Polemik zur Grass-Debatte: Lieber SS-Günni...

Stand-up-Comedian und Autor Oliver Polak könnte Israel eigentlich so egal sein wie eine alte Zirkusgiraffe – doch nicht, solange es Leute wie Günter Grass gibt.

„Danke, Günter“ – so wie Grass denken viele Deutsche. Bild: dpa

Karfreitag und Pessach an einem Tag. Ein Hauch von Ethno-Sudoku liegt in der Luft.

Ich wache nackt, verkatert in meinem Bett auf – es ist eher eine Matratze auf meinem Parkettboden –, zwischen leeren Toffifeepackungen, 1,5-Liter-Fantaflaschen und meinen „Alf“-DVDs; im Fernseher, der die Nacht durchgelaufen ist, läuft „Tom & Jerry“. Das Beruhigende ist ja, dass ich genau weiß, dass Tom den Jerry niemals kriegen wird. Dieses Gefühl gibt mir Sicherheit. Sicherheit bedeutet mir viel.

Sicher ist aber auch, dass ich heute wieder keine Eier bekomme, denn Juden feiern kein Ostern – verdammt! Und nie durfte ich Eier suchen, dabei spiele ich doch so gern. Während Tom Jerry weiterjagt, fällt mein Blick auf die zerknitterte Tageszeitung vom vergangenen Mittwoch, auf die ersten Zeilen eines Gedichts „Warum schweige ich, warum verschweige ich so lange?“

Lieber Günter Grass, komm, ich bin so frei und nenne dich einfach mal SS-Günni, im Emsland kürzen wir Namen ja so gerne ab, ne? Du kannst nicht länger schweigen – trifft sich gut, ich auch nicht!

Zuerst dachte ich, dein Gedicht wäre ein Gag, und glaub mir, es wäre der einzige, den ich je von dir gehört hätte, aber so viel Humor hab ich dir dann doch nicht zugetraut! Das Einzige, was es bei mir hervorruft, ist „Gagging“. Klingt es nobelpreisverdächtig gut, wenn ich das hier formuliere?

Ein Weißbiersauerkrautkotzestrahl

F.R. David sang in den Achtzigern „Words don’t come easy“. Bei dir, SS-Günni, trifft das nicht zu, deine Worte purzeln ganz leicht aus dir heraus und spritzen mir wie ein eiskalt schauriger Weißbiersauerkrautkotzestrahl mitten ins Gesicht, und die Süddeutsche druckt sie augenblicklich ab, deine „words“, die New York Times, anders als behauptet, nicht.

Vielleicht hätten sie beim Abdruck deines Gedichts der Zeitung noch Kondome mit Palituchmusterdruck for free beilegen sollen – koitieren gegen Israel! Oder den „NSU“-Posterstarschnitt! Du beklagst dich in larmoyanter Art, nicht das Recht zu haben, Israel kritisieren zu dürfen, aus Angst, als Antisemit etikettiert zu werden?

Fakt ist: Allein dieser Ansatz ist schon antisemitisch. Dieses herbeigeredete Tabu gibt es nicht. Du Vorzeigeintellektueller machst durch deine Ausführungen Judenfeindlichkeit salonfähig, und das alles elaborierst du mit dem Impetus pazifistischer Verantwortung. Für mich ist das: Verballhornung des Faschistischen.

Du willst zur Heilung des deutschen Geistes ihm seinen mahnenden Zeigefinger zurückgeben, den er sich angeblich nicht mehr zu heben traut, weil ihm beziehungsweise dir die Hände gebunden sind wegen der blöden Vergangenheit. Historische Verantwortung scheint dir eine ärgerliche Last, die dich am freien, antisemitischen Denken hindert.

Reflexionsscheibe deiner Geschichtsaufarbeitung

Du beschuldigst ein ganzes Volk, das Opfer eines Genozids war, selber einen Genozid verüben zu wollen, nur um in einem Anfall von Alterssenilität mit dir selbst ins Reine kommen zu können. Ich kann nichts für deine Vergangenheit in der Waffen-SS! Du musst dich selbst mit deiner – und wenn ich deine sage, meine ich nicht Israels, Deutschlands oder Irans – Geschichte auseinandersetzen.

SS-Günni, ich möchte deinen Gedanken nicht Widerstand leisten müssen, ich bin müde von den tausenden Fragen, den Ressentiments. Immer trage ich einen Schutzhelm aus unsichtbarem Material auf dem Kopf und ohne Visier – gegen den Helm wurde schon so oft gehämmert, dass ich es mir, wenn der Helm real wäre, es nicht mehr leisten könnte, ihn reparieren zu lassen. Bitte, SS-Günni, hör auf, Israel oder Juden als eine Reflexionsscheibe für deine Geschichtsaufarbeitung, die in viel zu kaputten Bahnen gedacht wird, zu benutzen.

