ausgehen und rumstehen
: Ware Arbeit, wahrer Lohn. Fünf Thesen zwischen NGBK und Buback Labelabend

Die Türen haben meinem Leben keinen neuen Sinn gegeben, das wär dann doch zu viel gesagt. Aber sie haben mich am Samstag immerhin in Euphorie versetzt. CD zum ersten Mal in den Player gesteckt, Knall auf Fall, von null auf hundert, wie man so sagt. Der Refrain will schon beim zweiten Mal mitgesungen werden. Sei nicht traurig, (huhuhu), das letzte Hemd hat keine Taschen. Sei nicht traurig, (huhuhu), da ist immer noch genug Pfand auf den Flaschen. Style Council, Roxy Music, Annette Peacock, ESG, alles drin.

These eins dieser Kolumne lautet also: „Popo“ wird dereinst in einem Atemzug mit großen deutschen Platten wie „IV“, „Resistance“ und ein paar anderen genannt werden, die mir grad nicht einfallen. Anders, als sein Titel nahelegt, handelt das Türen-Album nicht analfixiert vom Geld, sondern streng materialistisch von der Arbeitskraft, die man verkaufen muss, um welches zu kriegen, obwohl das keinen Sinn mehr hat: Allein von Arbeit, neinneinnein, kann man nicht leben.

Der Auftrag vom Vortag lautete: Buback-Labelnacht in der Volksbühne aufsuchen. Economy Class, give me a vollzeitarbeit, war da nicht was? Ausgerechnet in der Goldenen-Zitronen-Doku, die schon um acht anlässlich des zehnjährigen Labeljubiläums zu sehen ist, ist keine Rede von der Arbeit, mit der manche Zitrone heute in staatlich subventionierten Betrieben den Lebensunterhalt verdient, echauffiert sich Claudia nachher im „3“. Wer verdingt sich nicht, aber so werde man selber nun wirklich völlig hängengelassen, als sei das eigene Durchwurschteln nicht glamourös genug. Man ist geneigt, auch in dieser Angelegenheit den Türen zu glauben. Uncool ist das neue Cool.

Aber alles der Reihe nach. Saß am Freitagabend bis spät noch im Büro des selbstverwalteten Betriebs, der seinem Wesen wie seiner Erscheinung nach mehr protestantisch als alles andere ist. Daher These zwei: Wenn man sich genommen hat, was einem sowieso gehört, fängt der Stress erst richtig an. Also schnell Falafelteller in der Adalbertstraße essen und weiter zur Katastrophenkunstvernissage in der NGBK. Dort die Hoffnung der deutschen Gegenwartsliteratur schwanger angetroffen, neben einem Wellblechzaun, zu einer Acht zusammengefaltet, Fotos von Sturmschäden, der KGB im deutschen Wald. Daraus folgt nun These Nummer drei: Reproduktion ist nicht nur Arbeit, sondern ein pathetischer, weil ultimativ sinnloser, aber eben darum umso schönerer Akt der Gegenwehr. Du und ich, wir sind schon jetzt Staub und Asche, gelobt sei Jesus Christus, aber einen neuen Menschen haben wir trotzdem gemacht. Absolut unwahrscheinlich: Alles strebt gen Wärmetod. Hier aber, wo vorher nichts war, ist alles dran. Augen, Ohren, Mund und Nase. Nimm das, Entropie.

In der Volksbühne angekommen, sagen alle dasselbe: Es sind lauter Leute da, die ich ewig nicht gesehen habe. Darunter mein alter Freund Markus aus den Tagen von Friseur, Elektro, WMF, heute bestens gelaunt. Er betätigt sich im Laufe des Abends als oberster Zwischenrufer, was zu dessen Gelingen nicht unwesentlich beiträgt. Das ist mehr, als man erwarten konnte – schließlich hat der Mann Eintritt bezahlt. Aber auch Ausgehen und Rumstehen ist heutzutage bekanntlich Arbeit.

JaKönigJa stapeln mittels Gitarre, Vibrafon etc. mäandernde Melodien übereinander, als wär’s das letzte Mal. „Handwerk!“, schreit Markus also aus der zweiten Reihe, was die ganz unglaublich zwischen Unabomber und Gemeindeaktivität gestylten Damen und Herren von JaKönigJa erst als Lob auffassen, dann aber gleich wieder verunsichert. Denn der Zwischenrufer schickt eine seiner tsunamihaften Lachkaskaden hinterher. Ich versichere hiermit: Er hat sich wirklich gefreut. Konsequenterweise zündet jemand einen Joint an, den die übermotivierten Sicherheitsarbeiter des Hauses aber nicht orten können. Auch in der Volksbühne, letzte These, gilt heute im übertragenen Sinn die Devise der globalen Hausbesitzerklasse. Graffiti sofort entfernen, sonst Gefahr von wertmindernder Verwahrlosung.

Heißt das alles nun etwa: Was ich haben will, das krieg ich nicht? Nein. In der Volksbühne lässt sich’s weiterhin gut rumstehen. Und FSK liefern schließlich exactement das, was man schon immer von ihnen haben wollte. Alte Punk-Stücke in neuen Disco-Arrangements. Einfach, schön, alle wippen mit. Gute Unterhaltung, wahre Arbeit, kein Stress. Die Türen waren angeblich auch da. ULRICH GUTMAIR