Kohle aus Kolumbien: Europas Energiehunger

Das Rohstoffgeschäft von Konzernen wie Drummond soll die Umwelt zerstören. Die Kunden: E.ON, RWE, Vattenfall.

Die dampfenden Kühltürme des Braunkohlekraftwerks der Vattenfall AG in Jänschwalde (Brandenburg). Bild: dpa

KOLUMBIEN zeo2 | Der weiße Sand ist ein Traum, tiefblau das Wasser, der Urwald erstreckt sich bis zum Strand. Der Nationalpark Tayrona im Norden Kolumbiens zählt zu den schönsten Naturschauplätzen der Karibik. Im Hinterland türmen sich die Berge bis 5.000 Meter hoch. Doch wer sich zu intensiv für die Bewahrung der Natur einsetzt, lebt gefährlich. So wie Alejandro Arias, Rechtsanwalt und Journalist aus Santa Marta, der Hauptstadt des Departements Magdalena, zu dem auch der Nationalpark zählt.

„Die Drohungen fingen an, als ich Korruption im Zusammenhang mit einem geplanten Luxusressort offen legte“ sagt er und erzählt von den Schmähanrufen, den Warnungen. „Doch richtig hässlich wurde es erst, als ich angefangen habe, über Umweltzerstörung im Zusammenhang mit der Kohle zu berichten.“ Wer genau dahinter steckt, weiß er nicht sicher. Er vermutet: Leute, die der Kohleindustrie nahe stehen. Arias arbeitet seit 20 Jahren als Journalist, die letzten zwei Jahre unter Polizeischutz. Ohne Leibwächter und kugelsichere Weste geht er nicht mehr aus dem Haus.

Der Treffpunkt ist ein ehemaliges Krankenhaus am Rande der Altstadt von Santa Marta. Ein barockes Jesus- Bild thront über dem Treppenaufgang zum ersten Stock. Tauben fliegen durch die offenen Fenster. „Wenn man in einem Land wie Kolumbien, wo Menschen für kleine Beträge töten, Missstände aufdeckt, ist das ein Risiko. Ich bin stolz, wenn sich durch meine Arbeit Dinge in Kolumbiens Gesellschaft verändern. Ob ich erschossen werde oder von einer Leiter falle: Irgendwann wird mich Gott ohnehin zu sich rufen“, sagt der 45jährige Arias.

Für seine Fotos von den Umweltvergehen des US-amerikanischen Kohlekonzerns Drummond hat er den „Premio Bolivar“ erhalten, einen der wichtigsten Journalistenpreise des Landes. Drummond hatte tonnenweise Kohle im Meer vor der kolumbianischen Küste verklappt. Offiziell geduldet, denn bis Anfang dieses Jahres war es üblich, den Energierohstoff an den Häfen erst in Barkassen zu laden und dann auf dem offenen Meer auf die Hochseeschiffe zu hieven. Dass dabei Kohle verloren ging, hatte Drummond aber stets abgestritten – bis Fotos das Gegenteil bewiesen. Dann endlich verbot die Regierung in Bogotá die Verladung auf dem Meer.

Kohle ist billig

Die Kreise und Geschäfte, die Arias mit seinen Recherchen stört, sind gewichtig. Denn es geht um viel Geld. Nach offizieller Statistik exportierte Kolumbien 2012 Kohle im Wert von 5,5 Milliarden Euro – ein Plus von 1,5 Milliarden Euro innerhalb von zwei Jahren. Zu den größten Kunden zählen deutsche Stromerzeuger. Während die Kohleförderung – nimmt man das Ruhrgebiet und das Saarland zusammen – in den letzten zehn Jahren um drei Viertel zurückgegangen ist, haben sich die Importe aus Kolumbien verdreifacht.

Weil Kohle billig ist – der Steinkohlepreis ist innerhalb von zwei Jahren von 120 Dollar je Tonne auf 85 Dollar gefallen – und CO2-Zertifikate zu Ramschpreisen verkauft werden, hat Deutschland 2013 fast sieben Prozent mehr Steinkohlestrom erzeugt als im Jahr zuvor. Damit deckte die Steinkohle ein Fünftel des heimischen Strombedarfs.