Du schreibst also mit deiner letzten Tinte? Dann dürfte da wohl nichts mehr kommen. Der Heiland ist aber am dritten Tage auferstanden. Ganz sicher kann man sich bei dir also nicht sein, wenn man jetzt nicht laut schreit, du sollst aufhören. Ich sehe schon den Aufruf der Öffentlich-Rechtlichen zu einem Casting für den „Grass-Film“: „Schauspieler gesucht. Männlich. Rolle: alt und verwirrt mit Hang zur Rechthaberei und auch zum Antisemitismus.“

Ich stelle mir die Szene vor: „Nackt sitzt ein Mann an seiner Schreibmaschine. Nicht ganz nackt. Die Waffen-SS-Stiefel hat er anbehalten. Etwas Rotes klebt daran. Blut? Lachend muss er nicht lange nachdenken. Parolen fallen ihm ein, die ihm einleuchten. Seine Stimmung ist wohl auch deshalb so gut, weil Veronica Ferres, nur mit einem Todeswickel (Palituch) bekleidet, zwischen seinen Beinen kniet. Später wird sie sagen, nie hat sie eine solche Szene so betroffen gemacht.

Israel als Zirkusgiraffe

„Was gesagt werden muss“ … Genau, den Satz kenne ich noch allzu gut aus Papenburg. Dort hieß es: „Man wird doch wohl noch mal sagen dürfen.“ Weißt du was, Günni, irgendwie ist mir Israel oft egal, nur glaube mir, solange es dir und euch nicht egal sein wird, wird es mir auch nicht egal sein können. Ich könnte eher den Stageplan von Udo Jürgens Pepe-Lienhard-Orchester auf ein leeres Blatt Papier zeichnen, als den Umriss Israels zu zeichnen.

So what? Israel würde bei mir wahrscheinlich wie eine alte Zirkusgiraffe aussehen, die an einer langen Kette angebunden ist, mit vielen Flecken, zu vielen Flecken! Altersflecken, Narben, flauschigem Fell und tiefen Schürfwunden. SS-Günni, deine Verbundenheit zu Israel ist so realistisch, dass Knopp auch ohne Hitler ’ne TV-Show hätte.

Solange ich dein Gedankengut – und wie du und ich ja wissen, ist es nicht nur deines, sondern das vieler Deutscher – ignoriere, ist es wunderschön hier. Das kühle Bier, die Kuckucksuhr und die Gemütlichkeit. Doch sobald Hitler die zweite Klavierstimme anstimmt, untermalt von deinem Blechtrommelbeat, kommen die Wut, die Depression, die Ohnmacht!

Mein Vater einerseits, der zwischen 38 und 45 nicht auf einem All-inclusive-Hawaii-Urlaub war, fragte mich früher leise und vorsichtig, ob denn die anderen Leute wüssten, dass wir Juden sind. Meine Mutter war andererseits entschlossener: Sie betrat einen Raum, ließ fallen, dass sie Jüdin ist, um jeglichem offenem antisemitischem Geschwätz vorzubeugen.

Mir wird schwindelig

Den Höhepunkt des Ekels erreichst du jetzt, wenn du schreibst, du seist Israel zugetan, also auch den letzten lebenden alten Frauen und Männern, die mit Müh und Not nach ihrem Martyrium in Auschwitz einsehen sollten, dass die Leugnung des Holocaust lustiges iranisches Geschwätz ist, das man doch nicht ernst nehmen könne, ihr Zurückgebliebenen, die ihr so wenig Toleranz gegenüber dem Iran zeigt. Mainz bleibt Mainz, und Teheran bleibt Teheran.

Ich starre weiter apathisch auf den Fernsehbildschirm, schaue Tom weiter beim Jagen von Jerry zu, mir wird schwindelig, und die Sicherheit ist weg, denn ich muss blitzartig an das „Tagesthemen“-Interview von Tom Buhrow mit Günter Grass denken. Meine Wände werden plötzlich enger. Tom und Jerry schwinden, und vor meinem Auge erscheint Kafkas „Kleine Fabel“. Grass, ein großer, behaarter, alter Kater, der Tom Buhrow in seine Wohnung eingeladen hat und ihm sagt: „Änder doch mal deine Blickrichtung.“

(Dieser Text entstand unter Mitwirkung von Samira El Ouassil)

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