Auf der Suche nach dem Zuhause

MIETEN Der Wohnungsmarkt ist umkämpft. Umso schwieriger ist es für körperlich oder psychisch kranke Menschen, eine Bleibe zu finden. Oft bleibt nur das Betreute Wohnen

■ Die gemeinnützige Einrichtung Zuhause im Kiez (ZiK), die 1989 unter anderem von der Berliner Aidshilfe gegründet wurde, vermittelt kranken Menschen Plätze im Betreuten Wohnen.

■ Außerdem können die Bewohner im Kreuzberger Kiezrestaurant Orangerie arbeiten.

■ Die Plätze bei ZiK sind stark nachgefragt: Für die 550 Betreuungsplätze gibt es derzeit eine Warteliste mit 250 Interessenten, von denen rund 100 dringend eine Wohnung suchen, um nicht auf der Straße zu landen.

■ Um bei ZiK aufgenommen zu werden, benötigen die Interessenten einen Bescheid vom Sozialamt, dass die anfallenden Kosten für die Betreuung übernommen werden. (ts)

VON TOBIAS SAUER

Klaus hat wenig Zeit, schließlich ist heute sein großer Tag: Am Nachmittag trifft er sich endlich mit einem Vermieter, die Chancen auf eine neue Wohnung stehen nicht schlecht. Der Vermieter klang optimistisch, obwohl Klaus auf dem Wohnungsmarkt eigentlich als schwer vermittelbar gilt.

Klaus lebt im Betreuten Wohnen. Aus der Vergangenheit schleppt er Schulden mit sich herum, der Schufa-Eintrag ist negativ. Auf einen Termin mit einem potenziellen Vermieter hat Klaus lange warten müssen: Seit Jahren ist er auf der Suche, hat oft mit Vermietern telefoniert, sich so manche Wohnung angeschaut. Erfolg hatte er bislang nie.

Den Vormittag über arbeitet Klaus im Kreuzberger Restaurant Orangerie hinter der Theke. Er spült das Geschirr, macht, wenn noch Zeit ist, im Restaurant sauber. Die Orangerie ist Teil von Zuhause im Kiez (ZiK), einer 1989 gegründeten Initiative, die sowohl Betreutes Wohnen als auch Beschäftigungsmöglichkeiten anbietet. Das Ziel von ZiK: Menschen, die mit HIV oder Hepatitis C infiziert sind und zugleich psychische oder seelische Erkrankungen haben, so weit zu stabilisieren, dass sie wieder auf eigenen Beinen stehen können.

Ein typischer Fall

Auch Klaus ist HIV-positiv und, als Folge davon, zusätzlich von einer Nervenerkrankung betroffen, die sich unter anderem durch Zittern bemerkbar macht. Seinen Beruf als Bäcker konnte er deshalb nicht mehr ausüben. Als sein Exmann dann auch noch aus der gemeinsamen Wohnung zog, wurde die Miete unbezahlbar. Mit den finanziellen Sorgen wuchs die Perspektivlosigkeit.

Ein typischer Fall, erklärt Nicola Nieboj, Projektleiterin der Orangerie. „Häufig folgt auf eine HIV-Diagnose eine Depression. Der Lebensbezug bricht weg, man geht nicht mehr raus, Freunde brechen den Kontakt ab.“ Irgendwann kann dann die Miete nicht mehr gezahlt werden – Obdachlosigkeit droht. Einrichtungen wie ZiK werden zum Retter in der Not, besonders wenn weitere Erkrankungen die Lage noch verschlimmern.

Klaus erfuhr durch den sozialpsychiatrischen Dienst vom ZiK und unterschrieb einen Vertrag für das Betreute Wohnen. Voraussetzung dafür ist eine Bewilligung des Sozialamtes, das auch die Kosten der Maßnahme übernimmt. Das Ziel: Die kranken Menschen so weit zu stabilisieren, dass sie wieder auf eigenen Beinen stehen können.

