Redaktionsbesuch bei den Serienjunkies: Erfolgsvorhersage schwierig

Diese Woche verkünden US-Sender, welche Serien kommende Saison laufen. Auch in Deutschland ist das Interesse riesig.

Dass „Breaking Bad“ so erfolgreich werden würde, war während der ersten Staffel auch für die Serienjunkies nicht abzusehen. Bild: Arte/Sony 2007

Seit Montag herrscht in der Redaktion von serienjunkies.de Urlaubssperre. „Das ist für uns die wichtigste Zeit im Jahr“, sagt Hanna Huge, die stellvertretende Geschäftsführerin und Teilhaberin des TV-Serienportals.

In New York finden nun eine Woche lang die sogenannten Upfronts statt. Jeden Tag gibt einer der fünf großen US-amerikanischen TV-Sender – NBC, Fox, CBS, ABC und The CW – bekannt, welche Serien in der kommenden Saison verlängert oder abgesetzt und welche neu ins Programm aufgenommen werden.

„Während dieser Zeit schieben wir 24-Stunden-Schichten“, sagt Huge. „Unsere Leser wollen zeitnah wissen, ob ihre Lieblingsserie in eine neue Staffel geht.“ Das kleine Büro mit den zehn Arbeitsplätzen in Berlin-Friedrichshain wird dann zur Zentrale, in der meist via Twitter die Infos zusammengetragen und kommentiert werden.

US-amerikanische TV-Serien sind in den letzten Jahren immer wichtiger geworden – auch für deutsche ZuschauerInnen. Mit dem Interesse wuchs auch der Bedarf an Hintergrundinformationen. serienjunkies.de will diesen Bedarf abdecken: mit Nachrichten, welche Darsteller von den US-Networks für welche Serie gecastet wurden, mit Rezensionen der einzelnen Staffeln und Folgen beliebter Serien und seit Neuestem auch mit Podcasts, in denen RedakteurInnen die einzelnen Serien kommentieren.

Über eine Million Klicks

„Serien sind schon lange keine Nische mehr“, sagt Huge. Sie hat diese Entwicklung früh erkannt. Mariano Glas, mit dem Huge die Website betreibt, hatte die Seite ursprünglich aus eigenem Interesse gebaut. „Er wollte eine Übersicht haben, welche Serien in den USA wann und wo laufen“, erinnert sich Huge. Später kamen News hinzu, sodass eine Art rudimentärer Infodienst entstand. 2008 dann stieg Huge, die BWL studiert hatte und in Wien für ein IT-Unternehmen arbeitete, ein – und baute zusammen mit Glas und Bernd Michael Krannich, selbst Serienfan der ersten Stunde und mittlerweile Newschef bei serienjunkies.de, die Redaktion in Berlin auf.

Mittlerweile arbeiten dort neun fest angestellte RedakteurInnen und etliche Freie. An einem der Bürostühle ist ein „Eiserner Thron“ aus Plastik aus der Serie „Game of Thrones“ befestigt, jedoch sieht er wenig erhaben aus. Die labbrigen Plastikspitzen knicken immer wieder ein. Walter Whites gelber Laboranzug aus „Breaking Bad“ liegt griffbereit im Regal. Man merkt: Die RedakteurInnen sind ebenso große Fans wie ihre LeserInnen.

Das Portal trägt sich selbst – in erster Linie über Werbung und Links zu Kaufangeboten von DVDs. Und die Website hat laut Selbstauskunft über eine Million Unique User pro Monat – Klicks also, die von unterschiedlichen IP-Adressen getätigt werden. Im Januar 2008, als serienjunkies.de erstmals online ging, waren es noch 300.000. „Wenn überhaupt“, sagt Huge.

Für das wachsende Interesse deutscher ZuschauerInnen an US-Serien machen Huge und Krannich verschiedenen Faktoren verantwortlich: „Spätestens mit der Möglichkeit, Serien staffelweise halbwegs günstig auf DVD zu kaufen und anzuschauen, hat sich das Sehverhalten verändert“, sagt Krannich.

Netflix soll expandieren

Will heißen: Man muss nicht mehr Woche für Woche warten, bis es weitergeht. Das sei vor allem bei US-Serien wichtig, ergänzt Huge. Denn diese haben eine andere Erzählstruktur als in deutschen Fernsehproduktionen üblich. Während im „Tatort“ sonntäglich ein Kriminalfall aufgeklärt wird und kein Cliffhanger am Ende nötig ist, bauen die meisten US-Serien aufeinander auf. Wer nicht dranbleibt und eine oder mehrere Folgen verpasst, kapiert irgendwann nicht mehr, worum es geht.

