Arbeitsrecht: Tariflohn ist ein Pflegefall

Mitarbeiter von Pflegediensten der Diakonie veröffentlichen Daten über illegale Praktiken bei Bezahlung. Ihr Arbeitgeber verklagt sie dafür wegen Verleumdung.

Schwieriges Arbeitsfeld: Pflege Bild: ap

Die Liste steht immer noch im Netz: eine lange Reihe diakonischer Einrichtungen in Berlin und Brandenburg, die nach Informationen der Mitarbeitervertretungen ihren Angestellten weit weniger als den im Tarifvergleich vereinbarten Lohn zahlen. Bis zu einem Drittel weniger, mit stillschweigender Duldung des Diakonischen Werks Berlin Brandenburg Oberlausitz, wie die Mitarbeiter dem Vorstand vorwerfen. Obwohl sie seit Jahren auf Missstände und illegale Praktiken hingewiesen hätten, habe dieser weder Überprüfungen noch Sanktionen veranlasst.

Die Caritas und die Diakonie haben als kirchliche Arbeitgeber einen Sonderstatus im Arbeitsrecht: Statt in Tarifverhandlungen entscheiden paritätisch besetzte Kommissionen über Gehälter. 2008 beschloss das Diakonische Werk unter Zustimmung der Mitarbeitervertreter, dass Einrichtungen, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden, von den Vertragsrichtlinien vorübergehend abweichen und etwa den Lohn um bis zu 27 Prozent senken können.

Diese Ausnahmeregelung ist jedoch an Bedingungen geknüpft: Die Betriebszahlen müssen den Mitarbeitern offengelegt, die Ausnahme muss vom Diakonischen Rat genehmigt werden. Unter dem Dach des Diakonischen Werks arbeiten zahlreiche Institutionen, darunter ehemalige Teile der Diakonie, die ausgegliedert wurden. Ein Teil der Einrichtungen habe sich an die vereinbarten Regeln gehalten, sagt Markus Strobl, Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen (AGMV). Immer mehr Geschäftsführer hätten die Öffnungsklauseln jedoch genutzt, um von den geltenden Richtlinien nach Gutdünken abzuweichen oder sie gleich ganz außer Kraft zu setzen – offenbar unter Duldung des Diakonischen Rats.

Bereits 2010 habe der Vorstand der AGMV eine Liste erstellt und darauf hingewiesen, dass viele Einrichtungen die Löhne entweder ohne oder mit unbegründeter Genehmigung senken. Die Liste sei an den Diakonischen Rat und den Vorstand des Diakonischen Werks geleitet worden. Als Reaktion habe es eine Klagedrohung gegeben – von Harald Ehlert, damals Geschäftsführer der Treberhilfe, die ebenfalls unter dem Dach der Diakonie fungierte. Er steht heute wegen unlauterer Praktiken vor Gericht.

Zudem habe es zahlreiche „hausinterne“ Vereinbarungen gegeben, die auch nach dem kirchlichen Sonderarbeitsrecht nicht zulässig gewesen seien, sagt Strobl. Als auf die Aufforderung, interne Kontrollen durchzuführen, weiterhin nicht reagiert worden sei, baten die Mitarbeitervertretungen ihre Mitglieder, sie über Abweichungen vom geltenden Arbeitsrecht zu informieren. Die daraus resultierende Liste mit über 30 Einrichtungen stellten sie dann im November 2011 ins Internet, als „letztes Mittel“, wie Strobl sagt.

Darauf verklagte Karl-Martin Seeberg, Geschäftsführer der Diakonie-Station Südstern in Berlin, die auf der Liste steht, nicht nur den Vorstand der Mitarbeitervertretungen wegen Verleumdung, sondern auch die eigenen Mitarbeitervertreter, die die Informationen weitergegeben hatten.

Am vergangenen Donnerstag fand ein kircheninternes Gerichtsverfahren statt. Es endete mit einem Vergleich: Die Diakonie-Station Südstern wird von der Liste genommen, dafür werden die Klagen fallen gelassen.

Behoben ist der Streit um Outsourcing und Dumpinglöhne insbesondere im Bereich Pflege jedoch noch nicht: Am Tag des Schlichtungsgesprächs verliehen die Mitarbeitervertretungen dem Diakonischen Werk Berlin Brandenburg Oberlausitz den Schmähpreis „Schwarzes Schaf“ für den schlechtesten Arbeitgeber. „Das hätten wir uns alle noch vor ein paar Jahren nicht von unserer Diakonie vorstellen können“, sagte Strobl in seiner Ansprache, „wir sind alle mit viel Idealismus und hoher Motivation gestartet – und wurden dann zunehmend desillusioniert.“ Vom Diakonischen Werk Berlin Brandenburg Oberlausitz war niemand für eine Stellungnahme zu erreichen.

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