Prost Mahlzeit!

Bei der Bremer Schaffermahlzeit werden schwere Gänge aufgetragen, und es gelten Gesetze, die für Außenstehende kaum zu verstehen sind. Zur 464. Wiederholung dieses Ereignisses am heutigen Freitag schaut die taz nord in die Töpfe

von BENNO SCHIRRMEISTER

Die Bremer Schaffermahlzeit ist das älteste Brudermahl der Welt. Punkt. Anders als das seit 1356 veranstaltete Hamburger Matthiae-Mahl – ältestes Festmahl der Welt – ist es politisch korrekt: Während es in Hamburg seit jeher darum geht, dem Geltungsdrang der Stadtregierung mit einem zeitgemäßen Gala-Dinner eine Bühne zu geben, war die Bremer Veranstaltung anfangs ein kaufmännisch-seefahrerisches Arbeitsessen, ist privat finanziert und verfolgt seit 1545 einen karitativen Zweck. Es werden Spenden für die „Arme Seefahrt“ gesammelt, die heutige „Stiftung Haus Seefahrt“. Es nehmen 100 Kapitäne, 100 Kaufleute und 100 auswärtige Gäste teil. Die Regeln sind eng und befremdlich: Da ist der genaue Ablaufplan (Beginn: 14:28 Uhr, sechs Gänge, sechs Reden, eine Rauch-und-Pinkelpause). Da ist die Speisenfolge, die, seit dem 19. Jahrhundert, nur alle 100 Jahre verändert werden darf. Da ist der Brauch, das Besteck zwischen den Gängen mit Löschpapier abzuwischen, statt es zu wechseln. Und, als Pflichtgetränk, ein süßes Malzbier. Die taz nord befragt Experten, was davon zu halten ist.

Das Besteck mit Löschpapier abwischen – müssen die Bremer nicht andere Manieren lernen, Herr Asserate?

Asfa-Wosse Asserate: Aber nein, auf gar keinen Fall! Ich war vergangenes Jahr Gast bei der Schaffermahlzeit – und ich kenne nichts Schöneres. Weltweit. Dabei geht es nicht um kulinarische Höhepunkte oder darum, ob mit fünf oder sechs Bestecksorten gearbeitet wird.

So ist das nämlich mit den Manieren: Es kommt immer darauf an, wer etwas tut und wo, also in welchem Rahmen. Wenn wir das bei uns, also Sie bei sich oder ich bei mir, zu Hause einführen würden – das wäre schrecklich. Aber bei der Schaffermahlzeit ist allein das Abwischen zu einem echten Symbol geworden, zu einem Markenzeichen. Das, was die Schaffermahlzeit so unglaublich macht, ist, dass alles schon seit 400 Jahren genau so gemacht wird. Wenn das jemand ändern würde, etwa aus hygienischen Gründen, und sagen: Ab sofort müssen wir hier für jeden Gang passendes Besteck decken – das wäre ein Traditionsbruch.

Im vergangenen Jahr hat es ja auch eine Änderung gegeben, da war mit Angela Merkel erstmals eine Frau als Gast eingeladen. Ich glaube, es gab vorher auch schon eine Kapitänin [stimmt: 2005, Barbara Massing, d. Red.]. Das ist aber nicht so gravierend: Die Briten haben sich für ihre Traditionsveranstaltungen zur Zeit von Margaret Thatcher mit einer List geholfen: Die haben sie als Ehren-Mann deklariert.

Prinz Asfa-Wossen Asserate ist ein Neffe des letzten äthiopischen Kaisers, Unternehmensberater und lebt in Frankfurt. Für Furore sorgte er als Verfasser des historisch-kritischen Ratgebers „Manieren“, Eichborn, 2003, 330 Seiten, 27,50 Euro.

Was halten Sie als Sternekoch von der Menüfolge, Herr Luther?

Die Menüfolge geht gar nicht, die ist mit Fisch und Fleisch ein bisschen durcheinander gekommen. Ich finde diesen Grünkohl und danach den Kalbsbraten nicht so ganz passend. Sie müssen ja immer Höhen und Tiefen haben in einem Menü. Grünkohl hat eine Mächtigkeit, und dann Kalbsbraten, na ja, es kommt darauf an, wie das verfeinert ist. Nach dem Kalb kommt dann Butt, ich weiß nicht, was der Rigaer Butt für ein Fisch ist, es gibt ja verschiedene Butt-Arten. Und Chester-Käse dazu? Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich bin ja immer offen für alles, aber ich würde das so nicht kombinieren. Man muss ja auch dem Produkt gerecht werden, dass das nicht an Intensität verliert. Und Malzbier zum Essen geht überhaupt nicht.

Dirk Luther, Sternekoch mit zwei Sternen, kocht im Restaurant Meierei, Hotel Alter Meierhof, in Glücksburg an der Flensburger Förde.

Gefährdet so ein Mahl die Gesundheit, Herr Hahn?

Andreas Hahn: Auf den ersten Blick lässt sich nur sagen: Das ist sehr nahrhaft und energiereich! Problematisch ist das aus ernährungsphysiologischer Sicht eigentlich nicht, solange es nur einmal im Jahr eingenommen wird.

Ob es zu Verdauungsproblemen kommt, hängt natürlich davon ab, wie viel jeder Einzelne von jeder Speise zu sich nimmt – das lässt sich seriös so nicht sagen, da bräuchte man schon genaue Angaben in Gramm. Aber wenn man sich normale Festessen anschaut – ein klassisches Gänse-Essen zu Weihnachten beispielsweise – dann ist das im Vergleich auch nichts anderes. Einmal Völlerei, ein opulentes Mahl im Jahr – dagegen ist nichts einzuwenden. Das geht schon in Ordnung. Und das hat auch keine weiteren Folgen.

