Ein Riss geht durch die Kirche

BAUEN Direkt neben der Friedrichswerderschen Kirche entstehen noble Wohnungen. Wegen der Bauarbeiten ist das Gebäude seit Jahren geschlossen; zahlreiche dadurch entstandene Schäden sind dokumentiert. Sie hätten wohl vermieden werden können

■ Die Friedrichswerdersche Kirche steht am Werderschen Markt und wurde zwischen 1824 und 1831 nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel erbaut. Bauleiter war Ludwig Ferdinand Hesse. Sie war die erste neugotische Kirche der Stadt.

■ Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude stark beschädigt und erst in den 1980er Jahren wiederaufgebaut. Die Friedrichswerdersche Kirche diente seit den 90er Jahren bis zur Schließung wegen Gebäudeschäden als Museum über das Wirken Schinkels und für Skulpturen des 19. Jahrhunderts. Mehr als 170.000 Menschen besuchten laut Stiftung Preußischer Kulturbesitz das Haus 2011, gut 140.000 waren es im letzten Öffnungsjahr bis zur Schließung am 10. September 2012. (taz)

VON RONALD BERG

Seit zweieinhalb Jahren schon ist die Friedrichswerdersche Kirche in unmittelbarer Nähe des Schlossplatzes geschlossen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die das Gebäude als Museum genutzt hat, nannte als Grund, es käme zu „Abplatzungen vom Deckenputz“, ausgelöst durch Bauarbeiten im Umfeld des Gebäudes. Dort entstehen vor allem höchstpreisige Eigentumswohnungen.

Schon mit bloßem Auge ist ein klaffender Riss zu sehen, der im nordwestlichen Chorabschluss von oben nach unten die Schinkel-Kirche durchzieht und bis ins Innere des Baus durchläuft. Statisch problematischer sind aber die Risse im Gewölbe, die Experten zufolge die Decke der Kirche zum Einsturz bringen könnten. Sowohl die Kirche als auch die auftretenden Schäden werden durch regelmäßige Messungen „kontrolliert und dokumentiert“, schreibt Senatsbaudirektorin Regula Lüscher in einer Antwort auf eine Kleine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion, die am Mittwoch veröffentlicht wurde.

Offenbar interessieren die Beschädigungen des Bauwerks aber kaum jemanden. Wie sonst ist es zu erklären, dass es eine Pressemitteilung der FDP brauchte – deren Zustand ebenfalls als fragil zu beschreiben ist –, um mediale Aufmerksamkeit zu erregen. „Die Friedrichswerdersche Kirche bricht auseinander“, empörte sich die freidemokratische Kulturexpertin Bettina von Seyfried vor einigen Wochen. Daraufhin titelten Zeitungen mit „Einsturzgefahr!“ (Berliner Kurier) und „Baudebakel“ (Tagesspiegel).

Fast ein Nationalheiligtum

Immerhin geht es hier ja um Preußens berühmtesten Baumeister: Karl Friedrich Schinkel, allseits kunsthistorisch anerkannt. Jeder seiner vielen Bauten ist für die preußischen Patrioten fast ein Nationalheiligtum. Schinkel baute die Friedrichswerdersche Kirche in den Jahren von 1824 bis 1831. Heute steht sie schräg gegenüber dem Auswärtigen Amt an einer Stelle, die den Namen Werderscher Markt trägt.

Vom einstigen Markt in dieser ersten barocken Stadterweiterung Berlins ist heute kaum etwas zu ahnen. Aber der einschiffige Hallenbau im Stile einer englischen College-Chapel verdankt seine hohe und schmale Form auch der Tatsache, dass seine unverputzten Backsteinmauern einst eng mit Häusern umgeben waren. Schon der Vorgängerbau, eine zur Kirche umgebaute Reithalle, hatte die lang gestreckte schmale Form.

Nun wächst die Bebauung rings um die Kirche wieder heran – gemäß dem Dogma der Berliner Stadtentwicklung zur Wiederherstellung des alten Stadtgrundrisses aus der Vorkriegszeit. Westlich der Kirche sind die als „Kronprinzengärten“ vermarkteten Luxusappartements der Bauwert Immobilien Gesellschaft inzwischen im Rohbau zu erkennen. Abstand zur Kirche: rund 5 Meter.

Im Zuge der Bauarbeiten kam es bei der Kirche zu Rissen in Gewölbe und Mauerwerk. 2012 erfolgte daher ein Baustopp. Mittels Injektionsverfahren wurde massiv Beton unter das Fundament der Kirche gepumpt, um ein weiteres Absacken der linken Kirchenhälfte zu verhindern. Immerhin: Seitdem hat sich der Zustand stabilisiert. Zu weiteren Sicherungsmaßnahmen gehört zudem die komplette Einrüstung des Innenraums.

Doch an eine Nutzung als Museum für die Plastik des frühen 19. Jahrhunderts durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist vorerst nicht mehr zu denken. Die Firma Bauwert hat sich immerhin bereit erklärt, die entstandenen Schäden zu beseitigen und der Preußenstiftung Kompensation für die Schließung ihres Museums zu zahlen.

