Kolumne Das Schlagloch: Ei, Ei, Ei, Weihnachten

Auch Biolandwirte müssen gewinnbringend arbeiten - und das geht zu Lasten der Tiere.

Eigentlich wollte ich diese Geschichte zu Ostern erzählen, wegen des Hasen und des Eierfärbens. Doch erstens nennt man den Advent die Zeit der Besinnung, und zweitens hat man in Nordbrandenburg infizierte Hühner gefunden: Dieser Winter wird potenzielle Vogelgrippenzeit. Dann könnte es eng werden in dem kleinen Gartenhaus, das jetzt mein Hühnerstall ist und aus dem der Wind mal sonderliche Gerüche, mal feines Trillern zum Menschenhaus herüberträgt. Meine nicht durchgängig erquickliche Oster-Weihnachts-Geschichte also geht so:

In unserem Dorf gibt es eine Biogasanlage und direkt daneben einen großen Biohühnerstall. Mit Auslauf, Freiland, Ökofutter und allem Drum und Dran. Glückliche Hühner also, 10.000 an der Zahl? Von wegen! Vogelgrippenpanik, Aufstallungspflicht und Massentierhaltung haben aus ihnen, bis sie endlich ins Freie dürfen, eine Horde armseliger Suppenhühner gemacht. Ich kenne den Besitzer, der ein unheimlich netter und großzügiger Mensch ist, bei dem Mensch und Tier tun dürfen, wie ihnen beliebt und der seine Gänsezucht aufgegeben hat, weil er seinen Tieren die Stallpflicht nicht zumuten und den Gang zum Teich nicht verwehren wollte. Er ist keiner, der Tiere zum Spaß einsperrt; dass es selbst für seine 10.000 trotzdem auf ein Leben voll Kajütenkoller hinausläuft, verdankt sich den Gesetzen des Marktes und dem ahnungslos Schuldigen namens Konsument.

Einem dieser Konsumenten, nämlich mir, bot der Besitzer kürzlich einen Blick in das Stallgebäude an: unterteilt in vier große Hallen, in denen, wenn sie voll besetzt sind, Huhn neben Huhn und Flügel neben Flügeln flattert, so dass die Hühner kaum wissen, wie sie sich darin bewegen soll. Einmal im Jahr wird die ganze Anlage geräumt, die Hühner kommen zum Schlachthof, ein Reinigungstrupp rückt an, damit der Stall wenige Wochen später die nächsten zehntausend aufnehmen kann.

Auch der naivste Leser wird nicht meinen, dass das Verfrachten von 10.000 Hühnern die Form eines Klassenausflugs annimmt, bei dem jedes einzelne eine Lunchbox plus Limo untern Flügel geklemmt bekommt. Aber wie gesagt, diese unschöne Szenen lagen bereits in der Vergangenheit, der Stall war jetzt leer. Fast leer. Als wir in die Halle traten, hörte ich zum ersten Mal dieses hohe Singen, Pfeifen, Trillern, dessen Vermarktung ich demnächst zu meinem zweiten Standbein auszubauen gedenke: weil man es nämlich mindestens so gut auf Wellness-CDs brennen könnte wie Walgesänge, lieblich und beruhigend, die Laute eines Huhns im Stall. Bisher hatte ich immer angenommen, dass Hühner gackern. Aber ein Huhn gackert vor allem, wenn es sich empört, etwas geschafft oder eine Gefahr überstanden hat. Je nach Hühnersicht kann der Anlass sehr unterschiedlich sein: Das Licht ist angegangen, obwohl es doch dunkel sein sollte, beinahe wär die Schale mit den Körnern umgekippt, oder - ganz schlimm! - ein anderes Huhn hat auf der Leiter gestanden, just als man selbst hinaufklettern wollte. All das sind Dinge, die ein Huhn mit Gackern quittiert.

