gesetzt. Denn die Einigung begünstigt vor allem die Niedrigverdienenden.

Hochgerechnet gut 5 Prozent mehr gibt es in diesem Jahr. Im nächsten Jahr erhalten die Beschäftigten noch mal 2,8 Prozent mehr. Das hört sich gut an, doch wenn die Inflationsrate allein in diesem Jahr auf über 2,5 Prozent klettert, frisst sie die Hälfte der Erhöhungen auf. Zudem wird die Arbeitszeit auf 39 Wochenstunden verlängert. Jede halbe Stunde mehr Dienstzeit ergibt aber rechnerisch 1,2 Prozent weniger Stundenlohn. Und doch ist der Abschluss zu begrüßen. Die Aufteilung der Entgeltsteigerungen in Sockelbeträge, die den unteren Einkommensgruppen verhältnismäßig hohe Lohnzuwächse bescheren, gibt ihm eine soziale Komponente. Die unterste Entgeltgruppe erhält dadurch in diesem Jahr rechnerisch 7,1 Prozent mehr Lohn.

Die Gewerkschaft Ver.di geht bei dieser Binnendifferenzierung den umgekehrten Weg wie etwa die an Bedeutung gewachsenen Berufsgewerkschaften der Ärzte und Lokführer. Diese Berufsverbände handeln je nach logistischer und gesellschaftlicher Position für ihre Klientel vergleichsweise hohe Abschlüsse aus.

Ver.di hingegen stützt in den Tarifabschlüssen mit Sockelbeträgen die „kleinen Leute“ und macht sich zu deren Anwalt. Das ist nicht nur eine kluge Antwort auf die Debatte über den Mindestlohn. Auch für die Mitgliedergewinnung einer Massengewerkschaft ist es die richtige Politik. Die Frage ist allerdings: Wer sind die „kleinen Leute“? Die Beamten etwa, so hört man, fühlen sich derzeit wieder benachteiligt. Sie arbeiten heute schon zwischen 40 und 42 Stunden. BARBARA DRIBBUSCH