Das Geschäft in Kolumbien machen internationale Rohstoffkonzerne – neben Drummond etwa Glencore Xstrata aus Baar in der Schweiz. Doch in Kolumbien wurde zwar der 50 Jahre währende Bürgerkrieg offiziell für beendet erklärt, dennoch sind die alten Konfliktparteien weiter aktiv. Die Karibikküste und das Hinterland, dort wo Kolumbiens Kohleminen stehen, gelten als Hochburg der rechtsgerichteten paramilitärischen Kräfte. Sie hatten sich einst im Kampf gegen die linke Guerilla zusammengeschlossen.

Die meisten Menschen reden darüber nur hinter vorgehaltener Hand; Alejandro Arias nicht: „Ich habe mit ehemaligen paramilitärischen Führern im Gefängnis gesprochen, die aussagen, Drummond habe mit ihnen kooperiert.“ Ein Vorwurf wiegt besonders schwer: Im Jahr 2013 wurden mehrere Männer mit Beziehungen zum Paramilitär wegen des Mordes an Drummond- Gewerkschaftern im Jahr 2002 in Kolumbien verurteilt. In dem Prozess belasteten sie Drummond-Führungskräfte schwer. Daraufhin wurden in Kolumbien und den USA Verfahren gegen den US-Giganten eröffnet.

Kolumbien ist wichtigster Kohlelieferant

Auch die niederländische Friedensorganisation Pax hat frühere Mitglieder der Paramilitärs getroffen. Sie zitiert in einem im Juni veröffentlichten Bericht Zeugen, die teils unter Eid erklären, die Kohlefirmen hätten den Terror der Rechtsgruppen nicht nur toleriert, sondern auch finanziert, um in Ruhe ihre Geschäfte machen zu können. Ein Glencore-Sprecher weist die Vorwürfe zurück und hält dagegen: „Die [Paramilitärs, die Red.] beschuldigen Alles und Jeden, um ihre Haut zu retten.“ Drummond äußert sich zu den Vorwürfen nicht.

Kolumbien ist für deutsche Kohlestromer wie RWE, E.ON und EnBW inzwischen zum wichtigsten Kohlelieferanten aufgestiegen. Der Düsseldorfer Eon-Konzern alleine verheizte 2013 mehr als sechs Millionen Tonnen kolumbianische Kohle. Das waren sieben Prozent dessen, was das Land aktuell pro Jahr aus der Erde bricht. Der Rohstoff aus Südamerika hat für die Firmen große Bedeutung, viel reden wollen sie darüber aber offenbar nicht.

Vattenfall in Berlin lässt eine zeo2-Anfrage zu Importen aus Kolumbien und Menschenrechten unbeantwortet. E.ON rühmt die 2013 von der Industrie angestoßene Initiative Bettercoal. Danach müssten Lieferanten und Minenbetreiber soziale und ökologische Standards einhalten.

Bettercoal – das klingt gut. Doch die Richtlinien sehen zum Beispiel keine unabhängige externe Prüfung der Firmen vor, zumeist reicht eine Selbsteinschätzung. Gewerkschaften und NGOs sind an dem Prozess kaum beteiligt oder wieder ausgestiegen. „Grundsätzlich ist es begrüßenswert, dass sich Europas Stromversorger mit dem Thema der Kohleherkunft genauer beschäftigen. Doch diese Form der freiwilligen Selbstverpflichtung reicht nicht aus“, sagt Sebastian Rötters, Kohle- und Kolumbienexperte der unabhängigen Organisation Powershift.

Kohle über Zwischenhändler

Die Prüfung sei kaum transparent. Die Lieferantenbeziehungen würden nicht offen gelegt. Es gebe weder Sanktionsmöglichkeiten noch die Verpflichtung zur Wiedergutmachung bei historischer Schuld. Die Initiative sei kaum mehr als „ein Feigenblatt“ und sollte besser mit „Bittercoal “ umschrieben werden, sagt Rötters.

Immerhin hat RWE die direkten Verträge mit Drummond gekappt. Der Konzern erklärte zeo2: „Derzeit haben wir keinen zentralen Liefervertrag mit Drummond“. Aber auch: „Drummond bleibt weiterhin auf der ›Liste‹ der potenziellen Partner.“ Welche Voraussetzungen für Drummond gelten, um sich als Lieferant wieder zu qualifizieren, sagt RWE nicht.

