Biografie des US-Präsidenten: „Obamas Leben ist eine Odyssee“

Der US-Präsident habe noch immer ein umwerfendes Lächeln, aber keine rhetorische Kraft mehr, sagt David Maraniss. Er hat eine Biografie über Obama geschrieben.

Umwerfendes Lächeln und Basketball: Barack Obama. Bild: dapd

taz: Herr Maraniss, Barack Obama ist leidenschaftlicher Basketball-Spieler. Wenn Sie Coach wären, welche Position würde er spielen und warum?

David Maraniss: Er wäre Shooting Guard (etwa: werfender Verteidiger), obwohl er kein großartiger Werfer ist. Bildlich gesprochen wäre er Point Guard (Spielmacher), weil er die Fähigkeit hat, Schlichter zu sein. Er liebt Basketball. Es ist viel mehr als Sport. Es half ihm, seine schwarze Identität zu finden, da er in einer weißen Familie aufwuchs.

Anders als Obama in seinen Memoiren schreibt, bekam er im College nicht so viel Spielzeit, weil er einen „schwarzen Stil“ hatte, sondern weil er einfach nicht gut genug war, wie Ihre Recherchen zeigen. Ein Detail von vielen, in dem Sie genauer sind als Obama.

Viele Gegner Obamas haben versucht, etwas aus diesen Unterschieden herauszuschlagen. Aber Memoiren sind etwas anderes als eine Biografie. Sein Buch gibt Einblicke in die inneren Kämpfe während seiner Identitätsfindung. Und das ist okay.

Was war das Bemerkenswerteste, das Sie herausgefunden haben?

Die Tagebucheinträge seiner Exfreundin Genevieve Cook in New York. Sie waren sehr aufschlussreich, da sie eine Sichtweise auf den jungen Obama bieten. Sie nahm eine Coolness wahr, eine Art Schleier zwischen ihm und dem Rest der Welt.

63, arbeitet bei der Washington Post und erhielt für seine Berichterstattung über Bill Clintons Wahlkampf 1993 den Pulitzerpreis. Kürzlich erschien von ihm „Barack Obama – The Story“, Simon & Schuster, 19,90 Euro.

Haben Sie das auch bemerkt, als Sie ihn getroffen haben?

Er war sehr witzig, locker und cool. Aber man kann ihn nicht wirklich durchdringen. Doch bei den meisten Politikern gibt es dieses Schild zwischen sich und anderen.

Sie beschreiben, wie Obama eine aktive Entscheidung traf, schwarz und nicht weiß zu sein, als er von Hawaii aufs Festland zog. Wäre sein Leben anders verlaufen, hätte er sich anders entschieden?

Wegen seiner Hautfarbe hat er sich von Anfang an mit Rassismus und damit, ein Afroamerikaner zu sein, auseinandersetzen müssen. Kulturell musste er es lernen, weil er mit einer weißen Mutter und weißen Großeltern aufgewachsen ist. Hawaii ist zwar sehr vielfältig, aber es gibt nicht viele Afroamerikaner. Nachdem er Hawaii verlassen hatte, hat er sich bewusst damit befasst. Es war keine politische Entwicklung, sondern eine persönliche, um ein Gefühl für Heimat zu entwickeln.

Wie bewerten Sie die Rolle seines Vaters, der nicht präsent war?

Er spielt gar keine Rolle. Obama hatte Glück, niemals mit ihm gelebt zu haben, denn er war nicht nur Alkoholiker, sondern auch gewalttätig.

Was hat den jungen Obama geprägt – persönlich und beruflich?

Sein ganzes Leben ist eine klassische Odyssee, ein Versuch, sich selbst zu finden. Anders als Bill Clinton hat Obama sein Leben nicht mit dem Entschluss begonnen, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Er war nicht in Organisationen oder in der Schulpolitik aktiv. Das kam viel später. Obama hat sehr langsam den Gedanken entwickelt, dass sein Leben eine Bestimmung hat. Als er 1985 als Gemeindearbeiter nach Chicago kam, hat er sich mit Macht und wie man sie nutzen kann beschäftigt. Dort kam er zu dem Schluss, er müsse in die Politik gehen, um die Welt beeinflussen zu können.

Sie schreiben, dass seine Mutter ihm Empathie vermittelt hat. Ist der Präsident Obama noch empathisch?

Er zeigt nicht wirklich Empathie. Er geht – anders als Bill Clinton – nicht auf die Leute zu und sagt: „Ich fühle euren Schmerz.“ Er ist nicht der Umarmungstyp. Aber anders als viele andere Politiker ist er kein Schauspieler. Ich denke, dass er in seinem Inneren sehr bewusst über Empathie nachdenkt und darüber, sich in andere Leute hineinzuversetzen. Aber er fühlt sich nicht wohl dabei, das auszuleben.

Sie haben auch eine Biografie über Bill Clinton geschrieben. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Obama?

