Gold für den Deutschlandachter: 5:48,75 Minuten blanke Nerven

Geschafft! Erstmals seit den Spielen von Seoul 1988 holt das deutsche Mythosboot die Goldmedaille. Das Protokoll des Rennens im Sekundentakt.

Die Sirene, die Ziellinie! Es reicht! Bild: dapd

0:00,00: Dorney Lake, Grafschaft Buckinghamshire. 12.30 Uhr Ortszeit. Acht Männer, ein Steuermann, ein flaches Boot. Knapp sechs Minuten. Knapp sechs Minuten, um zu Großen zu werden. Um Geschichte zu schreiben. Leichter Gegenwind, kaum spürbar. Kristof Wilke atmet durch. Der Schlagmann des Deutschlandachters sieht nach links, nach rechts. Sechs Boote in einer Reihe, ruhiges Wasser. Links sind die Kanadier, rechts die Amerikaner. Und die Briten auf Bahn zwei. Warten. Warten auf das Signal.

Start! Jetzt zählt’s. Martin Sauer brüllt vom ersten Schlag an. Der Steuermann will alles aus diesen acht Jungs rausholen. Vier Jahre haben sie geackert, haben sich geschunden nur für die paar Minuten. Sie haben sich an Ergometern gequält. Aber das haben die anderen auch. Nun ein letztes Mal beißen. Zehn harte Schläge zu Beginn, dann geht’s mit 40er-Schlagzahl weiter. Der Start ist gut.

Sauer merkt: Der Drive stimmt. Wilkes Bewegungen sind flüssig, Florian Mennigen dahinter bläst die Backen auf. Ein paar Meter sind wir vorne, alles läuft nach Plan.

Filip Adamski blickt nach rechts. Er sitzt im Bug, er ist der letzte dieser langen Reihe an langen Kerlen. Er sieht die Briten und die Amerikaner zur rechten. Beide sind im Kommen. Auch die Kanadier sieht er links aus dem Augenwinkel. Jetzt schaut er auf sein Paddelblatt. Bloß nicht an die Schmerzen denken, einfach ziehen, nur ziehen. Das dürfen wir uns heute nicht nehmen lassen. Die 500-Meter-Marke: Ein, zwei Meter vor den Briten. Okay.

1:24,81: Das Boot liegt gut im Wasser. Wir sind auf Kurs. Sauer hat das Steuerseil fest im Griff. Der Steuermann blickt entschlossen, mit verkniffenem Gesicht. Alle Paddel im Gleichklang, er muss nur anfeuern. Kommt, Jungs!

2:53,90: Die 1.000 Meter sind durch, wir sind noch vorne. Aber nur knapp. Acht weiße Trikots vor ihm. Sauer sieht die aufgepumpten Wangen, sieht den Schweiß auf der Stirn, sieht die Qual in den Blicken. Bitte beißt noch tausend Meter. Nur diese letzten tausend noch!

Die Briten. Stark sind sie, aber so stark? Kann doch nicht sein. Haben die geblufft in den letzten Rennen? Mein Gott, ziehen die durch. Die sehen frisch aus. Leute, das kann nicht wahr sein, lasst das nicht geschehen. Ihr habt die Power, ihr wisst, dass wir es können. Andreas Kuffner und Adamski beißen auf die Zähne. Die Briten bleiben schnell. Verdammt schnell. 1.500 Meter sind durch.

4:22,27: Jetzt liegen sie gleichauf. Feuer, Jungs, Feuer, reißt euch noch mal zusammen! Sie wollen es. Sauer weiß das. Noch fünfhundert Meter. Mann, was ein Finish! Die Briten sind immer noch gleichauf, die lassen nicht locker.

Es wird laut, die Tribüne kommt in Reichweite. Sauer sieht links zu den Zuschauern, hört das Getöse der Menge. Die wollen die Briten siegen sehen. Nicht mit uns. Noch vierhundert Meter! Packt zu Leute, legt noch mal eine Schippe drauf! Wir erhöhen die Schlagzahl. Sauer schreit. Seine Jungs nehmen den Kampf an, nehmen die Qual in Kauf. Lukas Müller, Richard Schmidt, Maximilian Reinelt, gut sehen sie aus, mit klarem Blick. Wir haben wieder einen Meter vor.

Noch hundert Meter. Es wird reichen. Sauer sieht es, er spürt es. Alle ziehen noch mal an, die Briten platzen ab. Adamski am Bug sieht, wie die Briten langsam abgehängt werden. Dafür drehen die Kanadier noch mal auf und liegen plötzlich auf dem zweiten Platz. Aber keine Gefahr für den Deutschlandachter, das müsste doch reichen!

5:48,75: Die Sirene, die Ziellinie! Es reicht! Martin Sauer legt den Kopf auf die Knie. Wilke, Mennigen, Müller, die sind platt, die Männer vor ihm. Keine Kraft mehr zum Jubeln. Nur einer reißt die Arme nach oben, wer ist’s, der Mennigen? Der Rest lässt sich ins Boot sinken. Adamski lässt die Beine ins Wasser baumeln. Diese Blicke der Jungs. Sie sagen alles. 5:48,75 ist keine sehr gute Zeit, der Weltrekord liegt bei 5:19,35. Aber egal. Sie haben’s gepackt. Wir haben’s tatsächlich gepackt.

Comments

[Ex-Ruderer]

Wow Herr Uthoff, ich bin echt beeindruckt von Ihrem Artikel. Echt ein journalistisches Kleinod.

Bar jeder Kenntnis des Rudersports schwätzen Sie von Paddeln und Steuerseilen und wollen dabei wissen, was der Steuermann so alles denkt und ins Mikro schreit! Wahrscheinlich beziehen Sie Ihre Erkenntnisse, genau wie ich, aus der gestrigen Live-Übertragung des ZDF.

