Kommissarin über Gewaltschutzgesetz: "Es gibt viele wehrhafte Frauen"

Das Gewaltschutzgesetz hat Frauen ermutigt, männliche Gewalt anzuzeigen, sagt Kriminalhauptkommissarin Lütgert. Doch immer noch kennen viele Frauen ihre Rechte nicht.

Auch ein Resultat des Gewaltschutzgesetzes? Slutwalk in Seoul im vergangenen Jahr. Bild: reuters

taz: Frau Lütgert, vor zehn Jahren trat das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Hat es etwas gebracht?

Heike Lütgert: Kaum ein Thema hat in der Vergangenheit eine solche Karriere gemacht wie häusliche männliche Gewalt: von Ruhestörung und Familienstreitigkeit hin zu einem anerkannten Gewaltproblem. Vor zwanzig Jahren riefen meist die Nachbarn bei der Polizei an: Nebenan wird sie wieder verprügelt. Heute melden sich die Frauen überwiegend selbst.

Das Gesetz hat Frauen mutiger gemacht?

Es gibt inzwischen viele wehrhafte Frauen. Sie sind zumeist ökonomisch unabhängig, gut ausgebildet und zwischen 30 und 40 Jahre alt. Sie zeigen rigoros an. In Nordrhein-Westfalen ist die Anzeigenrate in diesem Bereich um ein Vielfaches gestiegen. Bei Vergewaltigungen haben wir eine Verlagerung vom Fremdtäter zum Beziehungstäter festgestellt. Auch diese werden viel häufiger angezeigt.

Gibt es heute mehr Gewalt gegen Frauen?

Nein, es gibt nur mehr Frauen, die sich das nicht mehr gefallen lassen und die andere Frauen unterstützen, sich zu wehren.

58, ist Erste Kriminalhauptkommissarin und Dozentin für Kriminologie und Kriminalistik an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW in Bielefeld.

Welche Frauen erreicht das Gesetz nicht?

Diejenigen, die ihre Rechte kaum kennen, die von ihren Männern finanziell abhängig sind, oft Kinder haben, und solche, die schon in ihrer Kindheit Gewalt erlebt haben. Aber auch Frauen mit körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen oder mit Migrationshintergrund sind betroffen.

Wie kann man ihnen helfen?

Die Frauen müssen über alle Schutzmaßnahmen wie Frauenhäuser, Beratungsstellen, die Wegweisung des Mannes aus der Wohnung aufgeklärt und darauf hingewiesen werden, dass sie den Täter anzeigen können.

Ist die Polizei sensibilisiert?

Schon in der Grundausbildung wird das Thema behandelt. An der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen, wo PolizistInnen ausgebildet werden, ist es fester Bestandteil der Curricula unterschiedlicher Studienfächer. Darüber hinaus gibt es seit Jahren bundesweit Fortbildungen und Trainings: Wie gehe ich bei einem Einsatz vor? Wie spreche ich das Opfer an?

Was geschieht mit den gewalttätigen Männern, die die Wohnung verlassen müssen?

Als das Gesetz verabschiedet wurde, haben viele Männer befürchtet, dass wir jetzt viele Männerhäuser brauchen. Die Sorge war umsonst: 90 Prozent der Täter gehen zunächst zurück "zu Mama".

Kritiker der Frauenhäuser sagen, Gewalt gegen Männer sei so hoch wie gegen Frauen.

Die Gewalt gegen Männer ist sieben mal so hoch wie die gegen Frauen. Aber Gewalt gegen Männer wird in der Regel von Männern und im öffentlichen Raum verübt. Die Anzahl der Delikte im Beziehungsumfeld, mit Frauen als Täterinnen, liegt bei unter 10 Prozent.

Wie oft täuschen Frauen Gewalt oder Vergewaltigung vor?

Die Quote der Taten, die so eingestuft werden, liegt bei 7 Prozent. Erwachsene Frauen tun das also höchst selten. Wir haben aber bei einer Auswertung in Detmold festgestellt, dass junge Opfer bis 25 Jahre am häufigsten Vergewaltigungen vortäuschen.

Warum?

Viele geben die Anzeige nicht freiwillig auf, sondern werden von ihren Freundinnen oder anderen nahestehenden Personen massiv dazu gedrängt. Häufig ist es so, dass sich ein Mädchen mit einem Jungen trifft, von dem die Eltern nichts wissen dürfen. Beim Date will der Junge dann mehr als das Mädchen. Aber das wagt das Mädchen nicht zu sagen und erfindet später den Fremden im Park. Die Mädchen täuschen also keine sexuellen Übergriffe vor, die hat es ja tatsächlich gegeben. Allerdings verändern sie unter dem psychischen Druck die "Rahmenhandlung", weil sie Angst haben, aufgrund der Vorgeschichte mitschuldig zu werden.

Was kann man da tun?

Mädchen stark machen. Und: Gewalt ernst nehmen und genau hinschauen und hinhören. Oft ist es ratsam, eine Beratungsstelle zu kontaktieren, die die Problemlagen der Mädchen kennen.

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