Rötters meint ohnehin, dass es nicht damit getan sei, die direkten Lieferbeziehungen zu beenden. „Unternehmen wie RWE beziehen einen großen Anteil kolumbianischer Kohle über Zwischenhändler. Die vertreiben auch Drummond-Kohle.“ Der US-Konzern sei neben Glencore der größte Kohleförderer in Kolumbien.

Bei EnBW zeigt sich das. Der Stromversorger teilt mit: „Die EnBW hat keine direkte Geschäftsbeziehung mit Drummond. Wir erhalten Drummond-Kohle jedoch über Händler, mit denen wir […] Verträge abgeschlossen haben, in denen die Qualität, aber nicht die Herkunft der Kohle definiert ist.“ Dies sei international so üblich und gelte für alle Kohleunternehmen. So kann auch die Essener Steag (immer noch fünftgrößter Stromerzeuger hierzulande) Drummond-Kohle nicht ausschließen, obwohl der Kraftwerksbetreiber den Rohstoff überwiegend direkt von der Kohlemine El Cerrejón im nördlichsten Teil Kolumbiens bezieht, der größten Tagebaumine der Welt.

Vor Ort umgesehen

Sie ist weniger umstritten als andere Minen in Kolumbien. Steag erklärt, dort die Bedingungen selbst zu prüfen und sich nicht nur auf Initiativen wie Bettercoal zu verlassen. Allerdings sehen sich die Steag-Abgesandten auch nur alle ein bis anderthalb Jahre vor Ort um. Nach ihren Recherchen, so teilt Steag mit, gehöre „El Cerrejón zu den Unternehmen mit den höchstbezahlten Industriearbeitsplätzen in Kolumbien.“ Und Vertreter der Gewerkschaft Sintracarbon hätten „El Cerrejón erst Ende 2013 als ‚guten Arbeitgeber‘ bezeichnet.“

Und EnBW, die sich nach eigenen Angaben ebenfalls vor Ort umgesehen hat, hätten nicht näher genannte Gesprächspartner „ausdrücklich zu einer Fortsetzung des Kohlebezugs aus Kolumbien aufgefordert“. Sie sei wichtig für die „wirtschaftliche Entwicklung“ des Landes. Von der „wirtschaftlichen Entwicklung “ haben die Leute vor Ort allerdings wenig.

Im Gegenteil: Auf den ersten Blick sieht der Staub auf der Plantage des 66-jährigen Ciro Ortiz aus wie jeder andere Staub auch. Doch als Ortiz mit seiner Hand über ein großes Bananenblatt fährt, wird die Hand schwarz. Auf dem Blatt liegt Kohlestaub. Und auf Mangos und Limonen findet er sich genauso.

Ortiz‘ Plantage liegt nur einen Steinwurf von der Bahnlinie entfernt, über die die Kohle aus den Tagebauminen von Drummond und Glencore im Hinterland ans Meer transportiert wird. Die Züge mit mehr als 100 Waggons fahren wegen der Selbstentzündungsgefahr 300 Kilometer ohne Abdeckung durchs heiße Land. Jagen sie vorbei, verbreitet sich auf der Plantage von Ortiz der Geruch des fossilen Brennstoffs, der früher auch für deutsche Kohleregionen wie das Ruhrgebiet typisch war.

Lungenschäden durch Kohlestaub

Die Züge bringen nach Auskunft der staatlichen Eisenbahngesellschaft Fenoco täglich 160.000 Tonnen Kohle zur Küste, überwiegend, um den Energiehunger Europas zu stillen. Ortiz sagt: „Der Kohlestaub legt sich auf die Blüten, die entweder absterben oder viel kleinere Früchte austreiben als normal. Früher habe ich 18 Säcke Limonen geerntet, heute nur noch sieben“. Seine Einbußen summieren sich so auf umgerechnet 350 Euro im Jahr – herbe Verluste angesichts eines Jahresverdienstes zwischen 2.000 und 2.500 Euro. Ausgeglichen hat das niemand.

Es sind nicht nur die wirtschaftlichen Folgen. Aus seiner einfachen selbst gezimmerten Holzhütte trägt Ortiz einen großen Umschlag herbei, in dem eine Röntgenaufnahme seiner Lunge steckt. Er zeigt auf verschiedene Stellen, wo die Lungenstruktur verwischt. Hier hätten die Ärzte eine Schädigung ausgemacht, die lebensbedrohlich sei. Der Kohlestaub sei dafür verantwortlich, sagt Ortiz.