Auch Frauen betroffen

Ähnlich wie Klaus befürchtete auch Sandra, auf der Straße zu landen. Ihr Exfreund, erzählt sie, hatte ihr seine HIV-Infektion verheimlicht. Nachdem Sandras Arzt bei ihr HIV diagnostiziert hatte, brach für sie eine Welt zusammen. Aus der gemeinsamen Wohnung zog sie aus, den Job in seinem Restaurant kündigte sie. Eine Zeit lang kam sie bei einer Freundin unter. Einen geregelten Tagesablauf hatte sie nicht mehr. Ihren Frust und die Verzweiflung kompensierte sie mit ausgiebigem Online-Shopping. „Ich war kaufsüchtig“, erzählt sie. „Hauptsache, es kam ein Päckchen an.“ Schließlich zog sie bei ZiK ins Betreute Wohnen, auch in der Orangerie arbeitet sie heute.

Sobald die ZiK-Klienten stabilisiert sind, sollen sie eigentlich wieder in eine eigene Wohnung ziehen. Das jedoch ist schwierig, weil der Berliner Wohnungsmarkt so dicht ist. Bei Sandra und Klaus sorgt das für zusätzlichen Stress. „Ich habe Angst, dass die Betreuung eines Tages ausläuft, deshalb suche ich jetzt schon eine Wohnung“, sagt Klaus. Denn die Wohnung beim ZiK ist nur für die Zeit garantiert, in der auch ein Betreuungsbedarf besteht – auch wenn ZiK bislang noch niemanden einfach auf die Straße gesetzt hat.

Bislang allerdings hagelt es bei Sandras und Klaus’ Suche nur Absagen. Wenn Klaus davon erzählt, wird seine Sorge darüber deutlich sichtbar. Er beginnt dann zu gestikulieren, zieht die Stirn kraus, tippt mit ausgestrecktem Zeigefinger immer wieder auf die Tischplatte. „Schon am Telefon erfährt man oft Ablehnung“, sagt er. Viele Vermieter werden Leute in Betreuungsverhältnissen meiden, vermutet Klaus, oft sei der Ton zudem patzig und herablassend.

Auch Sandra hatte bislang kein Glück. Ungefähr 15 bis 20 Wohnungen hat sie sich bislang angesehen. „Oft sind 30 Leute bei einem Wohnungsbesichtigungstermin“, sagt sie. „Am Ende bekommt man einen Zettel: Wir melden uns. Aber selbst wenn sich die Vermieter melden, haben sie immer nur die Nachricht, dass sie sich für jemand anderes entschieden haben.“ Einmal wurde ihr gar gesagt: „So was wie Sie wollen wir hier nicht.“

Ablehnung erfahren die beiden selbst bei Wohnungen, die vor wenigen Jahren kaum vermietet worden wären. So interessiert sich Klaus derzeit für eine kleine Einzimmerwohnung mit Nische für das Bett in einem Neuköllner Hinterhof. Das Bad aus den sechziger Jahren, der größte Luxus der Wohnung eine Badewanne, ebenfalls 50 Jahre alt.

„Viele unserer Bewohner sind für Vermieter unakzeptabel“

NICOLA NIEBOJ VOM ZIK
Enger Wohnungsmarkt

„Viele unserer Bewohner sind als Mieter für Vermieter auf den ersten Blick unakzeptabel“, sagt Orangerie-Leiterin Nicola Nieboj. „Manche Klienten sieht man an, dass sie nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens standen. Auf andere werfen alte Schufa-Einträge kein gutes Licht.“

Auch für das ZiK insgesamt wird der enge Wohnungsmarkt zum doppelten Problem. Einerseits finden Klienten, die so weit stabilisiert sind, dass sie wieder alleine wohnen könnten, keine Wohnungen und blockieren so Plätze für neue Betroffene, die dringend Hilfe brauchen. Andererseits findet auch ZiK selbst keine neuen Wohnungen, die an hilfesuchende Klienten vermittelt werden können. Rund 100 Menschen stehen derzeit beim ZiK auf einer akuten Warteliste und müssten direkt in eine Wohnung vermittelt werden, berichtet Robert Kliem, einer der ZiK-Leiter. Gleichzeitig suchen 35 Klienten eine Wohnung, um das Betreuungsverhältnis zu verlassen.

Viele Interessenten kommen kurzfristig bei Freunden oder Bekannten unter – eine stabile Umgebung ist das meistens jedoch nicht. Ein Interessent hätte in seiner Not gar mehrere Nächte in einer Sauna verbracht, um nicht auf der Straße schlafen zu müssen, sagt Kliem.

Auch Klaus wird an diesem Tag wieder einmal kein Glück haben. Der Vermieter, so erfährt er einige Tage später, hat einem anderen Interessenten den Zuschlag gegeben.