U5-Baustelle I: Bummeln zum Bahnhof

Die U6 gesperrt, die BVG rät zum Fußmarsch zwischen Französischer und Friedrichstraße. Eine Reiseanleitung zwischen Touristenmassen und sterilen Modeshops.

Ab Sonntag heißt's hier: spazieren statt U-Bahnfahren. Bild: dapd

Sie halten Berlin für ein globales Dorf, in dem sich Kiez an Kiez reiht, wo sich die Kreativen der Welt gegenseitig auf den Füßen stehen? Treten Sie ein: Schon nach den ersten Schritten vom U-Bahnhof Französische Straße die Friedrichstraße hinauf zeigt sich Berlin als eine der langweiligsten Downtowns der Welt, in der man endlich einmal in der Anonymität der Großstadt untergehen kann. Graue Betonfassaden, auf Hochglanz polierte Glasfassaden, Shoppingtempel und schlechter Kaffee zum Mitnehmen: Hier fühlt sich zu Hause, wer sich auch in den Downtowns von New York, Peking oder Tokio zu Hause fühlt.

Beginnen wir mit dem Berliner Ableger der französischen Kaufhauskette Galeries Lafayette. Das Haus wurde 1996 eröffnet. Sie erkennen es an der glänzenden Fassade, die an die Motorhaube einer protzigen Luxuslimousine erinnert. Hier können Sie sich in der Feinschmeckerabteilung zu einem fairen Preis mit einer erstklassigen Bouillabaisse für den Fußmarsch stärken.

Haben Sie dies erledigt, schauen Sie doch gegenüber bei Engel & Völkers vorbei, einem Franchise-System für Immobilienmakler, und träumen Sie ein wenig vom Berliner Eigenheim. Hin und wieder werden Sie hier britische Touristen antreffen, die sich darüber freuen, wie sehr sich in letzter Zeit die Berliner Quadratmeterpreise den Londonern anpassen. Nun aber weiter!

An der Ecke Unter den Linden/Friedrichstraße soll bis 2019 ein neuer U-Bahnhof entstehen, an dem sich die U6 und die Verlängerung der U5 kreuzen. Die U6 wird für 16 Monate zwischen Friedrichstraße und Französischer Straße unterbrochen. Als Ersatz wird ab Sonntag der Bus 147 die Baustelle umfahren. Auf die 100.000 U-Bahn-Fahrer auf der Strecke kommen in den ersten sieben Wochen zusätzliche Hürden zu: Dann endet bereits an den Stationen Hallesches Tor und Schwartzkopffstraße der reguläre Betrieb. Pendelnde Bahnen stehen bereit. (jbe)

Gehen Sie Richtung Norden, und bewundern Sie die architektonische Tristesse der dunklen Gässchen, deren hässlichste den Namen Rosmarinstraße trägt. Passieren Sie die Niederlassungen von sexy Läden wie H&M und Hugendubel. Hier gibt es eigentlich nichts zu sehen, es sei denn, Sie interessieren sich für noch mehr Touristen oder Autos, denn an der Ecke zum allseits bekannten Prachtboulevard Unter den Linden befindet sich das „Konzernforum und Kommunikationszentrum“ von Volkswagen, und man kann fette Bentleys, Bugattis und VWs bestaunen. Wer sich nicht für Autos interessiert, der hat eben Pech gehabt. An dieser Ecke erinnert nun wirklich gar nichts mehr daran, dass die Friedrichstraße in den Zwanzigern eine der schillerndsten Straßen Berlins war, dass hier sogar die „vielfach sehr elegant angezogenen Damen“ standen (Straube-Reiseführer Berlin, 1928).

Überqueren Sie nun die Straße Unter den Linden, halten Sie sich aber nicht zu lange auf, denn auch hier gibt es wenig zu sehen. Gegenüber dem Schweizer Haus, an dem Sie nichts Schweizerisches entdecken werden, befand sich einst eines der schrulligsten Hotels von Berlin. Im Hotel Unter den Linden stiegen zu DDR-Zeiten Karel Gott und Udo Lindenberg ab, das Haus war eines der letzten Überbleibsel sozialistischer Architektur in der Friedrichstraße und wurde 2006 abgerissen. Früher konnte man auf dem weiten Platz vor dem Hotel verweilen und Würstchen essen, heute können Sie bei Esprit shoppen gehen. Aber Kopf hoch, es kommt etwas besser! Sie steuern direkt aufs Kulturkaufhaus Dussmann zu, das laut Eigenwerbung über die „größte Klassikabteilung der Welt“ verfügt, hier kann man aber auch mit einem Korb voller Bücher in einer der zahlreichen Leseecken verweilen und am Ende doch wieder alles in die Regale stellen.

Ein paar Meter weiter befindet sich eine der bestbesuchten Starbucks-Filialen Berlins, in der man ethnologische Untersuchungen zum Besuchsverhalten junger Chinesen, Japaner und Koreaner anstellen kann, die zu Hause niemals Kaffee trinken würden, aber hier ein Stück Heimat suchen, denn in China, Japan und Korea werden im Sekundentakt neue Starbucks-Filialen installiert. Wenn Sie Lust haben, können Sie sich hier für einen Haufen Geld einen Mocha Cookie Crumble Frappucino o. Ä. antun. Kurz bevor Sie wieder in die U-Bahn einsteigen, können Sie beim Blick auf den Bahnhof Friedrichstraße mit dem dahinter liegenden Tränenpalast darüber sinnieren, dass dies einer der letzten Orte ist, die daran erinnern, was einmal war: der einzige offizielle Grenzübergang vor 1989.

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