Zum Schwarzen gemacht

Über den republikanischen Präsidentschaftskandidaten in spe, John McCain, liegt kein Buch auf Deutsch vor, doch zu Hillary Clinton und Barack Obama sind mehrere Titel erschienen. Allen voran ist zu empfehlen Carl Bernsteins so kluge wie monumentale Biografie „Hillary Clinton. Die Macht einer Frau“ (968 Seiten, 22,90 Euro). Jeff Gerth’ und Don Van Nattas „Hillary Rodham Clinton. Ihr Weg zur Macht“ (416 Seiten, 16,90 Euro) dürfte vor allem Hillary-Hassern Spaß machen, während Christiane Oppermanns „Hillary Clinton – ‚I am in to win!‘ “ (224 Seiten, 13,90 Euro) eine knappe Einführung bietet. Christoph von Marschalls „Barack Obama: Der schwarze Kennedy“ (224 Seiten, 24 Euro) und Markus Günthers „Barack Obama. Amerikas neue Hoffnung“ (200 Seiten, 15,95 Euro) bieten jeweils einen lesenswerten Einblick nicht nur in Obamas Biografie, sondern auch in das politische System der USA. DAH

Früh hat Barack Obama erkannt: Er kann seiner Hautfarbe nicht entkommen. In seiner Autobiografie beschreibt er, wie er sich mit diesem Rassismus schließlich versöhnt hat

VON ULRIKE HERRMANN

Barack Obama war etwa neun Jahre alt, als er aus der fraglosen Selbstsicherheit eines Kindes herausgerissen wurde. In einer Ausgabe von Life sah er Fotos von entstellten Schwarzen, die mithilfe von Chemikalien versucht hatten, Weiße zu werden. Diese Bilder setzten eine Kette von Beobachtungen in Gang: Nun fiel ihm auch auf, dass der Weihnachtsmann ja weiß ist und dass schwarze Kinder in den Katalogen der Warenhäuser nicht vorkamen.

Zum ersten Mal spürte er, dass letztlich die Hautfarbe die Identität und den Status eines US-Amerikaners bestimmt. Mit seiner Mutter sprach er jedoch nicht darüber. Sie war eine Weiße aus Kansas, und instinktiv ahnte ihr kleiner brauner Sohn, dass sie am Mythos der weißen Mittelschicht festhalten wollte, dass allein die Leistung zählt. „Ihrer Liebe war ich mir sicher“, schreibt Obama in seiner Autobiografie, die jetzt auf Deutsch erschienen ist. „Doch ich musste erkennen, dass ihr Blick auf die Welt (…) unvollständig war.“

Der 46-jährige Obama ist das Ergebnis einer „Rassenmischung“, wie es damals hieß und die 1961 noch in mehr als der Hälfte aller US-Staaten als Straftat geahndet wurde. Sein Vater war ein Kenianer, ein Luo, der aus dem kleinen Dorf Alego an den Ufern des Viktoriasees stammte und zum Studium nach Hawaii gekommen war. Diesen Vater hat er kaum erlebt: Schon 1963 verließ Barack Obama sen. die Familie, um in Harvard zu promovieren und anschließend nach Kenia zurückzukehren.

Sein Sohn ist bei der Mutter und den amerikanischen Großeltern aufgewachsen, die er liebevoll „Gramps“ und „Toot“ nennt. Dennoch hat der abwesende Vater über Obamas Leben entschieden, weil er ihn in den Augen der US-Gesellschaft zu einem Schwarzen gemacht hat. Dem äußerlichen Erbteil der Hautfarbe war nicht zu entkommen. Insofern war es nur konsequent, dass Obamas Autobiografie im Original den Titel „Dreams from My Father: A Story of Race and Inheritance“ trägt. Bei der deutschen Übersetzung wurde allerdings darauf verzichtet, diesen eindeutigen Hinweis auf die schwarze Herkunft zu übernehmen. Stattdessen heißt es harmlos „Ein amerikanischer Traum. Die Geschichte meiner Familie“.

