Kolumne Back On The Scene: Menschen, relativ statisch

Freitagabend einfach nur auf ein Bier treffen? Schwierig, denn da gibt es ja noch all diese prinzipiellen Fragen. Wo sitzen, was trinken – und vor allem: wo wohnen?

Mit zunehmender Reife wird der Mensch selbstbewusster. Leider, denn aus genau diesem Grunde ist es fast unmöglich, einfach mal nur zusammen ein Bier trinken zu gehen in einer deutschen Großstadt.

Freitagabend in Berlin: „Wollen wir wirklich in diesen Laden gehen? Das willst du doch nur hin, weil er genau bei dir um die Ecke ist“, sagt ein reifer, selbstbewusster Herr aus meinem sozialen Umfeld, der sich dann aber doch einen Ruck gibt und mit seiner Freundin in besagtem Laden antanzt – nicht ohne dass wir den von mir ausgewählten Sitzplatz mit einem anderen seiner Wahl tauschen. Es ist wie in der Politik, man muss Kompromisse machen.

„Trinkt ihr Bier? Ich will aber lieber Weißwein“, sagt er. Sagt sie: „Dann bestell dir doch einfach einen Weißwein.“ Sage ich: „Wir können auch in einen anderen Laden gehen, in der Weichselstraße ist auch nicht so ein Durchgangsverkehr“. Sagt sie: „Nein, da gibt es nur Flaschenbier und das tue ich mir nicht an.“ Sagt er: „Ich will lieber kiffen – können wir uns nicht in den Park setzten?“

Es wurde dann kein Park, sondern das Ufer des Landwehrkanals. „Ich finde, wir sollten an der Brücke rechts gehen, da ist der Blick am schönsten“. Sage ich: „Aber auf der linken Seite sitze ich immer, und dort findet man auch noch Sitzplätze.“ Nachdem wir also einmal in die eine und dann in die andere Richtung paradierten, mit schweren Sechserträgern Bier unter dem Arm, stellte sich heraus, das es um weitaus prinzipiellere Fragen als rechts oder links ging. Es ging nämlich um die Entscheidung zwischen steinerner Uferböschung und Parkbank. Wie man sich bettet, so ruht man.

Sagt sie: „Ich bin relativ statisch“, woraufhin wir uns auf eine Bankgruppe in der Nähe des Bouleplatzes einigen, auf Augenhöhe mit lokalem Prekariat, ebenfalls Bier trinkend. Alle reden, wenn auch nicht miteinander, über das Gleiche, steigende Mieten.

Der Sommerabend ist nicht lau, sondern drückend schwül. Gewitter dräuen – und es stellt sich heraus, dass die Bankgruppe nicht adäquat ausgerichtet ist. Sagt er: „So können wir nicht sitzen, die Krümmung der Bank-Gruppe verhindert ein Gespräch.“ Sagt sie: „Auf der Mauer dort kann ich nicht sitzen. Und wenn, dann nicht mit den Beinen in Richtung Kanal baumelnd, sondern so, dass ich Boden unter den Füßen habe.“

Auf der Mauer sitzend, mit Boden unter den Füßen, betrachten wir die paradierenden Menschen aus der Eurozone. Alle sind verdächtig, an den steigenden Mieten in Berlin irgendwie mitschuldig zu sein. Eine junge Studentin geht mit ihren die große Stadt bestaunenden Eltern vorbei – schon morgen werden sie ihrer Tochter eine Eigentumswohnung kaufen.

Sagt er: „Wir werden hier nicht bleiben können. Es ist vorbei.“ Sage ich: „Dann bleibt doch einfach in eurer Wohnung, krallt euch fest.“ Sagt sie: „Man muss eine Wohnung kaufen, außerhalb des S-Bahn-Rings.“ Sagt er: „Nein, man muss ein ganzes Haus kaufen, mit mehreren.“ Sage ich: „Man muss ein Haus auf dem Land kaufen und in der Stadt bescheiden wohnen.“ Sagt sie: „Man braucht was im Süden, am Meer.“ Sage ich: „Wir haben doch überhaupt kein Geld.“

Was sollen wir überhaupt machen in der zweiten Lebenshälfte? Noch ein Bier trinken? Sagt er: „Ich will Tannenzäpfle.“ Sagt sie: „Ich will aber ein Jever.“

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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