Ich habe große Hochachtung vor der gestern gezeigten Leistung des deutschen Achters und habe mitgefiebert. Herzlichen Glückwunsch an die Gewinner dieses großartigen und spannenden Rennens.

PS: bei Wikipedia gibt es einen sehr ausführlichen Artikel zum Thema Rudern. Den, Herr Uthoff, hätten Sie vor dem Verfassen Ihres "Artikels" lesen sollen.

[Karl K]

Ich frag auch mal:

"Plätten" für Riemen!? ist das heute noch geläufig?

entstand, als die Ruderblätter in vielen Varianten Richtung

'Eislöffel' bewegten. Die heutigen asymetrischen sind offensichtlich

das Optimum, aber wohl auch ' krebsaffin' - oder.

Und der schöne Retrospruch "Steuerleine…";

ich kenn das konkrete Boot nicht, entsinne mich aber schon an gesteuerte Boote mit Hebeln rechts und links. - plus Kabel wie bei den ungesteuerten fürs Fußsteuer( war mir eh' am liebsten!)

Was ist heute der Standard?

Egal. Mal seh, was die andern - Frauen wie Männer - reißen.

Und by the way:"…die Blicke … die Zeit…"

Bei so einem Rennen am obersten Limit - nur wenig entfernt von winner? wer am Schlag ist! - und the Canadians putzen noch die Engländer -

biste kurz vorm Kotzen, der leere Blick singnalisiert leichte Blutarmut im Hirn

- und der Rest? braucht seine Zeit.

So geht das.

[Reiner Versnix]

"Paddel" ...... is´ schon ein ziemlicher

Fauxpax (oder so) ..... ;-)

[Hafenratte]

2 kleine Bemerkungen noch, Karl K hat das meiste ja schon treffend gerade gerückt:

Lieber Jens Uthoff:

Paddel sind für Kanuten ("da kommt eine Kneipe")

bitte,bitte,bitte,bitte,bitte bei Ruderern ("oh, da war eine Kneipe") von Riemen (einer pro Ruder/in)oder Skulls (zwei pro R.) schreiben

an Fragesteller:

nein, der Terminus "Deutschlandachter" legt's zwar nahe, aber der Begriff entstand in den späten fünfzigern und manifestierte sich nach dem ersten Olympiasieg des Bootes 1960 in Rom..

So long, Skull- und Dollenbruch

[Karl K]

Vorweg: hab das Rennen live nicht gesehen. Musike geht vor.

Die Reportage: ich tipp mal: Jens Uthoff  ist/war kein (Renn)ruderer!?

Spannend erzählt, aber ein paar Schnäcke - die gehen gar nicht.

Dieser pluralis majestatis - lasset;

einfach peinlich.

" Bloß nicht an die Schmerzen denken …"

bei der Fünfhundertmetermarke!?

ja geht's noch? als einer der's gelernt hat zu ziehen, bis ihm schwarz vor Augen geworden ist!:  - im Finish, ja, aber, Schmerzen bei 500 Meter? -

da brauchste  gar nicht erst anfangen!

Es wird viel gebissen:

"Bitte beißt noch tausend Meter. Nur diese letzten tausend noch!"

und bei 1.500:

"Andreas Kuffner und Adamski beißen auf die Zähne. Die Briten bleiben schnell."

Doch hat was . Nur ist unser Schreiber Jahrgang 1979 - nicht 1939 oder gar 1929. Frontbericheterstattersprache.

So halt:

"4:22,27: Jetzt liegen sie gleichauf. Feuer, Jungs, Feuer, reißt euch noch mal zusammen! Sie wollen es. Sauer weiß das."

Sperrfeuer um 'schland.

klar schon hier:

"Wir sind auf Kurs. Sauer hat das Steuerseil fest im Griff. Der Steuermann blickt entschlossen, mit verkniffenem Gesicht.

Alle Paddel im Gleichklang…"

Rosamunde Pilcher Plagiat und

" das Steuerseil fest im Griff" -

auhauerha.

aber dann - Die Zeit:

"Diese Blicke der Jungs. Sie sagen alles. 5:48,75 ist keine sehr gute Zeit, der Weltrekord liegt bei 5:19,35. "

Einfach schlimm. Da legst di nieder.

Beim Halma gibt's keinen Elfmeter und beim Rudern? naheliegenderweise keine Weltrekorde.

Noch Fragen?

Ps: die Briten - also die englischen Ruderer haben ein taktisch naheliegendes, aber riskantes Rennen gefahren. Angriff mit vollem Risiko. Denn im Vorlauf hatten beide ein taktisch abwartendes Rennen gefahren.

Klar war damit aber auch, zu schlagen waren die tysk bei ihrer hohen Grundgeschwindigkeit nur, wenn es gelang, sie zu überspurten und den Schneid abzukaufen. Alles oder - der dritte Platz.

Hut ab.

ansonsten - Jens Uthoff: http://www.taz.de/Mythos-Deutschlandachter/!97266/

[Wertkonservativliberaler]

Schöner Bericht, so etwas nennt man Sportreportage. Ich habe das Rennen im TV geschaut und mochte kaum hinsehen, so spannend war es. Danke schön!

[tazitus]

Und ich frage bei Herrn Uthoff an:

"Hälst Du das aus, Zeitungsmann?"

(Verzeihung,Herr Fontane)

"..Alle Paddel im Gleichklang,.."

Nu reißen Se sich aber mal am Riemen!

[Fragensteller]

Woher kommt diese Begeisterung für den "Deutschlandachter", die sogar mich Olympia-Muffel ansteckt? Liegt's - wieder einmal - an den Nazis, an Olympia 1936, an dem verfluchten Josef Goebbels?