Kioske zu Knotenpunkten

WOHNEN II Wie Kultur das Stadtleben verbessern kann, erforschte das Projekt actors of urban change

In Bratislava gibt es seit Neuestem einen ungewohnten Anblick: alte Fahrräder, über Nacht auf der Straße angeschlossen. „Es ist unglaublich, dass so viele jetzt Fahrrad fahren – und es draußen abstellen“, berichtete am Montag Tomas Peciar, Initiator der „Fahrradküche“ in der slowakischen Hauptstadt, im voll besetzten Atrium der Robert-Bosch-Stiftung. „Wir haben in einer Sozialsiedlung mit schlechten Ruf etwas Zusammenhalt geschaffen – und einen Gemeinschaftsraum“, fasste Aktivistin Paulina Paga aus dem polnischen Lublin etwas später den Erfolg ihrer Nachbarschaftsworkshops und Schnitzeljagden zusammen.

Peciar und Paga repräsentieren Gruppen aus zehn Städten, die sich als Akteure städtischen Wandels verstehen. Ihre lokalen Projekte sind Beispiele dafür, wie Kultur das Gefüge einer Stadt zum Positiven beeinflussen kann.

In der Fahrradküche

„Actors of urban change“ heißt auch das gemeinsame Pilotprojekt der Bosch-Stiftung und dem Kulturaustauschverein MitOst, das am Montag öffentlich seine Ergebnisse präsentierte. 18 Monate lang hatten Bürgergruppen aus Aveiro (Portugal), Barcelona, Berlin, Bratislava, Maribor (Slowenien), Zagreb, Lublin, Athen, Kaunas (Litauen) und Zugdidi (Georgien) die Möglichkeit, ein stadtrelevantes Projekt umzusetzen: Aus der „Fahrradküche“ mit Mittagstisch und Reparaturcafé erwuchs in Bratislava ein Fahrrad-Verleihsystem und, nach Beratungen mit Behörden, der Beginn einer fahrradfreundlicheren Verkehrsplanung. Im georgischen Zugdidi wurde eine leer stehende russische Töpferei zum Begegnungshaus für marginalisierte Gruppen umgebaut: Familien mit Kindern, Senioren, Flüchtlinge und ehemalige politische Häftlinge. Und in Kaunas war ein winziger Kiosk Ausgangspunkt für eine neue Wertschätzung des Flussufers.

Kulturelle Orte und Formate als Korrektiv für städtische Transformationen: Die vorgetragenen Fallbeispiele, gefördert mit bis zu 5.000 Euro und begleitet von Coaching-Experten, hörten sich ermutigend an.

Allerdings: Just das Beispiel aus Berlin zeigte, wie überschaubar die Bedeutung solch lokaler Initiativen sein kann.

Die Künstler vom Zentrum für Kunst und Urbanistik sitzen in einem ehemaligen Güterbahnhof in Moabiter Randlage, umgeben von einem neu geschaffenen Park. Den haben sie mittels Flohmärkten und Public Viewing zwar bekannter gemacht. Trotzdem können zu Mode „upgecycelte“ WM-Flaggen und kulinarisches Kino nur kleine Entspannungsmomente sein in einem Kiez, der zwischen monströsen Verkehrs- und Wohnplanungen zu ersticken droht.

Der bekannte britische Stadtforscher Charles Landry mahnte in seinem Vortrag über „the power of culture“, dass es dringend einer neuen Sicht auf Städte bedürfe: Wer nur auf Infrastruktur fixiert sei, erlebe Kultur höchstens als „weichen“ Standortfaktor.

Mehr als nur Zierrat

Oder Zierrat. Es gehe aber darum, Stadt als emotionales Gefüge zu betrachten. Kultur, das sei für ihn, der sich als „kritischen Freund der Städte“ bezeichnete, alles zwischen Kulturerbe, Graffiti, Werbung – eben alles, was die DNA einer Stadt ausmache. Diese gelte es zu lesen. Und zu hüten.

Gut, dass unter den Zuhörern in der Bosch-Stiftung auch einige lokale „Akteure“ waren. Viele kleine Knotenpunkte statt großer Lösungen: Für einige Berliner Kulturdebatten wäre das ein nachahmenswerter Denkansatz.

NINA APIN