Ärztetag beschließt Kurswechsel: Einzelpraxis nicht mehr attraktiv

Ärztenetze, Gemeinschaftspraxen und Versorgungszentren sollen die Einzelpraxen zunehmend ablösen. Die Einzelpraxis sei hingegen ein Auslaufmodell.

Meinungswandel der Mediziner: Der Ärztetag verabschiedet sich von der Einzelpraxis. Bild: dapd

NÜRNBERG taz | Deutschlands Ärztinnen und Ärzte haben die Nase voll vom Einzelkämpfertum. Sie wollen nicht länger ihre Patientinnen und Patienten versorgen in den klassischen Ein-Arzt-Praxen, ohne wissenschaftlichen Austausch mit Kollegen, ohne geregelte Arbeitszeiten und vor allem ohne Perspektive, aus diesem Hamsterrad jemals wieder herauszukommen. Deswegen wollen sie ab sofort stärker kooperieren, sich vernetzen, gemeinschaftlich arbeiten, gern auch als Angestellte.

„Nur über kooperative Versorgungsstrukturen lässt sich die Versorgung in Zukunft sicherstellen“, rief der bayerische Ärztekammerpräsident Max Kaplan den rund 250 Delegierten des Deutschen Ärztetags zu, der am Freitag in Nürnberg zu Ende ging. „Ein Weiter-so“, prophezeite er, werde es nicht geben: „Die Einzelpraxis ist ein Auslaufmodell!“

Schon heute stünden nur noch 70.000 Ärzte in Einzelpraxen bereits 50.000 Kollegen in Gemeinschaftspraxen sowie 9.000 Ärzten in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gegenüber; dieser Trend der Kooperation werde sich verstärken.

Verglichen mit der Vehemenz, mit der die Ärzte noch vor wenigen Jahren die Einzelpraxis als unantastbares Symbol ihrer Freiberuflichkeit verteidigten, wirken die Beschlüsse, Absichtserklärungen und Anträge, die der Ärztetag, eine Art Parlament der Ärzte in Deutschland, in Nürnberg verabschiedete, beinahe revolutionär.

Steigender Versorgungsbedarf

Die Ärzte freilich versuchten, ihren ideologischen Kurswechsel als reine Notwendigkeit zu präsentieren. Es gehe darum, sich der Wirklichkeit zu stellen, erklärte der Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery. Nur noch 15 Prozent der angehenden Ärzte seien laut einer Studie des Hartmannbunds überhaupt bereit, auf dem Land zu arbeiten. Gleichzeitig aber steige, Stichwort demografischer Wandel, der Versorgungsbedarf in den nächsten Jahren um 20 Prozent.

Finanzielle Anreize, wie sie das sogenannte Landärztegesetz von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) biete, seien begrüßenswert, aber nicht ausreichend. Die Ärzte streben vielmehr stärkere Kooperationsformen im ambulanten Bereich an.

Diese könnten bestehen aus Gemeinschaftspraxen, regionalen Versorgungszentren oder gar Ärztenetzen, in denen mitunter mehr als 100 Praxen, diverse MVZs und Kliniken zusammenarbeiten und Patienten gemeinsam betreuen, um nicht nur unnötige Doppeluntersuchungen zu vermeiden, sondern auch die Arbeitszeit der Mediziner besser planbar zu machen.

Zur Förderung dieser kooperativen Versorgungsstrukturen sollten, so die Forderung des Ärztetags, alle gesetzlichen Krankenkassen dazu verpflichtet werden, allen ihren Versicherten ein Angebot regional vernetzter Versorgung zu machen. Dazu müssten die Kassen mit „regional kooperierenden Leistungserbringern“, also Ärzteverbünden, gemeinsam Verträge entwickeln und abschließen.

Zufriedener dank Dienst im Krankenhaus

Daneben konnte sich die Mehrheit der Delegierten eine bessere Kooperation im kleineren Maßstab auch in der Form vorstellen, dass Ärzte einige Aufgaben delegieren, ihre medizinischen Fachangestellten stärker als bisher qualifizieren oder auch andere Gesundheitsberufe wie Hebammen und Physiotherapeuten in ihre Praxis einbeziehen.

Eine bessere Berufszufriedenheit, berichtete der 38-jährige Urologe Kilian Rödder aus Niedersachsen aus eigener Erfahrung, lasse sich außerdem erreichen, wenn Ärzte die Möglichkeit hätten, neben ihrer Praxistätigkeit auch noch im Krankenhaus zu arbeiten – als Belegärzte. Die lästigen Bereitschaftsdienste hierbei müssten freilich neu strukturiert werden, sprich: für den einzelnen Arzt weniger werden.

Die jüngeren Ärztinnen und Ärzte der sogenannten Generation Y – Jahrgang 1981 und jünger – forderten die Delegierten explizit dazu auf, sich an der Debatte über künftige Versorgungsformen zu beteiligen und Konzepte zu entwickeln. Aus gutem Grund: 90 Prozent der angehenden Ärztinnen und Ärzte wünschen sich, als Angestellte zu arbeiten.

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