Andreas Hahn ist Professor am Institut für Lebensmittelwissenschaft und Ökotrophologie an der Leibniz-Uni Hannover. Der Ernährungswissenschaftler betreut derzeit eine Studie, die unter dem Titel „Ran an den Winterspeck“ Formula-Diäten untersucht.

Kriegen Sie als langjähriger Schaffer nicht schon vorab Magendrücken, Herr Peters?

Niels Peters: Ach was. Sie müssen sich ja nicht den Teller voll laden. Sind ja alles erwachsene Leute. Wir werden auch oft gefragt, warum gibt’s denn da kein Labskaus? Aber das ginge gar nicht: Wissen Sie, wie wir früher auf dem Schiff Labskaus genannt haben? Zement haben wir dazu gesagt. Also, damit lässt sich kein Blumenpott gewinnen.

Sie müssen die Schaffermahlzeit von verschiedenen Seiten sehen: Der Sinn ist ja, die Stiftung „Haus Seefahrt“ fortzusetzen, für die Bedürftigen. Und das andere: Das Ganze lebt von dieser Speisefolge, den Reden und den Gästen. Meistens schauen die Leute nur auf die Schaffer und die Ehrengäste, da müsste man mal ein Gegeninterview machen, das Seemännische stärker rausbringen. Bei den Kaufleuten geht das ja fix, die werden vier Jahre vorher gewählt und sitzen dann schon zwei Jahre vorab dabei. Unsere Seeleute müssen alle möglichen Bedingungen erfüllen, zum Beispiel 16 Jahre in der Stiftung sein, bevor sie Schafferkapitäne sind. Das ist so der prinzipielle Unterschied: Entweder Sie arbeiten. Oder Sie lassen arbeiten.

Niels Peters ist seit 2002 Verwaltender Kapitän der Stiftung Haus Seefahrt. Nach zwei Jahrzehnten Fahrten in Ostasien, Zentralamerika und den USA wechselte er 1970 zur Lotsenbrüderschaft Weser I.

Warum ändert sich seit dem 19. Jahrhundert die Speisenfolge nicht mehr, Herr Elmshäuser?

Konrad Elmshäuser: Dass sich so ein Festmahl in so hohem Maße ritualisiert, liegt vermutlich daran, dass sein ursprünglicher Zweck verloren gegangen ist. Das Menü, das ja wirklich erkennbar mächtig ist und unseren Vorstellungen von einem guten Essen einigermaßen zuwiderläuft – allein auch dieses Malzbier: Heute würde doch niemals eine Brauerei auf die Idee kommen, so etwas auf den Markt zu bringen! – also, dieses Essen hat ja dann einen Sinn, wenn man den Anlass der Veranstaltung im Blick hat. Das ist das letzte Treffen zwischen Kaufleuten und Kapitänen, bevor die nach dem Frost wieder in See stechen können.

Vor dem Hintergrund gerade der Segelschifffahrt ist so eine kaloriengesättigte Mahlzeit sicher sinnvoll, und so lange dieser Zweck vorherrscht, kann sich die Speisenfolge auch ändern. Sobald er aber an Bedeutung verliert, das wäre meine kulturhistorische Überlegung, und die Bewahrung einer Tradition zum Hauptzweck der Veranstaltung wird, nimmt auch die Ritualisierung zu. Ich stelle mir vor, dass das nicht immer ganz einfach ist, das den jeweiligen Gästen klar zu machen, dass sie das jetzt so essen sollen.

Aber gleichzeitig sind diese gleichbleibenden Strukturen wahrscheinlich auch der Schlüssel zum Erfolg der Schaffermahlzeit. Denn eingeladen werden ja vor allem Menschen aus der Wirtschaft oder Politiker, also Leute, die mit dem immer schnelleren Wandel der Welt zu tun haben. Für die ist das natürlich doppelt interessant, den Reiz einer so starken Ritualisierung zu erleben.

Dr. Konrad Elmshäuser, Historiker, ist Leiter des Bremer Staatsarchivs, Herausgeber etlicher Werke über und Verfasser einer eigenen „Geschichte Bremens“, Beck, München 2007, 128 Seiten, 7,90 Euro.

Wie lässt sich der Übergang vom Malzbier zu den Weinen gestalten, Herr Siemens?

Jochen Siemens: Nach dem süßen Malzbier – das wahrscheinlich zum Stockfisch passt – bitte mit Wasser gut ausspülen, dann ein Stück Brot essen und anschließend den Wein – egal ob rot oder weiß – genießen.

Dr. Jochen Siemens, früher Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“ und von „Alles über Wein“, arbeitet heute für „Vinum – Europas Weinmagazin“ und als Winzer in Serrig an der Saar.

Fotohinweis:... und das sind nur vier der sechs Gänge! Die Speisenfolge: Auf Bremer Hühnersuppe folgt Stockfisch in Senfsauce, es schließt sich an Braunkohl mit Pinkel, Rauchfleisch und Maronen, dann Kalbsbraten an Selleriesalat mit Katharinenpflaumen und Äpfeln, es folgt so genannter Rigaer Butt mit Sardellen, Wurst und Chesterkäse. Zum Schluss gibt’s Obst und Mokka. Pflichtgetränk ist das Seefahrts-Malzbier, mit dem mehrfach angestoßen werden muss. Außerdem gibt’s gottseidank Wasser und zwei in gesonderter Zeremonie gekürte Weine: Den recht jungen 2006er Niederhäuser Hermannshöhle, Riesling Kabinett trocken vom Staatsweingut Schlossbockelheim an der Nahe, und einen 2003er Château Clarke Cru, Bourgeois Supérieur, Listrac AOC  Fotos (4): kw