Dieser banale Titel verdeckt, was das Buch so lehrreich macht: In pointiert verdichteten Szenen wird in den alltäglichen Rassismus der USA eingeführt. Niemand könnte diesen Code der Aus- und Abgrenzung besser beschreiben als Obama, denn er war schon immer ein Ethnologe seiner selbst. Als einziger Schwarzer in einer weißen Familie musste er als Jugendlicher allein herausfinden, was das überhaupt ist – ein Schwarzer in den USA.

Zum Schwarzen wurde er selbst von seiner Mutter gemacht, die ihm schon als kleines Kind die Reden von Martin Luther King mitbrachte oder ihm afro-amerikanische Musik vorspielte. Es war liebevoll gemeint: Sie wollte, dass er stolz auf seine Herkunft ist. Aber auch für sie war diese Herkunft letztlich durch seine Hautfarbe bestimmt. Es gehört zu den Stärken des Buches, dass Obama den unreflektierten Rassismus in seiner eigenen Familie nicht verschweigt, die ihn nie verletzen wollte und doch verletzt hat.

Als Teenager reagierte er mit trotziger Rebellion, konsumierte Haschisch, Alkohol und manchmal Kokain. Obama brauchte Jahre, um das Selbstmitleid und den Selbsthass zu überwinden, den die subtile Hierarchie zwischen Weißen und Schwarzen bei ihm hinterlassen hatte. Er war bereits Student in Los Angeles, als ihm jene zentrale Einsicht kam, die ihn noch heute als Politiker trägt: „Selbst wenn man eingesperrt ist in einer Welt, die man nicht selbst erschaffen hat, so hat man doch das Recht, sich einzumischen. Man hat Verantwortung. (…) Meine Identität mag mit meiner Hautfarbe beginnen, aber sie hört dort nicht auf – kann dort nicht aufhören.“

Obamas Autobiografie ist in den USA schon 1995 erschienen, nachdem es für mediale Aufmerksamkeit gesorgt hatte, dass mit ihm erstmals ein Schwarzer zum Herausgeber der renommierten Harvard Law Review gewählt worden war. 2004 wurde das Buch dann erneut aufgelegt, nachdem Obama für Illinois in den US-Senat eingezogen war, dem er nun als einziger Afroamerikaner angehört. Die erste Auflage war mit 20.000 verkauften Büchern noch eher ein Ladenhüter – inzwischen jedoch wurde die Autobiografie zum Bestseller in den USA.

Aufgebaut ist sie wie ein gut geschriebener Roman: Jedes Kapitel beginnt mit einer pointierten Einstiegsszene, Dialoge treiben die Selbstreflexion voran, Pathos wechselt mit Ironie. Diese Fähigkeit zur literarischen Verdichtung geht jedoch gelegentlich verloren, je frischer die Erinnerungen sind. So wirkt das Kapitel über einen Besuch bei seiner Familie in Kenia streckenweise, als hätte er sein Reisetagebuch abgeschrieben, und auch seine Erfahrungen als Streetworker in Chicago werden manchmal quälend ausführlich dargestellt. Im Vorwort zur zweiten Auflage gibt Obama zu, dass er gern 50 Seiten gestrichen hätte. Darauf hat er dann leider verzichtet, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, politisch opportun umzuschreiben.

Völlig unverfälscht lässt sich also nachlesen, dass Obama schon vor 13 Jahren aus seinem Leben jene Erzählung destilliert hatte, die nun die Wähler begeistert: Es ist die Geschichte, wie Wandel und Versöhnung möglich werden, wenn man Verantwortung für sich und die Gemeinschaft übernimmt.

Barack Obama: „Ein amerikanischer Traum. Die Geschichte meiner Familie“. Aus dem Amerikanischen von Matthias Fienbork. Hanser Verlag, München 2008, 448 Seiten, 24,90 Euro Letzten Sommer erschien bereits Barack Obamas politisch-programmatisches Buch „The Audacity of Hope“ auf Deutsch: „Hoffnung wagen. Gedanken zur Rückbesinnung auf den American Dream“. Aus dem Amerikanischen von H. Dierlamm/U. Schäfer. Riemann, München 2007, 474 Seiten, 19 Euro