Doch Glencore bezweifelt die Kohlestaub- Lunge und verweist auf eine im eigenen Auftrag verfasste Studie, nach der die Atemprobleme der Menschen nicht mit der Kohle, sondern mit dem Verbrennen von Gummi oder dem Leben an Müllkippen zu tun hätten.

Müll und brennendes Gummi sind auf der Plantage von Ciro Ortiz allerdings nicht zu sehen. Das Problem für die Bauern: Es gibt bisher keine belastbaren Untersuchungen über die Zusammenhänge zwischen Lungenleiden und der Kohle in der Region. Darum können sie auch keine Ansprüche auf finanzielle Entschädigung gegen die Kohlekonzerne aufstellen.

Die Kohle direkt unter der Oberfläche

Glencore ist zusammen mit den beiden Minenriesen Anglo American und BHP Billiton auch an Cerrejón beteiligt. Die gigantische Mine liegt etwa eine halbe Tagesreise von der Küste entfernt. Hier ist es heiß und windig. Riesige Fahrzeuge bahnen sich den Weg durch die Mondlandschaft – voll beladen wiegen sie bis zu 500 Tonnen. Doch von der Aussichtsplattform wirken sie wie Spielzeugautos in einem Sandkasten.

Anders als im Ruhrgebiet oder im Saarland liegt die Kohle hier nah unter der Oberfläche. Schächte und Stollen sind nicht nötig. Das macht den Abbau günstig. Für das riesige Rohstofflager mussten vor Jahren ganze Dörfer zwangsumgesiedelt werden. Viele der indigenen Einwohner wehrten sich zunächst, dann kam die Polizei und drängte sie zurück.

Wirtschaftliche Entwicklung? Außer der Mine selbst profitiert hier niemand von der Kohle. Es gibt keine Zulieferindustrie oder Unternehmen. Stattdessen sitzen halbnackte Männer in den Dörfern im Umkreis der Mine auf Campingstühlen und verkaufen geschmuggeltes Benzin aus Venezuela. Mit der lokalen Wirtschaft soll es künftig besser werden, verspricht Juan Carlos Restrepo. zuständig für die Kommunikation bei Cerrejón.

Der frühere Direktor der kolumbianischen Antidrogenbehörde ist das neue Gesicht der gesellschaftlichen Verantwortung des Minenbetreibers. Man habe aus der Vergangenheit gelernt. Die höchst umstrittenen Pläne zur Umleitung eines Flusses seien „zunächst vom Tisch“, sagt er. Ehemalige Förderareale werden renaturiert. Und die Firma habe ihre Ausgaben für soziale Zwecke in den letzten acht Jahren verdoppelt.

Es gibt kaum Job-Alternativen

Auch wenn die Konzerne die Gehälter preisen, so reichen sie den Arbeitern nicht. Bei Cerrejón und den Minen des US-Konzerns Drummond standen 2013 die Abraumbagger für Wochen still, weil die kolumbianischen Kumpel mehr Geld und Rechte forderten. Erstmals haben sie damit für tausende Leiharbeiter einen Tarifvertrag erkämpft. Im Juni 2014 blockierten Cerrejón-Sicherheitsleute die Gleise, nachdem ihnen die Kündigung in Aussicht gestellt worden war.

Sie kämpfen auch deshalb so erbittert für ihre Jobs, weil es in der Gegend kaum Alternativen für sie gibt. Diese Arbeitskämpfe berühren die deutschen Kunden wenig. Auch hierzulande werde schließlich gestreikt, heißt es bei der Steag, und die Sicherheit auf den Straßen sei nicht Aufgabe Cerrejóns. Aber könnten die Kohlefirmen vor Ort nicht mehr tun?

Cerrejón-Anteilseigner Glencore hat 2013 für seine kolumbianische Kohle- Tochter Prodeco einen Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen von 250 Millionen Euro ausgewiesen – mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Und von den sozialen Programmen der Firma wissen Bauern wie Ciro Ortiz aus Cienaga nichts. Die Einzigen, die von den Kohlekonzernen vorbeigeschaut hätten, seien die Wachtrupps der Kohletransporte gewesen. Nicht um zu helfen, sondern um die Bauern vor Sabotage zu warnen.

Oliver Ristau, Der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 4/2014. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.