Fallstrick Recherche

Der SWR-Chefreporter Thomas Leif kämpft für Transparenz und Unabhängigkeit im Journalismus – ein Anspruch, dem er als Vorsitzender des Netzwerks Recherche selbst nicht immer genügen kann

VON MATTHIAS HOLLAND-LETZ

Das Buch „Beraten & verkauft“ ist lesenswert und wichtig. Und hält sich seit Monaten in der Spiegel-Beststellerliste. „McKinsey & Co. – der große Bluff der Unternehmensberater“, so lautet der Untertitel des im Mai erschienenen Bandes. Darin wird nicht nur dokumentiert, wie Berater „extrem vereinfachte Rezepte“ an Wirtschaftsunternehmen verkaufen. Es wird auch berichtet, dass McKinsey oder Roland Berger längst auch Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung beeinflussen.

Autor des Buchs ist der investigative Journalist Thomas Leif. Als SWR-Chefreporter hat er viele sehenswerte Filme gedreht. Leif ist Vorsitzender der Journalistenvereinigung netzwerk recherche (nr), die sich für mehr journalistische Sorgfalt einsetzt. In deren im Februar verabschiedeten Medienkodex formuliert sie in zehn Punkten ihr Leitbild. In Punkt 1 heißt es: „Journalisten berichten unabhängig, sorgfältig, umfassend und wahrhaftig“; in Punkt 4: „Journalisten garantieren handwerklich saubere und ausführliche Recherche aller zur Verfügung stehenden Quellen.“ Und in Punkt 5: „Journalisten machen keine PR.“

Viel Lob, aber auch Kritik gab es für diesen Versuch eines journalistischen Wertekanons: Weltfremd, jenseits des Arbeitsalltags vor allem freier Autoren, die oft auf PR-Jobs angewiesen sind, um genug zum Überleben zu verdienen – das war einer der häufigsten Vorwürfe. Doch wie schwierig es in der Praxis manchmal sein kann, dem Anspruch des nr-Medienkodex zu genügen, zeigt schon das Beispiel des Vorsitzenden Leifs selbst.

In „Beraten & verkauft“ rechnet der 47-Jährige nämlich auch mit so genannten Reforminitiativen ab, die von Unternehmensberatern unterstützt werden. Etwa mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Sie wird von den Metall-Arbeitgebern finanziert und betreibt als scheinbar neutrale Denkfabrik politische PR-Arbeit. Auch die Initiativen BürgerKonvent und „Deutschland packt’s an“ bekommen ihr Fett weg.

Doch über einen politisch besonders einflussreichen Thinktank, der ebenfalls mit Unternehmensberatern kooperiert, verliert der Journalist kein Wort. Auf 448 Seiten steht nichts über die Lobbyarbeit der Bertelsmann-Stiftung mit Sitz in Gütersloh. Nichts über deren Einfluss auf die Einführung von Studiengebühren, den Umbau der Schulen, auf Hartz IV, die Reform von Kommunalverwaltungen.

Der Fokus der Gütersloher Stiftung „richtet sich zunehmend auf die Privatisierung des öffentlichen Sektors“. Zu diesem Schluss kommt etwa die Journalistin Eva Hillebrand in ihrer Hörfunksendung „Die großen Einflüsterer – Thinktanks als Lobby der Freien Marktwirtschaft“, ausgestrahlt vom Bayerischen Rundfunk. Auch andere Autoren stellen INSM und Co. mit der Bertelsmann-Stiftung in eine Reihe.

Warum hat Thomas Leif darauf verzichtet, die Bertelsmann-Stiftung an den Pranger zu stellen? Der Verdacht liegt nahe, dass dies am Verlag liegen könnte, der „Beraten & verkauft“ veröffentlicht hat: C. Bertelsmann in München – im Besitz der Bertelsmann AG, deren Aktienmehrheit wiederum der Bertelsmann-Stiftung gehört.

„Hanebüchen“ nennt Thomas Leif diesen Verdacht: „Es gab zu keinem Zeitpunkt eine publizistische Intervention des Verlages.“ Wieso er nichts über die Stiftung geschrieben habe? „In keinem Buch können alle Themen der Welt abgehandelt werden“, sagt Leif. „Zensur findet nicht statt“, versichert auch die zuständige Bertelsmann-Verlagsgruppe Random House.

„Das läuft alles indirekt und verfeinert ab“, erklärt der Münchner Medienwissenschaftler Frank Böckelmann. Viele Autoren wüssten um das Selbstverständnis der Bertelsmann-Stiftung. Demnach betreibe man lediglich „Grundlagenforschung“: „Jede Erwähnung der Lobbyarbeit der Bertelsmann-Stiftung würde in Gütersloh als Anzüglichkeit verstanden“, sagt Böckelmann. Er ist Mitautor des Buchs „Bertelsmann – Hinter der Fassade des Medienimperiums“, erschienen im Eichborn-Verlag.

Bereits im Februar 2006 veröffentlichte Thomas Leif gemeinsam mit Rudolf Speth „Die fünfte Gewalt – Lobbyismus in Deutschland“. Das Buch, 366 Seiten stark, erschien nicht bei Bertelsmann, sondern im VS-Verlag für Sozialwissenschaften. Auch hier steht nichts über die Aktivitäten der Gütersloher.

Tatsächlich bestehen zwischen Leif und Bertelsmann seit Jahren Verbindungen, unter anderem arbeitete das nr mit der Gütersloher Stiftung zusammen, um das Bundesinformationsfreiheitsgesetz durchzusetzen. Dieses Gesetz regelt das Recht der Bürger auf Einsicht in behördliche Unterlagen. Thomas Leif nahm auch an einem Workshop zum Informationsfreiheitsgesetz teil, den die Bertelsmann-Stiftung im Februar 2004 organisiert hatte. Ebenfalls im Februar 2004 veranstaltete nr mit der RTL-Journalistenschule einen „Recherche-Workshop“, geleitet von Thomas Leif und RTL-Mann Leonhard Ottinger. RTL gehört zum Bertelsmann-Konzern.

Thomas Leif kündigte unterdessen an, dass in einer eventuellen Neuauflage von „Die fünfte Gewalt“ ein solide recherchierter Text über die Stiftung „auf jeden Fall veröffentlicht“ werde. Bislang stehe deswegen nichts über Bertelsmann drin, weil den Herausgebern „kein entsprechendes Manuskriptangebot vorlag“. Leif betont, bei der Kampagne zum Informationsfreiheitsgesetz hätten auch die Journalistengewerk-schaften dju und DJV mit der Bertelsmann-Stiftung kooperiert. Zur RTL-Journalistenschule erklärt Leif, er habe zweimal dort referiert und bemühe sich grundsätzlich, „alle Referatsanfragen aller Journalistenschulen in Deutschland wahrzunehmen“.