Beim Pfeifen oder Singen aber gehen die Expertenmeinungen auseinander, ob es ein Bedürfnis anzeigt oder aber den Zustand, wenn dieses befriedigt wurde. Vielleicht kann man sagen, das Singen des Huhns ist das Äquivalent zum Morgenmanteltragen des Menschen: Ausdruck des Zuhauseseins. In der vermeintlich leeren Halle hörten wir also dieses Singen, und alles Weitere schiebe ich auf meine Kusine, die nämlich dabei war und sofort von Mitleid gepackt wurde ob der Hühnerschar, die vor kurzem erst dem Schlachter entkommen und deren Schicksal nun den erahnbaren Absichten des Reinigungstrupps anheimgestellt war. Der Besitzer schenkte mir sein Placet und einen großen Sack Biofutter noch dazu. Eben noch wollte ich bloß mal mit meiner Kusine spazieren gehen, und keine Stunde später besaß ich zehn Hühner.

Zehn von zehntausend. Als die Reinigungsmänner sie mit dem Kescher einfingen und an den Füßen packten und baumelnd zu meinem Auto brachten, schrien sie mit durchdringenden, geradezu menschlichen Entsetzenslauten. Da wusste ich, meine Kusine hatte recht: Diese Hühner wollten noch leben. Und ein bisschen normales Hühnerleben hatten sie nach den harten Monaten im Dienst des Menschen auch verdient.

Sie hatten kaum Federn mehr. Es war kalt, und damit sie der Fuchs nicht gleich holte, brauchten sie einen verschließbaren Stall. Ein Nachbar fuhr mit dem Traktor eine große Kiste herbei, der Schreiner verschob seine anderen Termine und baute einen Stall. Aus Tisch und Draht improvisierten wir ein erstes Gehege. Die zehn stürzten sich mit einer unglaublichen Verve auf das grüne Gras, pickten und scharrten und begannen sich zwecks Staubbad so tief in die Erde einzuwühlen, dass oft nur noch der Kamm über der Oberfläche wippte. Wenn die Sonne schien, breiteten sie ihre kahlen Flügel behaglich aus, um jeden Strahl einzeln einzufangen: Vor diesen Hühnern und ihrem Lebenswillen ziehe ich meinen Hut.

Aber wir Menschen haben ihnen das Überleben schwer gemacht. Damit sich das Eierproduzieren lohnt, hat man spezielle Hochleistungssorten gezüchtet. Ein normales Huhn legt ungefähr 150 bis 200, Legehybriden dagegen 300 und mehr Eier im Jahr, das verschleißt Stoffwechsel und Legeapparat. Während andere Hühner acht, zehn oder fünfzehn Jahre alt werden, müssen diese nur fünfzehn Monate lang legen, danach Chicken McNuggets. Ob sie länger leben könnten, interessiert nicht mehr. Und so führen sie mir nun eins nach dem anderen die absonderlichsten Krankheiten vor.

Bei einem war der gesamte Uterus abgestorben, hing aus der Kloake, die Tierärztin entfernte ihn - es half nichts mehr. Ein anderes leidet unter einem Legedarmvorfall, zur Beobachtung habe ich es separiert. (Anders ausgedrückt: Ich habe vorübergehend ein Huhn in der Duschkabine sitzen. Falls mein Vermieter das liest: Ich hab aber alles ganz dick mit Pappe ausgelegt. Für alle anderen: Das Haus besitzt auch eine Badewanne.) Andere Leute mit vergleichbaren Tieren erzählen von Missbildungen und Tumoren ab dem dritten, an sich noch frühen Hühnerlebensjahr.

Freunde, die zu Besuch kommen, wundern sich, weil sie bisher glaubten, bei Biohühnern sei automatisch alles gut. Besser? Das schon. Aber nicht wesentlich während der Vogelgrippen-, weil Stallpflichtzeit. Außerdem muss auch ein Biolandwirt gewinnbringend arbeiten, und mit gemütlichen kleinen Bauernhöfen allein kann man den Bedarf von Millionen Eierkonsumenten nicht decken.

Darum sollten wir Eier nicht als selbstverständlichen Inhalt unseres Kühlschranks ansehen, sondern als Luxusprodukt, das wir stets nur wohl überlegt kaufen. Jeden Morgen hole ich mehrere davon aus dem Stroh, manche sind noch handwarm, manche heller, manche karamellbraun. Aus der Nähe betrachtet ist jedes ein Kunstwerk, ein Einzelstück: Ein Ei ist ein Geschenk, nur ohne Schleife und ohne Tannenbaum.

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