Die Tatverdächtigen leugnen noch

Der Brandanschlag auf ein Asylbewerberwohnheim hat die Menschen in Sangerhausen wachgerüttelt. In der Nähe gibt es einen Szenetreff von Neonazis

VON MICHAEL BARTSCH
und DANIEL SCHULZ

Am Sonnabendmorgen um 5 Uhr klirren im Sangerhäuser Asylbewerberheim die Fensterscheiben. Von drei geworfenen Molotowcocktails landen zwei in der Küche einer Erdgeschosswohnung des unsanierten Mietshauses aus den Fünfzigerjahren. Glücklicherweise hält sich dort niemand auf, denn der Raum fängt sofort Feuer. Ein im Nachbarraum schlafender Mann aus Burkina Faso alarmiert die übrigen Hausbewohner – noch 14 andere Asylbewerber leben dort. Sie beginnen selbst, das Feuer zu löschen, ein Afrikaner läuft zum Obdachlosenheim um die Ecke. Er bittet die Leiterin, die Polizei zu holen. Als die kommt, ist auch die Feuerwehr da und löscht den Brand endgültig.

Der unter Schock stehende Mann aus Burkina Faso wohnt seither bei Freunden in einer anderen Stadt. Dass nicht mehr passiert ist, liegt wohl auch daran, dass seine Mitbewohner aus Nigeria und Liberia zu diesem Zeitpunkt nicht da sind. Schon wenige Stunden nach dem Anschlag kann die Polizei zwei Tatverdächtige festnehmen. Lange suchen musste sie nicht, denn die Brandstifter sollen die Bierflaschen für ihre Molotowcocktails in einer nahegelegenen Tankstelle gekauft haben. Die Polizei musste dort nur nach den Bierkäufern fragen. „Die haben sich selten dämlich angestellt“, hieß es gestern aus Sicherheitskreisen, „einfacher konnte man es uns nicht machen.“

Die zwei mutmaßlichen Attentäter hatten vor dem Brandanschlag eine Neonazi-Party im vier Kilometer entfernten Dorf Sotterhausen besucht. Danach fuhren die beiden 25 und 26 Jahre alten Männer mit einem Auto nach Sangerhausen zurück.

Die Rechtsextremen feierten auf dem Grundstück des früheren Kameradschaftsführers Enrico Marx, einer zentralen Figur für den Rechtsextremismus im Bundesland. Er betreibt nicht nur den „Barbarossa-Versand“ für rechtsextreme Musik, sondern auch einen Gasthof namens „Zum Thingplatz“. Marx und sein Umfeld sind der Polizei seit längerem bekannt, er galt in den Neunzigerjahren als Führungsfigur der örtlichen Kameradschaft „Ostara“, die inzwischen als aufgelöst gilt. Auch im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Landes taucht das Gehöft von Marx gesondert als „Szenetreffpunkt“ auf. Regelmäßig treffen sich dort Rechtsextreme zu Konzerten und anderen Veranstaltungen. Die örtliche Polizei macht daher dort immer wieder Razzien, gegen die wiederum Marx und Kameraden demonstrieren und klagen.

Noch auffälliger als Marx engagiert sich seine Lebensgefährtin Judith Rothe für die NPD. Sie kandidierte bei der letzten Bundestags- und Landtagswahl für die Partei. Außerdem gründete sie im Herbst vergangenen Jahres den Nationalen Frauenring mit, eine bundesweite Organisation für weibliche NPD-Mitglieder und andere Rechtsextremistinnen. Heute ist sie stellvertretende Vorsitzende des Rings. Sebastian Striegel vom Landesvorstand der Grünen in Sachsen-Anhalt sieht in Rothe denn auch eine der „geistigen Brandstifterinnen“. Vor Ort sieht man das ein wenig anders. Der ehrenamtliche Bürgermeister von Sotterhausen sagte im vergangenen Jahr dem Deutschlandfunk, er sehe in Marx und Rothe ganz normale Unternehmer. Gestern war er für ein Gespräch nicht zu erreichen.

Die rechtsextreme Szene in und um Sangerhausen ist zwar organisiert, aber nicht offen gewalttätig. „Die Szene dort fällt eigentlich sonst nicht durch spektakuläre Straftaten auf, wahrscheinlich auch um die Geschäfte von Herrn Marx nicht zu stören“, sagt Stephanie Heide von der Anti-rechts-Initiative Miteinander e. V. in Halle. Schließlich sei Marx Mitglied der Jugendorganisation JN der NPD, und die gebe sich derzeit gerne bürgerlich. Im April sind Kommunalwahlen, und da wollen die Nationaldemokraten in so viele Gemeindeparlamente wie möglich einziehen.

Die beiden Verhafteten leugnen die Tatbeteiligung bislang. Inzwischen ist aber Haftbefehl gegen sie ergangen. Die Staatsanwaltschaft Halle ermittelt wegen Mordversuchs und schwerer Brandstiftung. „Ein Brandanschlag auf schlafende Bürger ist ein sehr schweres Delikt“, sagt Sprecher Klaus Wiechmann. Er bestätigt auch, dass gegen mögliche weitere Mittäter ermittelt werde. Die beiden Festgenommenen waren der Polizei bereits wegen Propagandadelikten und Körperverletzung bekannt. Es werde auch geprüft, ob Enrico Marx zur Rechenschaft gezogen werden muss.

Noch unklar ist auch, ob die neue Generalbundesanwältin Monika Harms die Ermittlungen im Fall Sangerhausen an sich zieht. Ihr Vorgänger Kay Nehm hatte dies bei unorganisierter rechter Gewalt mehrfach getan, um ein Zeichen zu setzen, dass die Justiz solche Straftaten besonders ernst nimmt. Ein Sprecher von Harms sagte gestern auf Anfrage der taz allerdings nur: „Wir haben den Vorfall im Blick und sind in Kontakt mit der Staatsanwaltschaft in Halle.“ Eine Entscheidung will Harms in den nächsten Tagen treffen.

In Sangerhausen haben sich die fünfzehn Asylbewerber verängstigt zurückgezogen. Als Marion Rohland vom Civitas-Netzwerk in Sangerhausen gestern versuchte, mit den Bewohnern der angezündeten Unterkunft zu sprechen, machte ihr niemand auf. „Sie öffnen zwar Leuten, die sie kennen, aber uns bleibt die Tür erst einmal verschlossen“, sagt Rohland. Öffentliche Solidaritätsbekundungen gab es in Sangerhausen bisher nicht. „Wenn man mit den Leuten spricht, sind die aber durchaus sehr betroffen“, sagt Rohland. Heute will sie sich mit Sangerhausenern in ihrem Büro treffen, um zu beraten „was wir jetzt machen“. Unerwartet viele Menschen hätten versprochen, zu kommen.