Paralympische Spiele: "Eine Querschnittslähmung ist deutlich"

Der Leiter der deutschen Delegation der Paralympics, Karl Quade, über Professionalisierung, Betrug und Doping im Behindertensport.

Ungleiches Duell: Der britische Premier David Cameron (l.) spielt am Paralympic Day Tennis gegen einen Spieler im Rollstuhl Bild: dpa

Herr Quade, können die Paralympics in London die Pekinger Spiele von 2008 toppen?

Karl Quade: Die Spiele werden immer schwerer zu toppen, gerade 2000 und 2008 waren großartig organisierte Veranstaltungen. Deshalb können wir sicherlich eine perfekte Organisation und ein größeres Interesse von den Zuschauern und Medien erwarten. Das hat auch mit der immer größeren Professionalisierung der einzelnen Sportarten zu tun.

Welche Auswirkungen hat das auf die Sportler?

Karl Quade

58, Sportwissenschaftler, nahm aktiv an drei Paralympischen Spielen (1984 und 1988 im Sitzvolleyball, 1992 in der Leichtathletik) teil und gewann zahlreiche Titel. Heute ist er im Präsidium des Deutschen Behindertensportbundes für den Leistungssport zuständig und wird als Chef de Mission mit der Deutschen Mannschaft von Hamburg nach London aufbrechen.

Der Aufwand, den Sportler für die Qualifikation für paralympische Spiele betreiben müssen, ist größer geworden. Gleichzeitig gibt es auch immer mehr Sportler, die ihren Sport professionell betreiben. Damit meine ich das Training, nicht die Verdienstmöglichkeiten. Es gab zwar schon immer einzelne Athleten, die sich hundertprozentig auf ihren Sport konzentriert haben. Aber heute kann man nur noch erfolgreich sein, wenn der Sport der Lebensmittelpunkt ist.

Finanziell ist diese Professionalisierung aber nicht so fortgeschritten?

Wir haben leider erst spät mit dem Ausbau von dualen Karrieren angefangen. Inzwischen wurden aber einige Programme zur Besserung dieser Situation geschaffen. Seit 2006 gibt es zum Beispiel die Möglichkeit für Athletinnen und Athleten, in Bundesbehörden zu arbeiten. Diese Option haben schon elf unserer Sportler genutzt. Hier sind die Rahmenbedingungen natürlich ideal, die finanzielle Versorgung stimmt und den Athleten wird ermöglicht, zu trainieren.

Es gibt außerdem noch das Programm „Top Team“, dabei werden die Arbeitszeitausfälle von derzeit 54 Athleten für ihre Arbeitgeber finanziell ausgeglichen. Insgesamt würde ich schätzen, dass 30 bis 40 Prozent unserer Athleten sich unter solchen guten Rahmenbedingungen vorbereiten können.

Wie werden die Athleten eigentlich klassifiziert?

Das Thema ist schon älter als die Idee von den paralympischen Spielen. Die Klassifizierung, also die Einordnung und Bewertung des Grades der Behinderung der Athleten, ist kein rein medizinischer Prozess, sondern hat auch funktionale Aspekte. Wie dauerhaft diese Einordnung ist, hängt stark von der Behinderung ab.

Permanent sind zum Beispiel Amputationen, anders ist es aber bei Behinderungen, die sich verschlimmern oder reduzieren können. Hier werden die Klassifizierungen nur temporär vergeben. Zum Beispiel gilt das bei Augenerkrankungen, die werden in der Regel immer schlimmer.

Wer führt diese Klassifizierungen durch?

Die Einordnung der Athleten findet in Spezialisten-Teams aus Klassifizierern statt. Das sind meistens Physiotherapeuten oder Fachärzte mit einer entsprechend langwierigen Fortbildung. Die Klassifizierungslizenz wird von uns als nationalem Verband und dem internationalen Paralympischen Komitee vergeben.

Welche Schwierigkeiten gibt es dabei?

Alle sehbehinderten Athleten müssen ein Attest von einem speziellen Augenarzt vorlegen, auf dessen Grundlage klassifiziert wird. Schwierig ist auch die Einordnung von Spastiken. Bei der leichtesten Form können die Athleten im Stehen starten und bei der schwersten nur im Rollstuhl. Allerdings kann sich die Ausprägung der Spastik unter Stress im Zusammenhang mit Adrenalin und Laktat noch verschlimmern. Um zu unterscheiden, was Behinderung und was Wettkampfstress ist, braucht es viel Erfahrung.

Es gab auch schon Fälle, in denen Behinderungen vorgetäuscht wurden.

Der derzeit bekannteste Fall ist sicherlich Monique van der Vorst im Handbiking. Bei über 70.000 klassifizierten Athleten in der Geschichte der Paralympischen Spiele können auch Fehler vorkommen. Um die zu verhindern, wurde das System immer mehr erweitert. Zum Beispiel wird bei Schwimmern nicht nur ein Funktionstest an Land durchgeführt, sondern auch Wettkampfbeobachtungen. Gleichzeitig wird der Betrug bei der Klassifizierung im Strafenkatalog inzwischen mit Sanktionen belegt.

Ist Monique van der Vorst ein Einzelfall oder ist die Simulation von Behinderungen ein flächendeckendes Problem?

Ich glaube nicht, dass man von einem flächendeckenden Problem sprechen könnte. Das System der Klassifizierung ist international und national mit einem Expertennetzwerk sehr gut ausgereift und macht deshalb den Betrug sehr schwer. Außerdem sind viele Behinderungen im Befund deutlich. Eine hundertprozentige Querschnittslähmung ist deutlich zu sehen, und wenn dann ein Athlet mit 50 cm Oberschenkelumfang zu den Ärzten kommt, werden die schon sehr genau hinschauen.

Wird im Behindertensport auch gedopt?

Es gab auch schon einige Dopingfälle bei paralympischen Spielen. Hervorgetan haben sich dabei vor allem Gewichtheber, ähnlich wie also bei den Olympischen Spielen. Diese Disziplin stand sogar kurz davor, aus dem Programm der Spiele zu fliegen. Für den olympischen Gedanken sind solche Vorkommnisse natürlich sehr unangenehm.

Wie streng sind die Dopingkontrollen?

Wenn unsere Athleten im August britischen Boden betreten, können sie sofort zur Dopingkontrolle gebeten werden. Aber auch vor den Spielen, im Training oder bei Wettkämpfen wird regelmäßig auf verbotene Substanzen getestet. Bei uns gibt es lediglich Sonderregelungen für die Kontrolle bei Rollstuhlsportlern und bei Vollblinden, da die Urin-Abgabe nicht wie bei Menschen ohne Behinderung durchgeführt werden kann. Sonst gelten aber die gleichen Regeln und Sanktionen wie bei den olympischen Spielen.

Also keine falsche Rücksichtnahme, wie vor einigen Jahren noch kritisiert wurde?

Nein, keinesfalls. In Deutschland kam dieser Vorwurf früher häufiger vor, weil wir die Kontrollen aufgrund der spezifischen Anforderungen noch vom Verband aus selbst gemacht haben. Inzwischen liegt die Durchführung der Trainingskontrollen bei der Nationalen Antidopingagentur.

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