piwik no script img

20. - 28. Juli 2024 (22. - 30. Juni nur noch Warteliste)

Estland / Lettland

  • Tallinn - Narva - Tartu - Riga
  • im Juli 1.650 € (DZ/HP/ohne Anreise)
  • Reiseveranstalter: Via Cultus Studienreisen, Karlsruhe

Reiseleiter/in: Barbara Oertel (Juni) bzw. Tigran Petrosyan (Juli)

Architektonische Pracht und Vielfalt, eine wechselhafte, teils tragische Geschichte, die jeweilige Kultur und Landessprache als eine Art Alleinstellungsmerkmal, aber auch Champion in Sachen Digitalisierung: In den baltischen Staaten Estland und Lettland im Norden Europas, die an die Russische Föderation grenzen, gibt es viel zu entdecken - doch das derzeit Prägendste ist: beide haben eine EU-/Nato-Grenze zu Russland!

Tallinn und Riga, Haupt- und Hansestädte mit einer langen Tradition, sind ein wahrhaftiges Kleinod. Liebhaber*innen des Jugendstils dürften in der Rigaer Altstadt auf ihre Kosten kommen. Estland hingegen hat sich als kleines „Digital-Wunderland“ einen Namen gemacht. Hier bringen beispielsweise computergesteuerte Wägelchen die Pizza nach Hause. Das erklärt vielleicht, warum die Schülerinnen in Estland bei der jüngsten Pisa-Studie vom Dezember 2023 erneut einen Spitzenplatz belegen.

Programm

Seit dem 24. Februar 2022 hat sich jedoch viel geändert. Denn Russlands Krieg gegen die Ukraine hat auch hier deutliche Spuren hinterlassen – nicht zuletzt wegen der russischen Minderheit, die in beiden Staaten einen bedeutenden Teil der Bevölkerung ausmacht.

Der Krieg hat sogar Auswirkungen auf die Religion. In Estland gibt es bereits seit den 90er Jahren neben der orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchiat mit der Estnischen Apostolischen Orthodoxen Kirche eine zweite orthodoxe Kirche, die eigenständig ist. Der öffentliche Druck auf erstere wächst. In Lettland hingegen hat sich die Orthodoxe Kirche vor kurzem von Moskau losgesagt.

In der Altstadt von Tallinn (Estland)

Estland und Lettland haben Gemeinsames, aber auch Trennendes, weswegen die immer noch gebräuchliche geografische Bezeichnung „Baltikum“ der Komplexität der Region nicht gerecht wird und in die Irre führt.

Was sie teilen, sind historische Erfahrungen im 20. Jahrhundert. Seit 1918 erstmals unabhängig, wurden Estland und Lettland als Ergebnis der geheimen Zusatzprotokolle des Hitler-Stalin-Paktes 1940 von der Sowjetunion annektiert. Dem folgte von 1941 bis 1944 ein brutales Besatzungsregime durch die Truppen Nazideutschlands.

In diesen Zeitraum fallen auch grausamste Verbrechen an Juden und Jüdinnen, wobei „Ortskräfte“, wie beispielsweise die lettische SS-Legion, eifrig aktiv waren. Von 70.000 in Lettland lebenden Juden und Jüdinnen wurden allein bis Ende 1941 mehr als 90 Prozent ermordet. Im Herbst 1944 wurden die drei Länder als Sozialistische Sowjetrepubliken (SSR) der Sowjetunion angegliedert.

In den 80er Jahren regten sich, nicht zuletzt auch dank Michail Gorbatschows Politik der Glasnost und Perestroika, Absetzbewegungen von Moskau. Unvergessen sind die Bilder vom 23. August 1989, als Bewohner*innen Lettlands, Estlands aber auch Litauens von Vilnius über Riga bis nach Tallinn eine 600 Kilometer lange Menschenkette bildeten, um für die Unabhängigkeit ihrer Staaten zu demonstrieren.

DIe 1900 erbaute russisch-orthodoxe Alexander Newski Kathedrale, damals war Estland Teil des Zarenreiches

Seit 2004 gehören Estland und Lettland sowohl der Europäischen Union als auch der Nato an. Sie haben es mit einem besonderen Erbe der Sowjetzeit zu tun: In beiden Staaten leben zahlenmäßig bedeutende russische Minderheiten. So gehören in Estland, wo rund 1,3 Millionen Menschen wohnen, knapp ein Viertel dieser Minderheit an. In Lettland, mit rund zwei Millionen, sind es rund 27 Prozent.

Viele von ihnen haben immer noch den Status sogenannter „Nichtbürger*innen“, da sie mangels Bestehen einer obligatorischen Prüfung, bei der auch Kenntnisse der Amtssprache nachgewiesen werden müssen, nie einen estnischen bzw. lettischen Pass bekommen haben. Dennoch hat sich in den vergangenen Jahren ein gedeihliches Neben- und Miteinander zwischen den verschiedenen Gruppen entwickelt.