Die Folge? „Binge Watching“, also das Schauen von mehreren Episoden oder Staffeln einer Serie am Stück. Streamingportale wie Watchever, Maxdome, Amazone Prime und Myvideo greifen genau diesen Trend auf und profitieren davon. Angeblich will auch das US-amerikanische Streamingportal Netflix demnächst nach Europa expandieren.

„Trotzdem schaut immer noch die Mehrheit der deutschen Fans ihre Lieblings-US-Serien im Free-TV“, sagt Huge. Und damit nimmt laut der Serienexpertin der Teufelskreis auf dem deutschen Fernsehmarkt seinen Lauf. Die wenigsten deutschen TV-Sender trauen ihren ZuschauerInnen zu, Woche für Woche dranzubleiben – und greifen deshalb zu einer Notlösung. „RTL2 zeigt die aktuelle Staffel von ’Game of Thrones‘ als Event“, erklärt Huge; also die ganze Staffel innerhalb einer Woche oder an einem Wochenende und mehrere Folgen an einem Stück.

Weniger erfolgreiche US-Serien werden innerhalb der Staffel einfach abgesetzt, so wie jüngst „Sleepy Hollow“ bei Pro7, ins Nachtprogramm verschoben oder zu Spartensendern wie RTLNitro und ProSiebenMaxx ausgelagert. „Dort sind geringere Einschaltquoten okay“, sagt Huge. Dennoch: „Der deutsche Zuschauer wird fast gezwungen, Serien bei Video-on-Demand-Portalen oder im Pay-TV zu schauen, weil er im Free-TV so stiefmütterlich behandelt wird.“

Das goldene Zeitalter begann mit „24“

In den USA funktioniert der Markt längst ganz anders. 2001 habe bei HBO das „goldene Zeitalter“ der Serien begonnen. „24“ war die erste Serie, für die mit Kiefer Sutherland ein aus dem Kino bereits bekannter Darsteller gecastet wurde. „Er war auch der Erste, der für seine Rolle nicht mehr belächelt wurde“, sagt Huge. Heute seien 10 Millionen Dollar Gage pro Staffel keine Seltenheit mehr.

Das ist mehr als für so manchen Hollywood-Blockbuster. „Leisten können sich die Serienmacher solche Gagen, weil sie über die DVD-Verkäufe und den Verkauf von Wiederholungs- und Zweitausstrahlungsrechten sehr viel Geld verdienen“, erklärt Huge. So zahlte der Sender TBS offenbar eine Million Dollar pro Folge für die Wiederholung von „The Big Bang Theory“ an die Produktionsgesellschaft Warner.

Mittlerweile ist die Serienflut in den Staaten immens. „Allein jetzt im Herbst starten 60 bis 70 neue Serien in den USA“, sagt Huge. Man komme kaum hinterher. Wie viele Serien es insgesamt gibt, können die RedakteurInnen von serienjunkies.de längst nicht mehr sagen.

Sicher ist nur: Mittlerweile können sich auch Streamingportale wie Netflix, die über keinen großen Network-Background verfügen, die Produktion von Serien leisten, wie jüngst bei „House of Cards“. Und auch Spartensender wie History Channel, die früher in erster Linie Dokumentationen zeigten, steigen ins Geschäft mit ein, wie die Serie „Vikings“ beweist.

Ratespiel um Riesenhype

Vorherzusagen, welche Serie am Ende erfolgreich wird und welche floppt, gelingt auch den ExpertInnen nicht. Selbst „Breaking Bad“, die Serie, in der Walter White vom biederen Chemielehrer zu einem der wichtigsten Chrystal-Meth-Köche Amerikas und zum rücksichtslosen Kriminellen avanciert, lief anfangs schlecht an. „Erst mit der fünften Staffel kam der Riesenhype“, sagt Huge.

Deshalb sind die Upfronts für die Redaktion auch immer ein Ratespiel. „Wir sind selbst Fans“, sagt Huge. „Wir warten gespannt darauf, zu sehen, welcher Sender welche Serie parallel zur Konkurrenz ins Programm aufnimmt und welche Serie im Werbungsverkauf die meisten Einnahmen verzeichnet.“ Dann fügt sie hinzu: „Ein bisschen nerdy ist das schon.“

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