Sie sind beide enorm ehrgeizig. Sie kommen aus eher dysfunktionalen Familien. Sie sind pragmatische, liberale Politiker. Persönlich sind sie extrem unterschiedlich. Clinton hatte das fast neurotische Bedürfnis, unter Leuten zu sein. Obama hat das gar nicht. Was ihm politisch schaden kann, da er Leuten nicht Honig ums Maul schmiert.

Doch Obama ist sehr charismatisch.

Obama hat ein Charisma, aber es unterscheidet sich sehr von dem anderer Politiker. Er hat großartige rhetorische Fähigkeiten, die er in Chicago von der Tradition der schwarzen Prediger gelernt hat. Er hat ein Lächeln, das einen Raum zum Leuchten bringt. Und eine gewisse Hipness.

Diese lockere Haltung der Hawaiianer, die alle ihm bescheinigten, als er aufs Festland zog?

Ja. Etwa die Art, wie er läuft. Und er bleibt sehr cool. Das macht sein Charisma aus. Aber manchmal wünschen sich seine Berater, dass er gegenüber seinen Gegnern wütender wird.

Glauben Sie an eine zweite Amtszeit?

Bedenkt man die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen er umgehen musste, ist er in einer stärkeren Position als viele vielleicht glauben. Einiges ist jenseits seiner Kontrolle, was in Europa passiert etwa.

Ist die Entwicklung in Europa für die Amerikaner bei der Wahl wirklich entscheidend?

Nein. Aber es ist ein Faktor, und wenn es eine knappe Wahl wird, wird er wichtiger. Obama ist ein stärkerer Kandidat als Mitt Romney. Und er hat einen starken Kampagnen-Apparat. Aber er hat nicht mehr die rhetorische Kraft, die er vor vier Jahren hatte. Es wird eng, aber ich glaube, er schafft es.

Sie schreiben, Obamas Ziel sei es, die Fallen im Leben zu vermeiden. War er erfolgreich?

Er hat es immerhin zum Präsidenten gebracht. Aber es gibt viele Fallen, die kompliziert sind. Afghanistan, die Wirtschaft.

Und die Gesundheitsreform, die er durchgesetzt hat?

Die sehe ich nicht als Falle. Die Entscheidung des Supreme Court war ein heikler Moment, aber das Gericht hat zu seinen Gunsten entschieden und jetzt hat er die Chance, seine Reform offensiv zu erklären – und nicht immer nur zu verteidigen.

Das Buch endet mit dem 27-jährigen Obama, der nach Harvard aufbricht …

Ich wollte die Welt zeigen, die ihn kreiert hat, und wie er die Widersprüche auflöst, die sich ihm entgegenstellen. Außerdem wollte ich beschreiben, wie er sich auf seine politische Laufbahn vorbereitet. Ich arbeite an einem zweiten Band, der sich mit seiner Karriere beschäftigen wird.

Sie haben an Band eins vier Jahre recherchiert, sind viel gereist. Ihre unvergesslichste Erinnerung?

Das war in Indonesien, dort, wo der siebenjährige Obama gelebt hat, der damals Barry Soetoro hieß – nach seinem Stiefvater. Der Gedanke, dass der kleine Barry Präsident der USA wurde, hat mich überwältigt.

Obama wurde noch zu Uni-Zeiten Barry genannt, bevor er zu Barack zurückkehrte. Wäre Barry ein besserer Präsident als Barack?

Barack repräsentiert den Übergang von seiner Erziehung zu einem afroamerikanischen Erwachsenen. Politisch gesehen ist er beides, Barry und Barack, weil er versucht, beide Welten zu vereinen.

An Obamas 4. Geburtstag, 1965, wurde der Voting Rights Act unterzeichnet, der Wahlhürden für Afroamerikaner wie den Analphabetismustest abschaffte. 47 Jahre später reden wir immer noch über Rassismus bei dieser Wahl.

Es ist eine langsame, frustrierende Entwicklung. Vielleicht bin ich zu optimistisch, aber ich glaube, in einigen Generationen werden Fragen der Bürgerrechte und Rechte für Homosexuelle hinter uns liegen.

Ist Obamas Unterstützung der Homo-Ehe ein Schritt dorthin?

Es ist ein wichtiger Schritt. Auch ein Mitt Romney wird dahinter nicht völlig zurücktreten können.

Sie zitieren William Faulkner mit den Worten: „Die Vergangenheit ist niemals tot, sie ist nicht einmal vergangen.“ Obama nutzt dieses Zitat ebenfalls in seinen Reden. Ist dieser Glaube etwas, das Sie gemeinsam haben?

Ich denke schon. Wir alle verstehen, dass wir Produkte unserer Vergangenheit und der Geschichte unserer Familie sind. Um zu verstehen, wer man ist und wer wir als Nation sind, muss man die Vergangenheit studieren. Und ich glaube, Obama würde mir darin zustimmen.

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