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges geht jetzt die Angst um. „Wir könnten die Nächsten sein“, ist mittlerweile ein Ausspruch, den Gäste häufig zu hören bekommen. Beide Länder gehören zu den vehementesten Unterstützern der Ukraine. So ist Estland, umgerechnet auf die Bevölkerungszahl, bei Waffenlieferungen an Kyjiw EU-weit Spitzenreiter.

Kurzum: Der Krieg birgt Sprengstoff für die jeweiligen Gesellschaften. Das fragile Gleichgewicht zwischen Est*innen und Lett*innen sowie Angehörigen der russischen Minderheit scheint akut gefährdet zu sein.

Der Grenzfluss zwischen Estland und Russland bei Narva mit estnischer Burg (links) und russischer Festung (rechts)

Auf unserer Reise werden wir erkunden, wie die Menschen in Estland und Lettland mit dem Erbe der Vergangenheit, aber auch mit den neuen Herausforderungen der Gegenwart umgehen. So treffen wir unter anderem in Tallinn einen Priester der Estnisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchiat. Er wird von den Problemen berichten, denen er sich aktuell gegenübersieht. Ein russischer Journalist, der in Estland Zuflucht gefunden hat, berichtet darüber, wie er sich in seinem neuen Leben eingerichtet hat.

Lebendig geht es in der Tallinner Startup-Szene zu. Übrigens: Das erste Startup, das seinerzeit den Tech-Boom in Estland ausgelöst hatte, war Skype Anfang der 2000er. Eine profunde Kennerin der Startup-Szene wird uns in diese Welt einführen und auch die Schattenseiten des damit verbundenen grauen Arbeitsmarktes der Gig-Economy aufzeigen.

Wir besuchen Narva, die östlichste Stadt Estlands direkt an der Grenze zu Russland, 95 Prozent der Einwohner*innen sind russischsprachig. „Hier ist die Welt zu Ende“, sagen manche. Von wegen. „Hier fängt Europa an“, sagt Kari Raik, bis September 2023 Bürgermeisterin von Narva. Tartu steht ebenfalls auf unserem Programm. Die zweitgrößte Stadt Estlands ist der Sitz der größten und ältesten Universität Estlands und 2024 eine von drei Europäischen Kulturhauptstädten.

Das Schwarzkopfhaus am Marktplatz von Riga

Die Tage in Lettlands Hauptstadt Riga stehen zu einen ganz im Zeichen der Erinnerungskultur. Dazu gehören Besuche des in den 90er Jahren aufgebauten Okkupationsmuseums, des Ghetto-Gedenkortes in der Moskauer Vorstadt sowie der Holoccaust-Gedenkstätte Rumbula. In dem Kiefernwäldchen bei Riga ermordeten Angehörige der SS Ende 1941 an nur zwei Tagen über 26.000 Juden und Jüdinnen.

Seit dem 24. Februar 2022 haben über 300 Journalist*innen, vor allem aus Russland, aber auch aus Belarus und der Ukraine in Lettland Zuflucht gefunden. Erste Anlaufstelle für sie ist die Nichtregierungsorganisation „MediaHub“ in Riga, wo sie finanzielle und juristische Unterstützung sowie einen Platz zum Arbeiten finden. Wir besuchen das MediaHub.

Riga ist für seine Jugendstil-Häuser berühmt.

Was jedoch wäre ein Besuch Rigas ohne einen Abstecher zum Zentralmarkt am Fluss Daugava. Die Hallen gehören seit 1997 gemeinsam mit der Altstadt zum Weltkulturerbe der UNESCO. Hier sind auch Spezialitäten aus vielen Republiken der ehemaligen Sowjetunion zu erwerben. Für Fans von Likör ein Muss: Der Rigaer Schwarze Balsam (Rīgas Melnais balzams). Der traditionelle Kräuterschnaps existiert mittlerweile in verschiedenen Sorten, darunter auch Kirsche, schwarze Johannisbeere sowie Minze/Schokolade.

Reiseleiterin im Juni: Barbara Oertel

ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert.

Reiseleiter im Juli: Tigran Petrosyan

Jahrgang 1984, hat in Jerewan, Mainz und Berlin Orientalistik, Geschichts- und Kulturwissenschaften studiert und in Berlin über Integration, Migration und Medienwahrnehmung promoviert. Er schreibt vor allem für die taz, für ZEIT-ONLINE und für das Journal von Amnesty International. Als Reporter ist er in Osteuropa unterwegs, unter anderem im Baltikum und im Südkaukasus. Er leitet die Osteuropa-Projekte der taz Panter Stiftung, ist Herausgeber des Buches "Krieg und Frieden. Ein Tagebuch" (Sept. 2022).

Bitte buchen Sie die Reise direkt beim Reiseveranstalter

Die Reise kann nur beim Veranstalter gebucht werden, auch wenn sie auf dessen Website nicht aufgeführt ist.