Die besten Spieler zieht es nach Polen

Beim Challenge-Cup verliert der SCC Charlottenburg das Hinspiel gegen den AZS Olsztyn. Das liegt nicht zuletzt am Berliner Angreifer Björn Andrae, der seit dem Sommer für den fünfmaligen polnischen Volleyballmeister spielt

Nicht nur das Spiel-, auch das Gehaltsniveau ist in Polen deutlich höher

„Man muss nicht immer miteinander reden, um sich gut zu verstehen“, beschreibt der Kapitän der deutschen Volleyball-Nationalmannschaft Björn Andrae seine aktuelle Situation. Das klingt nach einer intakten Beziehung. Der 26-jährige Außenangreifer spielt seit dieser Saison beim fünfmaligen polnischen Meister AZS Olsztyn. Er fühlt sich wohl dort in dieser masurischen Stadt, obwohl er kein einziges Wort Polnisch versteht oder spricht.

Wohl deshalb wirkt Andrae auch immer ein wenig abwesend, wenn sein Trainer Ireneusz Mazur zur Auszeit bittet und lautstark auf die Spieler einredet. Dann hockt Andrae meist abseits am Rand, so, als wäre er eigentlich gar nicht dabei. Doch der Schein trügt. „Ich konzentriere mich in diesen Minuten voll auf mein Spiel. Was soll ich anderes machen, ich verstehe ja doch nichts“, erklärt Deutschlands derzeit bester Volleyballspieler seine Art, die Spielpausen zu füllen.

Diese nonverbale Strategie funktioniert erfolgreich. Immerhin 16 Punkte gelangen dem Zwei-Meter-Mann Andrae beim Challenge-Cup Achtelfinal-Auswärtserfolg (25:16; 18:25; 23:25; 26:24; 15:12) seines Vereins im Match gegen den SCC Charlottenburg Berlin am vergangenen Mittwoch. Andrae war damit der zweiterfolgreichste Punktesammler des polnischen Gastes.

Dass es in diesem Europapokalspiel dennoch weitaus spannender zuging als von vielen erwartet, lag vor allem an den Charlottenburgern. Nach einem fast desaströs anmutenden ersten Satz, konnten sie ihren Respekt vor den favorisierten Polen ablegen. Schließlich benötigte der aktuelle Tabellendritte der polnischen „Ekstraklasa“ aus Olsztyn knapp zwei Stunden und fünf Sätze, um den Tabellenzweiten der deutschen Volleyball-Bundesliga zu besiegen. Dabei vergaben die Berliner im vierten Satz beim Stand von 24:23 sogar einen Matchball. „Dass wir so gut mithalten konnten, haben wir eigentlich gar nicht erwartet. Das gibt uns Mut für das Rückspiel“, sagte der SCC-Trainer Michael Warm nach dem verlorenen Match. Am kommenden Mittwoch müssen die Berliner in Olsztyn antreten – und gewinnen, um zumindest noch einen Entscheidungssatz für den Viertelfinaleinzug zu erzwingen.

Daran jedoch glaubt niemand ernsthaft beim SCC. Zu unterschiedlich gestalten sich die Volleyballverhältnisse in Polen und Deutschland. „Die polnische Liga ist sehr ausgeglichen und das Spielniveau deutlich höher als in der Bundesliga“, zieht Björn Andrae einen Vergleich. Dann stellt er noch lakonisch fest, dass sich nicht nur das Spiel-, sondern auch das Gehaltsniveau in Polen stark von dem im Deutschen Volleyball unterscheidet. Auch deshalb fanden die zaghaften Wechselgespräche, die die Charlottenburger mit ihm vor der Saison führten, ein schnelles Ende.

Rund 150.000 Euro werden dem deutschen Angreifer in Polen jährlich überwiesen. „Für uns völlig utopisch“, meint der Charlottenburger Geschäftsführer Günter Trotz. Natürlich hätten die Berliner Andrae gern in ihrem Trikot gesehen. Schließlich haben sie ihn ja von der D- bis zur A-Jugend ausgebildet, bevor es den gebürtigen Berliner über den deutschen Vorzeigeverein VFB Friedrichshafen zunächst nach Italien und seit dem vergangenen Sommer nach Polen zog. Andrae steht damit exemplarisch für die Wanderbewegung, die den europäischen Vereinsvolleyball seit einigen Jahren erfasst hat.

Unter europäischen Spitzenvolleyballer wird derzeit die polnische „Ekstraklasa“ klar favorisiert. So leistete sich AZS Olsztyn in der Winterpause noch schnell einen Blitztransfer: Ein anderer Berliner, Exnationalspieler Frank Dehne, wurde aus Italien nach Olsztyn gelockt, für zunächst vier Monate. Auch Dehne schwärmt nicht nur von der Winterlandschaft Masurens, sondern vor allem von den Gehältern, „die hier üppig und pünktlich gezahlt werden“, wie er offen zugibt.

Kein Wunder, Olsztyn verfügt über einen Saisonetat von knapp 5 Millionen Euro. Die Fernseh- und Sponsorengelder sprudeln, der Zuschauerschnitt liegt bei rund 5.000. Zum Vergleich: Die Charlottenburger müssen in dieser Spielzeit mit 850.000 Euro über die Runden kommen und können sich einen 12.000 Euro teuren Europapokalabend wie den am vergangenen Mittwoch eigentlich gar nicht leisten. Den hat dann zum Glück der Berliner Senat zur Hälfte bezahlt. TORSTEN HASELBAUER