„Das wird Nutella ablösen“

SÜSSES HARZ In Süddeutschland ist der traditionelle Brotaufstrich Tannenspitzensirup am Aussterben. Zwei Hamburger Ingenieure haben die Delikatesse neu belebt – mit Erfolg. Die Produktion ist nachhaltig, die Mengen noch überschaubar

■ 41, ist Diplom-Ingenieur für Schiffsbetrieb, saß früher selbst am Steuerruder. Heute ist er Ansprechpartner für Besatzungen bei Materialbedarf. Solle stammt aus Burgdorf bei Hannover und wohnt in Hamburg.

VON FRIDA KAMMERER

taz: Herr Solle, Sie machen mit Ihrer Firma Sonnenkiefer aus Tannenspitzen Sirup. Wieso?

Jan Solle: Mein Kollege und Freund Andreas Kiefer stammt aus dem Schwarzwald. Seine Großmutter hat den Sirup gemacht. Die hatten wir beide besucht. Die haben einen Selbstversorgerhof. Morgens um vier oder fünf wurden wir aus den Betten geholt – übliche Aufstehzeit auf dem Hof. Und damit wir gleich genug Power haben, hat sie uns Tannenspitzensirup auf frisch gebackene Brötchen gemacht. Das schmeckt so klasse, und ich als Nordlicht kannte das so gar nicht. Am Ende wollten wir ein Glas mitnehmen, bekamen aber keins.

Wieso nicht?

Die Oma hatte einfach keins mehr. Andreas’ Mutter war grade da. Und mit einem Seitenblick zu ihr sagte die Oma dann: „Die jungen Frauen machen das nicht mehr.“ Da war seine Mutter schon über 60! Aber wir fanden das lustig – da dachten wir zwei Ingenieure uns: Wenn die jungen Frauen das nicht mehr machen, dann erfinden wir halt eine Maschine, die das kann. Eine Maschine wurde es zwar nicht, aber wir haben Kochkessel so verändert, dass wir die Tannenspitzen zu Sirup kochen können. Passen Sie auf – das wird in ein paar Jahren Nutella ablösen!

Wie wird denn überhaupt Sirup aus den Spitzen gewonnen?

Die Spitze an der Tanne ist das, was den Ast weiter entwickelt, also Triebe. Die Rotfichte hat ein süßes Harz, nicht ganz so süß wie Ahorn, aber so ähnlich.

Wie viel brauchen Sie? Oder besser: Wie viel nehmen Sie mit?

Nur maximal 20 Prozent. So dass man es gar nicht merkt. Ein starker Frosteinschlag würde den Baum mehr stören als die paar Spitzen, die ich mitnehme. Meistens hat der Baum im Mai nochmal einen sogenannten Johanni-Trieb, so dass das, was wir pflücken, wiederkommt. Wir reduzieren das Baumwachstum zwar, aber nicht mit nachhaltigen Folgen.

Wenn Sie die Spitzen, die den Baum größer werden lassen, abbrechen, wie kann sich der Baum noch entwickeln?

Es sind ja nur 20 Prozent. Nachhaltigkeit ist uns beim Pflücken sehr wichtig. Ich möchte in zehn Jahren noch an der selben Stelle pflücken können wie heute. Wenn die Bäume zu groß werden, geht das natürlich nicht. Dann ziehen wir weiter. Aber wenn wir den Baum stark verletzen, dann kann es sein, dass im nächsten Jahr keine Spitze mehr wächst. Dann hab ich mich ja selbst bei der Ernte behindert.

Sie pflücken zusammen mit Freunden – und haben beide noch ihre ursprünglichen Jobs?

Ja, davon leben kann man leider noch nicht – aber wir arbeiten daran. Momentan suchen wir nach einem dritten Partner, der sich halbtags um die Produktion kümmert. Wir ernten im Mai, die Spitzen müssen innerhalb von 24 Stunden zu Sirup gekocht werden, sonst sind sie zu alt. Den Sirup lagern wir dann das Jahr über in Fässern und füllen immer wieder Chargen ab. Das muss also koordiniert werden, dann das Etikettieren und der Verkauf. Wir liefern an verschiedene Restaurants und Delikatess-Läden.

Haben Sie besondere PR-Maßnahmen getroffen, um bekannter zu werden?

Nein, gar nicht. Wir haben erstmal produziert. Wir haben so lange probiert, bis es gut war. Dann sind wir zu Andreas’ Oma in den Schwarzwald gefahren. Als sie gesagt hat: „Jungs, das ist besser als meins“, da wussten wir: Das ist es. Mit den ersten Gläsern sind wir dann zu Mutterland, einer Delikatess-Kette, gegangen. Wir wohnten damals in einer WG auf’m Kiez. Unser Mitbewohner war Designer und hat dann noch das Design überarbeitet. So sehen die Gläser immer noch aus.

Sie haben drei Produkte, von denen werden knapp 1.000 Gläser jährlich produziert. Wie füllen Sie solche kleinen Mengen ab?

Das war wirklich ein Problem. Die Ursprungsidee war, alles mit Freunden zu machen. Weil das Geld auch einfach nicht reicht, um Leute zu bezahlen. Freunde haben dann immer für ein paar Gläser geholfen. Aber tausend Gläser bekleben ist schon eine Ansage. Und ich kannte jemanden in einer Behinderteneinrichtung. Solche Einrichtungen sind für sowas super: Die bieten sowas an und unterstützen einen sogar dabei. Früher war das nur ein Job für circa 14 Tage. Jetzt wird jede Woche abgefüllt und etikettiert. Die Einrichtung profitiert natürlich davon.