Unklar ist jedoch, wie schwerwiegend diese Beschädigungen eigentlich sind. Pfarrer Stephan Frielinghaus, dessen evangelischer Kirchengemeinde in der Friedrichstadt das Gotteshaus gehört, spricht von „massiven Schäden“. Nach Auskunft des Bauwert-Sprechers Henning Hausmann handle sich indes um „nichts Besonderes“. Risse bei benachbarten Gebäuden seien bei Baumaßnahmen „fast ein Regelfall“. Die Bauwert will mit ihren siebengeschossigen Häusern Anfang 2016 fertig sein. Man werde die Schäden beseitigen, bekräftigt ihr Sprecher. Und Senatsbaudirektorin Lüscher erklärt, dass bereits im nächsten Monat damit begonnen werden soll, die „Vielzahl von Rissen und Verformungen im Deckengewölbe und an den Außenwänden“ zu beseitigen. Anschließend, so Lüscher weiter in der Antwort auf die Linksfraktion-Anfrage, erfolge die „restauratorische Sanierung im Innern der Kirche“.

Doch vielleicht ist das etwas voreilig. Denn der Kirche droht weiteres Ungemach. Auf der gegenüberliegenden – östlichen – Seite und nur 15 bis 20 Meter entfernt plant die Frankonia Eurobau AG Wohn- und Geschäftshäuser, im Juni soll mit dem Bau begonnen werden. Auch hier könnten Senkungen des Bodens „nicht ausgeschlossen werden“, so Lüscher. Geht dann das Desaster mit den Kollateralschäden an der Friedrichswerderschen Kirche in eine zweite Runde?

Die Frankonia erklärt dazu, sie sei sich der „Thematik sehr bewusst“ und habe „daher ein besonderes Baugrubenkonzept entwickelt“. Was das in der Praxis bedeutet, muss man abwarten.

Auf jeden Fall bleibt die Frage, ob die Behörden, die die Arbeiten genehmigt haben, Schäden an der Kirche nicht hätten voraussehen müssen. Vielleicht hätte man ja auf dem bekannt instabilen Untergrund mitten im Urstromtal der Spree ganz andere Voraussetzungen für das Bauen annehmen müssen? An der geradezu bodenlosen Abgründigkeit des Berliner Sumpfs laborieren ja zurzeit auch andere Bauprojekte in der Nachbarschaft, etwa die James Simon Galerie, also das neue Empfangsgebäude am Pergamonmuseum, und die Staatsoper. Auch hier wurde die Tücke des Berliner Untergrunds unterschätzt.

Einzig das Humboldt-Forum (alias Berliner Schloss) hat in dieser Hinsicht keine Probleme, weil man sich beim Bauen mit nur einem Kellergeschoss zufrieden gegeben hat. Das reicht 4 Meter ins Erdreich, wobei man dann bereits einen halben Meter im Grundwasser steht. Das aktuelle Projekt an der Friedrichswerderschen Kirche geht 6,80 Meter in die Tiefe. Denn die Firma Bauwert erstellt zwei Kellergeschosse inklusive Tiefgarage, da man seiner exklusiven Klientel zu jeder Wohnung nicht weniger als drei Pkw-Stellplätze bieten will.

Der Bezirk Mitte, der das genehmigt hat, ist sich allerdings keiner Schuld bewusst. „Die statischen Unterlagen werden von einem Statiker aufgestellt und von einem Prüfingenieur für Standsicherheit geprüft“, erklärt Tanja Lier von der Bauverwaltung des Bezirks auf Anfrage. Und weiter: „Es ist richtig, dass beide Statiker vom Bauherrn beauftragt werden. Da dies durch Rechtsänderung so gewollt war, steht mir eine Kritik daran nicht zu.“ Hätte man unter diesen Umständen die Schäden an der Friedrichswerderschen Kirche durch behördliche Auflage vermeiden können? Liers Antwort: „Meines Erachtens nicht.“ Sie hat wohl recht: Schließlich gibt die staatliche Behörde selbst gar keine Einschätzung zu den Gefahren beim Bauen ab, sondern verlässt sich auf den Bauträger.

Niemand will schuld sein

Wenig überraschend erklärt auch der Investor Bauwert das von ihr beauftragte Statikgutachten nicht für falsch. Vielmehr nimmt man für die Schäden an der Schinkel-Kirche eine „ungeklärte Ursache“ an, so Sprecher Hausmann. Am Ende will es also wieder mal keiner gewesen sein.

Vielleicht sollte man in Zukunft bei vergleichbaren Fällen lieber Vorsorge bei den Behörden treffen. Denn das seit den 1990er Jahren gängige „Genehmigungsfreistellungsverfahren“, wonach der Bauherr sein Bauprojekt beginnen kann, wenn die Genehmigungsbehörde den eingereichten Unterlagen nicht innerhalb eines Monats widerspricht, bedeutet de facto, dass ohne jede Kontrollinstanz gebaut werden darf. So etwas nennt man wohl Neoliberalismus im Baugewerbe.

Eine Folge davon: Die Wiedereröffnung der Friedrichswerderschen Kirche ist laut Senatsbaudirektorin Lüscher „derzeit noch nicht absehbar“.